„Einschränkungen von Freiheit in unserer Welt“ durch die Verschränkung von „9/11“ mit dem NS-Deutschland – so anspruchsvoll und intellektuell verschwurbelt leitet ein Text im Programmzettel das dreitägige Gastspiel des polnischen „Kabaret warszawski“ ein. Auf der Bühne wurden dann Christopher Isherwoods Roman „Goodbye to Berlin“, der daraus entstandene Film-Klassiker „Cabaret“ und Ingmar Bergmans „Schlangenei“ mit etlichem „Eigenen“ gemixt.
Herausgekommen ist ein um 19 Uhr beginnender Abend, bei dem man angeödet um Mitternacht auf die Uhr schaute, um festzustellen, dass es neun Uhr war – und neidisch erst auf regelmäßig die Vorstellung verlassende Besucher und dann auf die nach der Pause deutlich gelichteten Reihen blickte: der innovationsneugierige Kritiker musste bis zum bodenlos faden Ende kurz vor Mitternacht bleiben….
Ein großes, weiß gekacheltes Raumgeviert; eine gläserne Duschkabine links, eine gleichfalls gläserne Sanitärkabine rechts; links hinten eine vierköpfige Rockband; ein paar herein- und heraustransportierte Couchen, Stühle, Tische und Turnmatten; herein- und herausfahrende Flittervorhänge in wechselndem Licht – in diesem Ambiente präsentierte der von einem Teil der Opernwelt immer noch gehypte Krzysztof Warlikowski „des Kaisers neue Kleider“: nicht nur „Sex and drugs and Rock’n-Roll“, sondern auch viel halbnackte „action“, wie sie von „1968 und folgende“ in Happenings und Performances „innovativ“ waren – und heute nur noch belächelnswert vorgestrig. Die unter den fünfzehn Mitwirkenden nicht gekennzeichnete Darstellerin der Sally Bowles sei ausdrücklich für ein fetziges „Cabaret“-Imitat frei von Liza-Minelli-Nachahmung gelobt. Auch die Elendsszene einer abgetakelten Kabarett-Künstlerin bekam angemessenen Szenenbeifall.
Intellektuell übel aber wirkte das Grundmuster des Textes: da wurde durchweg auf großen Namen gereist, um die eigene Nicht-Bedeutung bedeutungsschwanger aufzuladen. Gelaber über Wagner auf dem Stand von etwa 1950, konterkariert mit „O du schöner Westerwald“-Gebrüll“, Party-Geschwurbel und Oscar-Persiflage gegenüber Film-Zitaten aus „Olympia 1936“, eine elend lange, heillos verzappelte „9/11“-Tanz-Performane im Yoko-Ono-Look, gute Rock-Musik live und Bach und Wagner und Geräusch-Klangteppich vom Band – Ergebnis: ein beliebig assoziatives, eitel gespreiztes, austauschbar hypertrophes „Anything-goes“.
Noch schlimmer war, dass für den seine Homosexualität in Eigeninszenierung pflegenden Warlikowski Erotik und Sexualität nur in bedauernswerter Eindimensionalität zu existieren scheint und dementsprechend zu inszenieren ist: neurotisch gewalttätig, verquält akrobatisch, drogen-aufgeputscht. Prompt sind alle Frauen Nutten und Schlampen, alle Männer sexfixiert brutal und in der Mehrzahl homosexuell. Am Ende fragt ein leider mittelmäßig kesser Conferencier im Transvestiten-Look das Publikum, ob es in dieser Stadt gutes Theater gebe: Ja, in den thetaralisch wie künstlerisch glänzenden Film-Adaptionen von „Dogville“ und „Manderley“ des Metropoltheaters oder der fabelhaften „Cabaret“-Produktion des Gärtnerplatztheaters in eben dieser Reithalle. Er fragt, ob in dieser Stadt „Sex der Befreiung oder der Versklavung“ diene: Wie wäre es mit herzlicher Nähe, wärmender Geborgenheit und fröhlicher Lust? Nach Matthew Barneys „River of Fundament“ durfte also wieder ein heillos überschätzter Egomane seine verquast enge Weltsicht stundenlang auswalzen, ohne je in den Bereich künstlerischer Verdichtung zu kommen. Gähn!