Düsseldorf, 10. November – Wie wichtig sind diese Produktionen in diesen Zeiten! Die Tonhallen-Bühne einer Landeshauptstadt bereitgestellt für eine deutsch-israelische Kooperation, die im Echoraum 7. Oktober eine künstlerische Position bezieht, den Mut aufbringt, sich in ein Minenfeld zu begeben.
Gebrochene Seelen
Dass sie Letzteres nicht unbeschadet hat verlassen können, ist hier zunächst als ebenso sekundär anzusehen wie die schlussendlich angebotene Lösung, das Dunkle, das Undurchdringliche ins Utopische zu heben, in einem grenzüberschreitenden Tränenmeer der Frauen „auf beiden Seiten der Grenze, auf beiden Seiten des Krieges“ auflösen zu wollen. Primär ist vielmehr der Entschluss, sich einmal nicht wegzuducken, was, wenn die Beobachtung zutrifft, seit geraumer Zeit zu unserer zweiten Natur geworden ist – in den Künsten, in der Musik zumal. Über alles reden wir, nur nicht, ob und wie Kunst in der Lage ist, für den verhängten Schrecken, dem man nicht direkt ins Gesicht schauen kann, Bilder zu finden, die es ermöglichen, sich eben dazu zu verhalten.
Das jetzt in der Düsseldorfer Tonhalle zur Uraufführung gekommene Musiktheater „Dark Matter“, Finale des mit Vorliebe sich ironisierend gebenden, nach zehn Jahren zu Ende gegangenen Festivals „Schönes Wochenende“, hat ein solches Bild gefunden. Wir begegnen der Astronomin Noga. Sie ist allein in einer chilenischen Sternwarte auf 5000 Meter Höhe. Noga – Palindrom zu „Agon“, was Kampf bedeutet – kartografiert dort Dunkle Materie. „Ich will“, sagt sie, „das nicht Sichtbare beobachten“. Für den Komponisten Bojan Vuletić und seinen Librettisten Shlomo Moskovitz war das der Ausgangspunkt. Beide verbindet eine langjährige Künstlerpartnerschaft. Einer ersten Zusammenarbeit vor drei Jahren ist jetzt mit „Dark Matter“ eine zweite gefolgt, die das beherrschende Nachrichtenthema der Zeit wie in einem Spiegel einfängt, bricht. Am Sprechen darüber gebricht es. Ein von beiden zwanghaft locker geführter Einführungsdialog versuchte, zu überspielen, tänzelte von diesem zu jenem, umkreiste immerzu das dunkle Etwas, das da mit am Tisch saß. Wie sprechen, worüber sich kein Konsens erzielen lässt? Und wie daraus ein Musiktheater bauen, das anspricht, ohne daran zu zerbrechen?
Das Interesse für eine solche Extremaufgabe war zweifellos gegeben. Für einen nicht-kulinarischen Konzertabend war der Mendelssohn-Saal, die gute Stube des Düsseldorfer Konzerthauses, erstaunlich gut besetzt. Was hat gelockt? Sicher die Neugierde. Dazu aber auch anderes. Man sah Gesichter, die man in der hiesigen Szene sonst nicht sieht. Gesichter, in denen eine Frage stand: Was macht Kunst mit dem Riss, der durch uns hindurchgeht wie er durch die Stadt geht, die Freundeskreise?
Der Theatertext, den Moskovitz geliefert hat, sagt: Es gibt so etwas wie eine Schmerztherapie. Dafür aber muss Noga raus aus ihrer Sternwarte. Sie muss Na’ama suchen. Der Kontakt zur Lebensgefährtin ist abgebrochen. Jetzt kann sie Moskovitz um die halbe Welt schicken und, diese Wahrheit mutet uns der Autor zu, ausgerechnet an einem 9. Oktober in einem in Schockzustand befindlichen Tel Aviv landen lassen. Dort tritt Noga ein in eine Echokammer, die sich zum Zeitpunkt der „Dark Matter“-Uraufführung ins benachbarte Amsterdam verlagert hatte. Und die Heldin? Hat keine Zeit zu verlieren. Noga muss weiter. Ihr Ziel der Kibbuz, in dem Na’ama zu Hause war. Dort ist sie nicht. Also auf zur letzen Station dieser 14teiligen Reise in einen Albtraum: Baumhaus, Israel. So steht das da.
Was hat Vuletić daraus gemacht? – Zunächst hatte er den wirklich schönen Gedanken, die Musik zu dieser Reise ans Ende der Zeit für eine Besetzung zu schreiben wie sie Olivier Messiaen, freilich als Kriegsgefangener in Görlitz 1941 zwangsweise, für sein „Quatuor pour la fin du Temps“ gewählt hatte, womit die Parallelen allerdings schon zu Ende erzählt sind, indem aus Messiaens Klavier ein Konzertflügel geworden ist. Die Absicht erkennbar, Glanz in die Oberfläche zu bringen. Verhängnisvoll dann die Entscheidung, das Instrument, vor dem Pianistin Alina Bercu Platz genommen hatte, ebenso zu mikrophonieren wie die Geige von Egor Grechishnikov, das Cello von Nikolaus Trieb, die Klarinette von Christoph Schneider, wodurch den Ausführenden dann jede weitere Möglichkeit genommen war, mit eigenen Dynamisierungen zu reagieren. Stattdessen liefen die Fäden zu einem Mischpult, an dem dann leider nicht der Komponist Platz genommen hatte, sondern ein Tontechniker, der mit der Steuerung der Klangbalancen heillos überfordert war.
Intimes kammermusikalisches Musizieren mochte sich nicht einstellen. Und das wohl nur kompensatorisch zu verstehende Dauerespressivo führte über kurzem zur unvermeidlichen Ohren-Ermüdung, überlagerte die jugendliche Stimme von Vidina Popov. Die mühte sich redlich, konnte als gerade mal 32-Jährige allerdings kaum Augenhöhe gewinnen zu dem von Moskovitz mit Lebenserfahrung, Philosophie, Poesie prall angereicherten Theatertext. Wie auch, ward sie doch allein gelassen, blieb ohne Führung von außen. Dass Popov wie angeklebt im Bühnenhintergrund verharrte, dass sie den Namen der von ihr mit der Seele gesuchten Na’ama durchweg verkehrt aussprach, die wichtige Betonung auf die Frauen, damit auf die Versöhnungs-Utopie des Stücks, vernuschelte – das ging tatsächlich aufs Konto einer für „Dark Matter“ sträflich unausgewiesenen Regie.
Ein Schlamassel, aus dem die flackernden Visuals von Dietgard Brandenburg ebensowenig heraushalfen wie die ohne eigene Stilistik gebliebene Bühnenmusik von Vuletić. Und wir? – Wussten dann auch keine Antwort mehr auf die Frage, die aus Noga irgendwann herausgeplatzt war.
„Se shecharuach nish beret vehake ev babasar? Wie kann meine Seele brechen und der Schmerz in meinem Körper bleiben?“
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