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Fidan Aghayeva-Edler (l.) und die Sopranistin Nina Guo beim Piano Marathon in der Berliner St. Elisabeth-Kirche. © Tom Müller-Heuser

Fidan Aghayeva-Edler (l.) und die Sopranistin Nina Guo beim Piano Marathon in der Berliner St. Elisabeth-Kirche. 

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Durchhalten – Der Piano Marathon der Pianistin Fidan Aghayeva-Edler in Berlin

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Wo in „normalen“ Konzerten noch immer nur mal zwischendurch ein Alibi-Werk von einer Komponistin gespielt wird, da ist die Pianistin Fidan Aghayeva-Edler konsequenter. Sie gestaltete in Berlin bereits zum zweiten Mal einen Piano Marathon ausschließlich mit Kompositionen von Frauen. Dabei kamen Werke aus lange vergangenen Zeiten ebenso zur Aufführung wie zeitgenössische Kompositionen – darunter allein etwa 20 Uraufführungen und ebenso viele Deutsche Erstaufführungen.

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Viel zu lange ist die kreative Stimme von Komponistinnen nicht gehört, gar bewusst unterdrückt worden. Viel zu lange waren Frauen in patriarchalen Strukturen „nur“ als Ehefrau, Hausfrau und Mutter eingebunden und wahrgenommen. Trotzdem gab es zu allen Zeiten Komponistinnen, die ihrer künstlerische Arbeit oft nur im Verborgenen nachgehen konnten. Aber es hat sie gegeben und sie hatten durchaus auch ein Gefühl dafür, dass das, was sie da schufen auch einen Wert hatte. So schreibt die Pianistin und Komponistin Clara Schumann am 2. Oktober 1846 in Ihrem Tagebuch: „Es geht doch nichts über das Vergnügen, etwas selbst komponiert zu haben und dann zu hören.“

Diese jahrhundertelange Nicht-Wahrnehmung von Komponistinnen war für die Pianistin Fidan Aghayeva-Edler Grund genug ihnen schon zum zweiten Mal nach 2024 einen „Piano Marathon“ zu widmen. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, 24 Stunden, nur Musik von Komponistinnen zu spielen – das ist für Aghayeva-Edler kein Wettbewerb und kein Versuch in das Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Der Marathon ist ein Symbol dafür, durchzuhalten – durchzuhalten, so wie es Komponistinnen über viele Jahre und Jahrhunderte getan haben: komponieren und immer darauf zu hoffen, dass Ihre Musik eines Tages zum Klingen kommt.

Schriftstellerinnen sollte ein eigenes Zimmer zum ungestörten künstlerischen Arbeiten zur Verfügung gestellt werden. Ebenso ein moderates aber regelmäßiges Einkommen, damit diese Schriftstellerinnen ihr Talent zu Kunst machen können. Gern zitiert Aghayeva-Edler diesen Gedanken von Virginia Woolf und betont, dass diese Forderung für Komponistinnen im gleichen Maße gelte.

Aghayeva-Edler hat sich in ihrem künstlerischen Wirken fast vollständig auf die Interpretation von Musik von Frauen spezialisiert. Dabei kann sie nicht immer auf Editionen von Kompositionen zurückgreifen, sondern muss viel Forschungs- und Bergungsarbeit leisten, Kompositionen aus Schreibtischschubladen, Archiven und vielen anderen verbergenden Orten hervorholen und ans Licht bringen. Auch regt sie zeitgenössische Komponistinnen dazu an, für sie neue Werke zu komponieren.

Mit dem Programm von Aghayeva-Edler ist sie stilistisch in ihren Konzerten auf der Höhe der Zeit. Anfang des Jahres hat sie in einem „open call“ Komponistinnen aus aller Welt dazu aufgerufen, ihr neue Werke zuzusenden, ja, neue Werke für Klavier bzw. Klavier und Stimme zu komponieren. Die Resonanz war verblüffend gut: 136 Komponistinnen haben ihr 218 Stücke zukommen lassen. Über diese Werke sagt Aghayeva-Edler, sie seien alle von hoher Qualität, aber nicht alle für ein solches Marathonformat geeignet. Deshalb habe sie von diesen 50 Stücke ausgewählt, die sie im Konzert gespielt habe. 

Im vergangenen Jahr hat Aghayeva-Edler bereits einen reinen Piano Marathon in der Berliner St. Elisabeth Kirche gespielt. Das war anstrengend und sie hat durchaus auch den einen oder anderen konditionsmäßigen Hänger gehabt. Hier fühlte sie sich mit den Komponistinnen besonders verbunden und es galt – Symbole müssen ja letztlich wahrhaftig bleiben – eben durchzuhalten. In diesem Jahr hat sie gemeinsam mit der Sängerin Nina Guo, der Schauspielerin Mareike Hein und Teresa Reiber, die für Dramaturgie, Regie und Projektleitung zuständig war, ein etwas anderes Konzept realisiert.

Auf dem Programm standen in diesem Jahr nicht nur Werke für Klavier solo, sondern auch für Klavier und Stimme. Unterbrochen wurden die musikalischen Darbietungen von Texten, die Hein vortrug. In ihnen ging es unter anderem um Produktions- und Kompositionssituationen von Komponistinnen, um wissenschaftliche Themen und feministische Literatur.

Alle ein bis zwei Stunden bot Hein zur Auflockerung für Akteure und Zuhörer ein Bewegungsprogramm an. So setzte sie zum Beispiel mit den Anwesenden ein „ABC der musikalischen Begrifflichkeiten“ um, bei dem für jeden Buchstaben des Alphabetes ein musikalischer Begriff gefunden werden sollte, etwa ein Tempo (Andante, Presto, …) oder eine Artikulationsart (Staccato, Legato, …), die mit eigenen Bewegungen dargestellt werden sollte. Auch der Flügel musste im Laufe der 24 Stunden mehrfach seine Position verändern und legte während des Marathons einmal eine Runde durch die Kirche zurück.

All diese Aktionen gaben den Beteiligten Momente, um einmal kurz durchzuschnaufen. Denn das größte Projekt kann nur gelingen, wenn es in seinen kleinsten und verletzlichsten Elementen sorgsam bedacht wird. Schon in der Vorbereitung hatte sich Aghayeva-Edler auf die Dauerbelastung vorbereitet. Das gesamte Programm hat sie zwar nie im Zusammenhang geübt, aber schon Zeiträume von etwa 12 Stunden – natürlich, um die Werke einzustudieren, aber auch um ein Gefühl für den Zeitrahmen zu bekommen.

Das Programm selbst war im Stundenrhythmus getaktet. Oftmals hatten diese Stunden eigene Themen wie den Genozid der Roten Khmer in Kambodscha, das Gedenken an den rassistischen und muslimfeindlichen Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau, Gewalt an Frauen, Antifaschismus, Klimawandel und vieles mehr. Diese ernsteren Themen waren allerdings den Abendstunden vorbehalten. Zwischen 14 Uhr und 15:30 Uhr gab es ein spezielles Kinderprogramm, da die Veranstalter bereits im vergangenen Jahr die Erfahrung gemacht hatten, dass auch Familien mit Kindern das Konzert besucht haben. 

Der Piano Marathon war gut besucht – fast immer waren um die 40 Besucher in der Kirche. Jeder konnte kommen und gehen, wann er wollte, dann wegbleiben oder auch wiederkommen – 24 Stunden sind eine lange Zeit. Das Publikum war sehr gemischt, einige wenige blieben sogar fast die ganze Zeit, Tag und Nacht. Einige der Komponistinnen waren teils von weither angereist, um an diesem Ereignis, ihrer Uraufführung, teilzunehmen. Das Programm war gut gemischt und vielfältig gestaltet von sehr kurzen fast maschinenartigen minimalistischen Stücken bis hin zu Eva-Maria Houbens „Voice & Piano I & II“ (2002), das von 5 Uhr morgens 70 Minuten des Programms ausfüllte.

Am Ende sind alle glücklich, zufrieden und voller neuer Eindrücke und Gedanken nach Hause gegangen – und alle haben das Event überlebt! Das ist nicht selbstverständlich, denn – so erzählt es die Legende – beim ersten Marathonlauf der Geschichte soll der Läufer zwar die Botschaft, dass die Athener gegen die Perser bei Marathon gesiegt hätten, noch verkündet haben, aber danach auch gestorben sein. Die Botschaft von Aghayeva-Edler ist eine andere: „Der Marathon steht symbolisch für den steinigen, langwierigen Weg, den Komponistinnen jahrhundertelang gehen mussten, damit ihre Werke gehört wurden.“ Wer das Konzert gehört hat, mag möglicherweise ergänzen: „Und dafür lohnt es sich zu leben!“

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