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Im bunten Spielzeugland von Ken und Barbie

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David Alden inszeniert Alban Bergs „Lulu“ am Münchner Nationaltheater
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Ein roter Mund, ein sündiger Blick, so stellt man sie sich vor: Lulu, die femme fatale des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Doch wenn der Amerikaner David Alden in München inszeniert, dann weiß das Publikum, was es erwartet. Neben den großen Barockopern Händels hat Alden auch den letzten Ring an der Bayerischen Staatsoper auf die Bühne gebracht und immer war es bunt, grell und poppig.

Auch bei seiner jüngsten Produktion blieb Alden sich treu und servierte dem Publikum Lulu als große Mädchenpuppe, freilich nicht verrucht und sinnlich, sondern ganz aus Plastik, wie Kens Freundin Barbie. Nun ist die auf Frank Wedekinds Dramen „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ basierende Lulu keineswegs so vordergründig, wie der schnell erzählte Handlungsstrang es vermuten ließe. Dass da ein junges Mädchen mehrere Männer auf dem Gewissen hat, die soziale Leiter bis auf die Straße hinunter fällt und zu guter letzt durch die Hand eines Freiers stirbt, könnte leicht einen schlüpfrigen Beigeschmack haben. Was aber dem wilhelminischen Deut- schland noch verbietenswert erschien, ist heute auf jedem Kinderkanal angesagt.

Wie nähert man sich also dieser letzten, unvollendeten Oper Alban Bergs? Musikalisch hatte sich Michael Boder für die von Friedrich Cerha vervollständigte dreiaktige Version entschieden. Und mit Margarita De Arellano stand eine Sängerin zur Verfügung, deren Ausdruckskraft und äußere Erscheinung eine idealtypische Lulu in Szene setzte. Nun also wieder einmal Pop Art und grelle Farben, deutliche Sexszenen und Hemmungslosigkeit. Aber der Berg’schen Lulu bekommt diese Entschlackungskur. Die Obsessionen werden zeitloser, weil unverständlicher. Alden will nicht erklären und nichts beschönigen. Er erzählt den Handlungsstrang in plakativen Bildern und das Bühnenbild (Giles Cadle) ist beeinflusst von amerikanischen Realisten, wie Denis Hopper oder Gregory Crewdson. So wird das Unausweichliche des Untergangs bereits zu Beginn deutlich, wenn der Regisseur die Szene im mittleren amerikanischen Westen spielen lässt. Die Voyere sind überall und da ist es nur konsequent, aus dem Maler (Will Hartmann) einen zweiten Andy Warhol zu machen, der Lulu mit der Videokamera verfolgt und die besten Szenen als Pop-Art verkauft.

Neben all den aufgeladenen Männergestalten wirkt der Dr. Schön des Tom Fox seltsam gelassen. Selbst den größten Erniedrigungen steht er distanziert gegenüber, alles in allem ein psychologischer Technokrat. Menschliche Empfindungen gestattet Alden ausnahmslos seiner Gräfin Geschwitz (Katarina Karnéus), die sterbend ihrer Geliebten Lulu ein innig-rührendes „Ich bin dir nah! Bleibe dir nah, in Ewigkeit!“ zuruft.

Durch Aldens kühlen Blick auf das Geschehen und die handelnden Personen hebt er die Gleichförmigkeit der Beziehungsstränge hervor. So gelingt ihm, vieles von dem Wedekind’schen Panoptikum einzufangen: eine Moritat unserer Tage.

Musikalisch war die Oper bei Michael Broder in den besten Händen. Nach „Ubu Rex“, „Was ihr wollt“ und „Das Schloß“ bewies er in München mit Bergs Lulu erneut seine Versiertheit im zeitgnössischen Repertoire. Das Bayerische Staatsorchester nahm auch die Tücken des nachträglich orchestrierten dritten Aktes mit Bravour. Margarita De Arellano war die Lulu des Abends, eine Sängerin, die jeden in Bann schlug und der das Publikum mit stehenden Ovationen lautstark für ihre grandiose Leistung dankte.

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