Zum ersten Mal war in München Gabriel Faurés Oper „Pénélope“ von 1913 zu erleben. Die anspruchsvolle Premiere im Prinzregententheater entwickelte sich zu einem Überraschungserfolg.

Warten auf Odysseus: „Pénélope’ von Gabriel Fauré im Münchner Prinzregententheater mit Victoria Karkacheva und Loïc Félix. Foto Bernd Uhlig
Hypnotische Stellvertreterbegegnungen: Faurés „Pénélope“ bei den Münchner Opernfestspielen
Penelope wartet. Aber sie ist nicht allein. In jedem der schmucklosen Zimmer, in die wir gleichzeitig blicken (Bühne: Raimund Orfeo Voigt), sind andere Facetten und Subjekte dieses Wartens zu beobachten. Die Mägde, die angelehnt an Chantal Akermans Film „Jeanne Dielman“ ritualisierten Haushaltstätigkeiten nachgehen, warten darauf, endlich die auf Penelopes Entscheidung wartenden Freier loszuwerden, von denen sie malträtiert werden. Es wartet auch ein Sohn auf seinen Vater, eine stumme Rolle, die Regisseurin Andrea Breth hinzugefügt hat, denn im Libretto fehlt Telemachos.
Kompliziert zu durchdringen ist diese visuelle Aufspaltung, weil sich die singend dialogisierenden Figuren oft in verschiedenen Räumen befinden, was rätselhafte Stellvertreterbegegnungen hervorruft. Dies zu entwirren, wäre durchaus spannend, wäre Breth nicht auf die Idee verfallen, alles in Zeitlupe ablaufen zu lassen. Gerade im ersten Akt wirkt das eher wie eine Karikatur von Faurés hinreißend undramatischer Musik. Susanna Mälkki lässt sich mit dem Bayerischen Staatsorchester mit großer Präzision und lyrischer Gespanntheit auf die Partitur ein, die in der Rückschau wie ein Gegenentwurf zu Wagner einerseits und Debussy andererseits wirkt. Wenn die unterschwellig brodelnden Gefühls- und Erinnerungsregungen an die Oberfläche dringen, entwickelt sie eine von innen her leuchtende Strahlkraft, die einen in den Bann zieht.
Victoria Karkacheva ist eine ausgezeichnete Pénélope mit feinen Abstufungen, tragfähiger Tiefe und anrührenden Ausbrüchen. Brandon Jovanovich lässt in den überwiegenden lyrischen Passagen mit verschattetem Timbre das Alter und die Kriegserfahrung des Ulysse durchscheinen, hat aber auch für die Rückkehr zu alter Macht und für den Aufruf zur Rache die nötige tenorale Wucht. Von den herausragend besetzten übrigen Rollen, darunter Rinat Shaham als Euryclée und Thomas Mole als Eumée, sei Loïc Félix als Antinoüs hervorgehoben. Die für einen der üblen Freier erstaunlich attraktiven ariosen Passagen lässt der Tenor unwiderstehlich aufblühen. Als hervorragender Chor fungiert das Vokalensemble „LauschWerk“, einstudiert von Sonja Lachenmayr.
Nach der Pause kehren wir für den zweiten Akt zur Szenerie der Ouvertüre zurück. Anstelle von Penelope wird nun Odysseus im Rollstuhl durch einen nüchternen Skulpturenpark voller kopfloser Helden gefahren, ein trostloser Ausblick auf die Zukunft des wiedervereinten Paares. Im dritten Akt nimmt das Geschehen in den in Zeitlupe vorüberfahrenden Zimmerkästen auf hypnotische Weise Fahrt auf. Nach und nach hängen Freier statt Schweinehälften an den Metzgerhaken und Bogenschützin Daniela Maier vollführt einen atemberaubenden Akrobatik-Akt. Langsam fällt der Vorhang, Penelopes und Odysseus’ Hände nähern sich, doch sie berühren sich nicht.
Dem in weiten Teilen erstaunlich enthusiastischen Schlussapplaus nach zu schließen, hat Faurés subtile Musik in Verbindung mit Andrea Breths anspruchsvoller Lesart ihr Publikum gefunden. Vive Fauré!
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