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Götterdämmerung. II. Aufzug. Chor der Bayreuther Festspiele. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Götterdämmerung. II. Aufzug. Chor der Bayreuther Festspiele. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Ein Funken Hoffnung bleibt – „Götterdämmerung“ in Bayreuth beendet Schwarz/Young-Ring

Vorspann / Teaser

Mit der „Götterdämmerung“ ist der „Ring“ von Valentin Schwarz und Simone Young für seinen letzten Jahrgang komplett. Jubel gab es für eine musikalische Überwältigung – Pro und Contra für die szenische Umsetzung.

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Am Ende ist (fast) alles hin. Man könnte aber auch sagen: Es ist vollbracht.

Die „Götterdämmerung“ endet in der aufs Menschliche fokussierten Lesart von Valentin Schwarz und (das muss man jetzt hinzufügen) von Simone Young mit einer veritablen Katastrophe. Der Pool in dem großspurig pyramidalen Luxusareal des Wotanclans ist längst ausgetrocknet. Grane hat seinen Kopf verloren. Auch dessen Schlächter Hagen ist am Ende tot. Aber selbst er war nicht nur der Barbar, der aus Machtgier über Leichen geht, sondern hatte einen mitfühlend menschlichen Zug. Es ist berührend, wie er vor dem Mord an Siegfried verzweifelt mit sich ringt, die Tat zu begehen, zu der er sich verpflichtet hat, und wie er sich dann für Momente dessen Kind annimmt. Den halbseidenen Gunther im glitzernden „Who the fuck is Grane“ T-Shirt zu erledigen, fällt ihm allerdings nicht schwer.

Dieser real und metaphorisch ausgetrocknete Pool wird zu einem Sammelbecken der Toten. Siegfried ist durch brutale Schläge ermordet, Gunther aus dem Weg geräumt, Grane nur noch als Kopf in der Plastiktüte mit von der Partie. Brünnhilde setzt ihren Selbstmord mit großer Geste in Szene. Im Schlussbild sieht man in der Höhe der Neonröhrenwand, dass sich auch Wotan erhängt hat.

Hoffnung, keine – oder wenigstens ein Funken

Also keine Hoffnung, nirgends für diese allzu menschliche Brut? Immerhin hat sich Siegfrieds und Brünnhildes Sprössling mit den Rheintöchtern davongemacht, wer weiß wohin und wozu. Und dann ist da eine Hochschwangere (vielleicht die, die Wotan einst mit Erda verwechselt hatte?). Offensichtlich trägt sie Zwillinge unterm Herzen. Die Regieklammer um diese Ring-Deutung blendet jetzt ein Video ein, in dem sich zwei schon klar erkennbare künftigte Menschenkinder nicht wie am Anfang attackieren und verletzten, sondern umarmen. Die andere Möglichkeit des Umgangs miteinander als der Funken Hoffnung, der einzig bleibt.

Das mit einiger Liebe zum Detail charakterisierte Personal, das wir kennengelernt haben, hatte keine Chance. Nicht, weil sie alle einfach hinterm Gold und der damit verbundenen Macht her waren. Hier wussten sie schon, dass der wahre Reichtum jenseits eines Metalls und seines Tauschwertes liegt, sondern im menschlichen Kapital, in den Kindern und Enkeln, im Weiterleben in den Anderen. Darum ging es ihnen. Diese Personalisierung des Rheingoldes bzw. des Rings ist der Grundeinfall, den Schwarz und sein Team mehr oder weniger (eher mehr als weniger) konsequent durchdekliniert und in eine, so bald man sich darauf einlässt, spannende Szenen- und Bilderfolge umgesetzt haben.

Der szenische Witz

Das ist mit dem abwechslungsreichen, praktikabel wandelbaren Bühnenbild von Andrea Cozzi oft verblüffend gut gelungen. Etwa im ersten Aufzug der Götterdämmerung. Die noble Bleibe der Kleinfamilie aus Siegfried, Brünnhilde und ihrem Nachwuchs schließt an die Kinderzimmer von Siegmund und Sieglinde an. Die Szenen einer Ehe, die die beiden aufführen sind schon in der Phase der frustrierenden Entfremdung angekommen. Nach dem Happyend im Siegfried wurde eben nicht, wie es bei Tucholsky heißt, wie im Film „jewöhnlich abjeblendt“. Er flieht in die Welt und sie bleibt mit dem Kind daheim. Die Nornen als Alptraumgestalten im Kinderzimmer orakeln zu lassen, ist eine fabelhafte Idee. Wie bei dem unangekündigten Besuch von Waltraute hier ein Andeinandervorbeireden in Szene gesetzt wird, ist großartig. Überhaupt gehört der szenische Witz, der immer wieder aufblitzt, zu den Vorzügen dieses Rings.

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Götterdämmerung. III. Aufzug. Katharina Konradi (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde), Marie Henriette Reinhold (Floßhilde), Kinderstatisterie der Bayreuther Festspiele. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Götterdämmerung. III. Aufzug. Katharina Konradi (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde), Marie Henriette Reinhold (Floßhilde), Kinderstatisterie der Bayreuther Festspiele. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Natürlich blieb ein Teil des Publikums bei seiner Ablehnung der Regie. Aber ein aggressiver Buhsturm hört sich anders an. Es gab auch viele Bravos. Und das ist auch schon deshalb in Ordnung, weil die Inszenierung offensichtlich mit Sorgfalt gepflegt und nachgebessert wurde. Auch wenn nicht immer ganz klar ist, wer gerade der Ring sein könnte bzw. an wessen Hand das doch wieder eingeführte Schmuckstück gerade ist. Aber sei’s drum.

Einfühlsam spannendes Dirigat von Simone Young

Vollbracht haben sie allesamt, das zentrale Gesamtkunstwerk Richard Wagners als solches zu präsentieren. Und das eben auch und vor allem, dass eine so souveräne Ring-Dirigentin wie Simone Young mit ihrem einfühlsam spannenden Dirigat das Bühnengeschehen tragen, das Haus mit einem Klang zwischen betörend zart und wohldosiert auftrumpfend füllen kann, dass für das Publikum keine Chance zum inneren Aussteigen bleibt. Und, dass sich die Protagonisten mit ihren vokalen Fähigkeiten in Szene setzten und strahlen, aber eben auch im Zusammenspiel die Chance haben restlos zu überzeugen.

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Götterdämmerung. I. Aufzug. Klaus Florian Vogt (Siegfried), Gabriela Scherer (Gutrune). © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Götterdämmerung. I. Aufzug. Klaus Florian Vogt (Siegfried), Gabriela Scherer (Gutrune). © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

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Das gilt natürlich besonders für Klaus Florian Vogt und Catherine Foster. Es ist ein Glücksfall, dass der vom Publikum ja vor allem als lyrischer Tenor geliebte Vogt, sich auch diesen Siegfried zutraut und stimmlich drauf hat. Es ist ein besonderer Genuss, einen so kantablen und dabei überraschend kraftvollen Siegfried zu erleben, selbst wenn Vogt ihm darstellerisch mit einer Restskepsis zu begegnen scheint. Dazu Forster als eine Brünnhilde der Sonderklasse ohne jede schauspielerische Zurückhaltung. Stimmlich souverän in jeder Passage, strahlend, leidend, wissend. Großartig. Mit wuchtig vokaler und darstellerischer Präsenz ist Mika Kares als (zumindest etwas menschelnder) Hagen ein Ereignis. So wie der spektakuläre Auftritt von Christa Mayer als Waltraute. Fast schien es, als habe sie sich mit ihrer Fricka und Schwertleite „nur“ für diesen dramatisch vokalen Coup warmgelaufen. Michael Kupfer-Radecky und Gabriela Scherer beglaubigen ihre hinreißend gespielten neureichen Gibichungen durchweg auch stimmlich. Olafur Sigurdarson punktet als Alberich noch einmal beim Boxtraining mit Hagen. Noa Beinart, Alexandra Ionis und Dorothea Herbert sind nicht nur äußerlich funkelnde Nornen, Katharina Konradi, Natalia Skrycka und Marie Henriette Reinhold am Ende auch spielerisch geforderte tolle Rheintöchter. Den großen Chorauftritt von Hagens Mannen im Ring hat Thomas Eitler-de Lint präzise vorbereitet – und Simone Young und das Orchester spielen bei dieser militanten Überwältigung mit.

Der Jubel für die Dirigentin und die Protagonisten war denn auch enthusiastisch. Für die Regie gab es ein mittlerweile ausbalanciertes Pro und Contra, mit dem das junge Team wohl ganz gut leben dürfte.

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