Künstlerisch und kommunikativ war alles bestens beim 11. Mizmorim Kammermusik Festival nach dem 10-Jahre-Jubiläum 2023. Auf die doppelt so lange Feier im Vorjahr fanden Leiterin Michal Lewkowicz und ihr Team nach dem am 22. Januar in Zürich gesetzten Start vom 29. Januar bis 2. Februar zum Fünf-Tage-Modus in Basel zurück – und erstmals in Baselland. Zur Eröffnung gab es im Stadtcasino Basel Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ als halbszenische Lesung mit elektronischen Interventionen von Janiv Oron.

Unter dem Motto „Exil“ lieferte das 11. Mizmorim Kammermusik Festival zahlreiche erkenntnisreiche Momente. Foto: Liron Erel
Exil, Emigration, Verfolgung – Das 11. Mizmorim Kammermusik Festival in Basel 2025
Unter dem Motto „Exil“ war das 11. Mizmorim Kammermusik Festival bereits die zweite „Feier der vielfältigen Begegnungen von jüdischer Musik und westlicher Kunstmusik“ während des seit dem Hamas-Angriff eskalierenden Konflikts zwischen Israel und Palästina. Bei der Planung stand die zweite Trump-Präsidentschaft noch nicht fest. Und in Deutschland wurde mitten im Festival die Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ als drastischer Einschnitt für das Demokratie-Verständnis kommentiert. Beide Ereignisse verschafften dem schweizer Mizmorim-Festival die noch höhere Relevanz.
„Antisemitismus endet nicht an der Grenze.“ resümierte Barbara Häne nach ihrer Führung über „Exil in der Schweiz“ im Jüdischen Museum der Schweiz. Damit definierte die Historikerin Antisemitismus als internationales Thema und nahm die Schweiz nicht aus. Insofern ist eine Würdigung und Verortung des Mizmorim-Festivals nur nach Kriterien der Interpretation und der Qualität von Kompositionen definitiv nicht möglich, schließt immer globale und regionale Entwicklungen immer in die Rezeption ein.
Verzerrender Auftakt
Die Entscheidung für Strawinskys kontrakulinarisches Off-Theater-Stück „Geschichte vom Soldaten“ zur Eröffnung zeigte die Anliegen nationale Repräsentation, internationale Diskurse und Dialog. Der Schweizer Charles-Ferdinand Ramuz hatte das Märchen aus der russischen Afanasjew-Sammlung in sein Heimatland versetzt. Die Uraufführung des Alle-Sparten-Werks für drei Sprechrollen, eine Tänzerin, Kammerensemble und in diesem exponierte Violine (idealer Part für Ilya Griongolts aus dem Mizmorim-Team) fand 1918 in Lausanne während der Spanische-Grippe-Epidemie statt. 1975 wurde der Neubau des Theaters Basel in der deutschen Übersetzung des in der Schweiz legendären Mundart-Liedermachers Mani Matter eröffnet. Das Mizmorin-Festival brachte es jetzt im großen Musiksaal des Stadtcasino Basel, wo Theodor Herzl im Jahr 1897 den ersten von insgesamt 22 Zionistenkongressen bis 1946 geleitet hatte.
Durch das Parkett zog sich ein Spielsteg vom vorderen Podium zum Mischpult von Janiv Oron. Dessen elektronische Interventionen blähten Strawinskys klein besetztes Krawallstück mit Halleffekten derart auf, dass die Stimmen verstärkt werden mussten. Sinnfällig zum Motto „Exil“ blickte das Publikum vom Rang und damit aus großer Distanz zum Ensemble hinab. Der Teufel droht am Ende der erlösten Prinzessin und ihrem Retter, der dem Leibhaftigen das Geigenspiel beizubringen versuchte: Überschreitet die Grenze eures Landes, seid ihr der Hölle Beute. – Soldat und Prinzessin sitzen also am Ende hinter rot drohenden Neonröhren fest. Sie müssen sich selbst genug sein und bleiben. Orons Sounddesign überwölkte das Finale des in Hinblick auf Antisemitismus nicht ganz unbescholtenen Kosmopoliten Strawinsky, obwohl dieser explizit das Rotzfreche, Ordinäre und Holzschnitthafte wollte. Auch bei den Figuren: Die drei Sprechenden sind männlich, die einzige stumme Rolle eine Frau.
Klaus Brömmelmeier hatte es am einfachsten. Er machte den Teufel zu einem Mephisto mit prägnant einfachem Deutsch. Andrea Tortosa Vidal gestaltete eine recht aktive Prinzessin. Die Mezzosopranistin Silke Gäng, die am zweiten Mizmorim-Tag mit ausladend melodramatischem Gestus für Hanns Eisler und goldrichtig bei spätromantischen Zemlinsky-Liedern agierte, übernahm den Erzähler und den Soldat in einer damit äußerst mutigen Besetzungsstrategie: Der Konflikt des vom Krieg traumatisierten Heimatlosen ging in dieser Konstellation leider nicht auf, so wie sich in Mitteleuropa kein Mann an Rollen von Trümmerfrauen und Kriegerwitwen wagt. Hosenrollen des traditionellen Opernrepertoires funktionieren da mit der exemplarischen Ausnahme von Hartmanns „Simplicius Simplicissimus“ einfach anders.
Bogen über Kompositionen der letzten 100 Jahre
Die Mizmorim-Idee der Suche nach Vergessenem und Neuem verwirklichte sich zu den Konzerten III („Kreuzung Wien“) und IV („Zu zweit allein“) in der Kunsthalle Baselland weitaus eindrucksvoller. Relativ kurze Programme setzten facettenreiche Schlaglichter zum Motto. Interpreten treffen in höchst unterschiedlichen Kombinationen aufeinander. Der bei Krakau geborene und bis 1989 an der Wiener Musikhochschule als Professor wirkende Roman Haubenstock-Ramati widmete sein zweites Streichquartett der 1976 im Alter von 37 Jahren verstorbenen Tänzerin Christl Zimmerl. Das fünfsätzige und vom Gringolts Quartet mit empathischer Bravour vorgetragene Opus ist ein brillantes Kompendium avancierter Kompositionstechniken des 20. Jahrhunderts. Nach dem von Silke Gäng mit dem Pianisten Marco Scilironi mit angemessener Klang- und Melosdichte durchdrungenen Zemlinsky-Liedern op. 38, komponiert im Exil New York für die Sopranlegende Maria Jeritza, folgte Arnold Schönbergs Warnruf gegen Hitler, die „Ode to Napoleon Bonaparte“ op. 41 nach Lord Byron. Der Bassbariton Ruben Drole machte daraus mit hoher Sprachkompetenz und deklamatorischer Sinnlichkeit eine walpurgisnächtliche Wortoper.
Von vergleichbar affirmativer Wildheit war die bereits in Zürich erklungene Uraufführung des Duos „sh’nayim levad (leàn?) – zwei allein (wohin?)“ von Hed Bahack (geb. 1994), dem Composer in Residence des Mizmorim-Festivals. Ilya Gringolts und der Viola-Virtuose Lawrence Power machen vergessen, dass es sich um mikrotonales Expressionswachstum auf zwei einsamen Stimmstraßen handelt. Bahacks Stück ist auch ein performatives Ereignis. Ebenso wie Mark Kopytmans „October Sun“ für Singstimme, Flöte, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug (1974). In dessen Schweizer Erstaufführung zeigte das Mizmorim-Festival Ensemble auch das Wilde und Ziellose der in allen Stimmen und vielen Stilen, oft mit atonalem Fortissimo-Aufbäumen mäandernden Komposition.
Überall gibt es bei diesem Festival beträchtlichen Erkenntnisgewinn. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die verschwörerische Allianz eines subversiv mit den Interpreten einigen Publikums der Vergangenheit angehören. Als am ersten Abend der Medienkünstler und Mizmorim Artist in residence Janiv Oron im Teufelhof an drei Mischpultstationen mit „Different Names“ eine von Erinnerungen an seinen Vater inspirierte Raum-Zeit-Sinn-Auflösung setzte, lauschte überwiegend gereiftes Publikum und applaudierte einhellig.
Die beiden letzten Festivaltage brachten noch Höhepunkte wie Messiaens „Quatuor pour la fin du temos“ und Andrzej Panufniks Trio op. 1, das der Komponist nach Vernichtung des Fragments während des Warschauer Aufstands rekonstruierte und erst 1939 vollenden konnte.
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