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GIANNI an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Thomas Aurin
GIANNI an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Thomas Aurin
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Giannis Schick im Tinnitusauslösebereich – Versace als Opernheld bei „Gianni“ an der Deutschen Oper Berlin

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„Wie kurzweilig ist dagegen der ‚Tristan’“, bemerkte eine Besucherin neben mir nach Ende der knapp zweistündigen, pausenlosen Uraufführung. Jener Mythos, der zunächst Theater und Oper die stofflichen Vorgaben lieferte, inspirierte auch den Modemacher Gianni Versace. „Gianni“ kombiniert die Welt der Mode mit deren Gefahren. Aber der angekündigte „Aufstieg und Fall eines Superstars der Modewelt, das schillernde und zugleich tragische Leben Gianni Versaces mit seinem Aufstieg vom einfachen Stoffeinkäufer zum internationalen Stardesigner, aber auch das Schicksal seines Mörders, des ehemaligen Callboys Andrew Cunanan“ findet auf der Bühne der Tischlerei in der Deutschen Oper bestenfalls metaphorisch statt.

Der modeschauerfahrene Konzeptentwickler Martin Butler kombiniert als Librettoautor und Regisseur die Amsterdamer Voguing-Queen Amber Vineyard und deren Voguing-Tänzer mit dem Londoner Popsänger Alexander Geist, der Sopranistin Claron McFadden und dem Bariton Seth Carico. Als kompositorisches Triumvirat und als Klangmaschine auf der linken Bühnenseite agieren „Brandt Brauer Frick“.

Aber das Instrumentalensemble besteht nicht nur aus diesen drei Herren, sondern an Flügel, Keyboard und zwei Schlagzeugbatterien ist zusätzlich ein weiterer Spieler zu erleben. Häufig beginnen die 21 Nummern wie ein Chanson mit Klaviersolo, schrauben sich dann aber schnell in lautstärkemäßig schwer zu ertragende Klangballungen hoch. Im ohrenbetäubenden Gesamtsound ist der wirkungsvoll geschleuderte Brummkreisel akustisch nicht mehr auszumachen.

Die Produktion besitzt manche Eigenschaften des Genres Oper, etwa auch mit Bezügen zu Orpheus, Cerberus und Underworld, mehr aber vom Rock-Konzert, angefangen vom verspäteten Beginn bis zur Tinnitus-Gefährdung.

Die Nummernabfolge wird seitlich über einem Bar-Tresen projiziert, die Texte der Songs in englischer Originalsprache, die gesprochenen Texte aber nur partiell (offenbar nur, so weit diese sich nicht zu obszön sind) und ohne deutsche Übersetzung. So wurde einerseits dem Verständnis der „Verheißung von unbegrenzter sexueller Potenz“ Vorbeuge geleistet, andererseits wurden deplatzierte Lacher vermieden, wenn etwa das vergleichsweise harmlose „cruel little kitty cat cunt“ in der Übersetzung als „grausam enge Kätzchenfotze“ projiziert worden wäre.

Die Texte reimen sich („To the devil’s drum I come“) oder sie imaginieren diesen witzig durch dessen Vermeidung – wenn „me“ umgangssprachlich durch „I“ ersetzt ist. Wiederkehrende text-gesangliche Leitmotive bilden die Schlagworte „mythic cruelty“ und „Youth knows no death“.

Redundant und langatmig geraten ist der zweite, nahtlos angefügte Teil, mit ebenfalls zehn Nummern und einem elften als Epilog der gesamten Oper. Er könnte in der Tradition Brechtscher Lehrstücke verstanden werden, denn im „home of cocaine, of blood staines“, warnt Pythia die Boys davor, belogen, ausgenutzt und weggeworfen zu werden. „Sex sells“ war offenbar auch für diese Inszenierung die vorherrschende Devise.

Szenisch kommen dabei Requisiten des ersten Teils im zweiten neu ins Spiel, so gibt es etwa eine zweite Spiegelarie vor fahrbarem Rundspiegel, im dem der gesichtslose schöne John – offenbar mit Opernbezug zu Schlemihl und zu Dorian Gray – seine Identität verliert.

Zwei parallel geschaltete Bildschirme über der Bar zeigen rasche Schnitte von Fußball, Car Crashing und überschäumenden Flaschen.

Shan Blumes Dekoration übt sich erfreulich im Recycling von Versatzstücken aus anderen Musiktheater-Produktionen, der kreisrunden Projektionsfläche (wie in „Die Entführung aus dem Serail“) oder den zu Säulen angeordneten, farbig veränderbaren Leuchtröhren (wie in Peter Sellars’ Inszenierung „La Passion de Simone“). Dazu ein mit Mäandern verziertes Treppenpodest und ein vertikaler Catwalk auf dem schwarz verspiegelten Bühnenboden. Die zerstörten, sich brechenden Bilder der Video-Projektion gegen Ende sollen offenbar der Implosion des namenlosen jungen, männlichen Modells entsprechen: als Heranwachsender vergöttert, hat er mit 22 Jahren bereits ausgedient hat und ist am Ende.

Die Kostüme von And Beyond mischen, dem Gesang „some are naked, some are veiled“ folgend, Mode und Sex-Dressing, mit viel Leder und goldenem Latex, mit bis zu den Oberarmen reichenden schwarzen Handschuhen für John oder mit bodenlangen weißen Haaren für einen der He-Shes.

Eindrucksstark singt Claron McFadden die umfangreiche Partie der Pythia. Am Ende des ersten Teils schraubt die Sopranistin mit angenehm sonorer Mittellage den Ruf „Gianni“ in immer höhere Skalen, im zweiten Teil intoniert sie dann mehr im Musicalstil. Zunächst krönt die schwarze Pythia („I’m a rich golden cunt“) sich selbst, später die House Mother, die von Amber Vineyard fulminant verkörpert wird.

In der Doppelrolle von Medusa und dem jungen Nobody John brilliert der als „upcoming ‚Boy-Hero’ der internationalen Musikszene“ apostrophierte Popsänger Alexander Geist, in Elvis-Tradition minutenlang in selbstverliebt onanierender Ekstase wippend.

Den heterosexuellen Rezensenten beeindruckten mehr die erigierten Brustwarzen der beim singenden Umziehen als Schattenriss zu betrachtenden Amber Vineyard, die auch sonst nicht mit ihren Reizen geizte, bis ihr ausgiebig zur Schau gestellter nackter Arsch John zu seinem finalen Messerstich provoziert. In die Stille nach dem Ende der treibenden Grooves und energiegeladenen Klängen und über das Fade-out hinaus im Dunkel klingt das schrille Lachen der Pythia.

Die Macher des Musiktheaters von „Gianni Versaces Biografie als Voguing-Ball“ unterlagen offenbar der irrigen Ansicht, Oper sei laut und eine neue Oper müsse daher noch lauter sein. Der Pegel dieser Produktion überschreitet allerdings die Schmerzgrenze. Obgleich die Instrumentalisten sich gegenseitig mit Plexiglaswänden abschirmen, hielt sich einer von ihnen am Premierenabend immer wieder die Ohren zu. Besucher, die solches Tun in der Oper für unangebracht hielten, verließen das ansteigende Auditorium unter den dröhnenden Lautsprecherbatterien schon vor Ende der Aufführung.

Künftigen „Gianni“-Besuchern sei empfohlen, sich Ohrstöpsel mitzubringen, und die DOB-Marketingabteilung sollte, dem Muster von Duty-Free-Shops auf Flughäfen folgend, einen Verkaufsstand für Noise-Reduction-in-Ear-Headphones einrichten.

Mit dieser Produktion wollte Intendant Dietmar Schwarz offenbar weitere Schwellenängste abbauen, das Publikum verjüngen und zugleich neue Besucherkreise gewinnen. Dies scheint ihm partiell gelungen zu sein: zu meiner Linken saßen zwei junge Männer, die durch ihre Äußerungen merken ließen, dass sie zum ersten Mal eine Oper besuchten und die dann ihre klobigen Schuhe der davor sitzenden Frau in den Nacken stießen. Vielleicht lässt sich lässt sich diese Produktion tatsächlich stoned, unter Drogen, besser genießen.

Zwischen einiger Prominenz (am Vorvorabend des Tags der deutschen Einheit) und treuen Premierenbesuchern feierte die Berliner und auswärtige Scene am Ende alle Beteiligten mit lautstarkem Grölen.

  • Weitere Aufführungen: 7., 8., 12., 13., 14., 15. Oktober 2016.

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