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Szene aus „Amadigi di Gaula“ © Anna Kolata

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Im digitalen Albtraumland – Mit einer Neuinszenierung von Händels „Amadigi in Gaula“ werden die aktuellen Händelfestspiele in Halle eröffnet

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Georg Friedrich Händels „Amadigi di Gaula“ führt zwar nicht die Hitliste der heute aufgeführten Opern des Hallensers an. Aber ab und zu ist auch das 1715 in London uraufgeführte Werk auf der Bühne zu erleben. In Meiningen war diese Zauberinnenoper 2021 der Auftakt für die neue Spielzeit und Intendanz. Natürlich haben die deutschen Händelfestspiele sie im Visier. In Göttingen etwa gab es 2012 eine Inszenierung von Sigrid T’Hooft, die nicht gleich in dem dieser Regisseurin zugeschriebenen Wachskerzenschein, aber doch in betont historischem Gewand daherkam. Auch die Festspiele in Halle boten 2005 im Goethe-Theater Bad Lauchstädt den per se passenden Rahmen für Wolfgang Katschner und seine „Lautten Compagney Berlin“. Eine Aufführung im Opernhaus ist hier allerdings schon fast 60 Jahre her. Neben der musikalischen Qualität, alles Argumente, die für diese Oper als Eröffnungsbeitrag des heimischen Opernhauses für die aktuellen Händelfestspiele sprechen.

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Für das seine historischen Instrumente virtuos beherrschende Händelfestspielorchester ist der spanische Gastdirigent Dani Espasa ein Glücksfall. Hier stimmt die Chemie ganz offensichtlich. Präzise und mit Temperament fand er von Beginn an einen packenden Sound, kostete die lyrischen Passagen ebenso genüsslich aus wie er die Wechsel der Stimmungslagen präzise platzierte. Bei der Premiere waren allein die Bläser eine Klasse für sich! Espasa wahrte dabei stets die Balance zu dem durchweg fabelhaften Protagonisten-Quartett, das die vokale Hauptlast zu bewältigen hat. Und da herrschte (im Gegensatz zum Wetter, das die Eröffnungsfeier am Nachmittag vom Händel-Denkmal in die Konzerthalle Ulrichskirche scheuchte) eitel Sonnenschein.

Der polnische Countertenor Rafał Tomkiewicz kann in der Titelpartie als Amadigi seine Erfahrungen mit der Rolle (u. a. in Meiningen) voll ausspielen. Er fasziniert mit einer wohltimbrierten, geschmeidigen und zugleich kraftvollen Stimme. Er gehört in die Spitzengruppe der Vertreter dieses immer noch boomenden Stimmfaches. Aber auch die Damen um ihn herum liefern ohne Abstriche Festspielniveau. Die gerade mal 24-jährige Serafina Starke ist als die im Stück von Amadigi und dessen Begleiter Dardano begehrte Oriana eine Idealbesetzung, verbindet sie doch mühelos jugendlichen Charme mit Gefühl und Ausdruck. Yulia Sokolik mutiert mit geschmeidigem Mezzo und ihrer Ausstrahlung als Dardano überzeugend vom Begleiter Amadigis zu dessen Rivalen um die Gunst von Oriana. Dieser Dardano hat zwar im Verwirrspiel um Schein und Wirklichkeit einen Auftritt in Gestalt seines Rivalen und auch noch mal als Geist, aber er überlebt das von Melissa entfesselte Intrigenspiel nicht. 

Franziska Krötenheerdt stattet diese Zauberin nicht nur mit vokaler Perfektion, sondern auch mit überzeugendem darstellerischem Charisma als die Kanaille im Stück aus. Sie hat zudem mühelos das Quantum an dramatischem Furor parat, das Melissa braucht, um glaubhaft mit Hölle und Folter zu drohen, wenn sie ihren Willen durchsetzen oder sich einfach nur rächen will. Ihre Auftritte werden allemal zu spektakulären Höhepunkten. Dabei gebietet sie obendrein über ein halbes Dutzend dienstbarer Geister. Bei denen übertrumpfen die phantasievollen Kostüme, die angepasste Choreografie, die ihnen Michal Michal Sedláček geschneidert hat. In der kleinen Rolle des Deus ex machina am Ende hat Chorsolistin Deulrim Jo schon deshalb alle auf ihrer Seite, weil sie in der Rolle des Orgando keinen Geringeren als Händel selbst in Gestalt seines Denkmals auf dem Markt in Halle zum Leben erweckt. 

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Szene aus „Amadigi di Gaula“ © Anna Kolata

Szene aus „Amadigi di Gaula“ © Anna Kolata

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In einer Videoversion mit Blick (so ungefähr) ins Hallenser Stadtleben von heute endet diese Reise ins Albtraumland einer Scheinwirklichkeit zu der Louisa Proske (Regie), Kaspar Glarner (Ausstattung) und Jorge Cousineau (Videos) ihr Publikum entführen. Und für die sie aus einer Begegnung von barocker Opulenz und digitaler Gegenwart resp. Zukunft die packenden szenischen Funken zu schlagen versuchen, die dem musikalischen Glanz, den das Orchester und die Protagonisten verbreiten, entsprechen oder wenigstens standhalten. Einen Triumph kann hier vor allem Kaspar Glarner für sich verbuchen. Die stilisierten Barockkostüme sind gerade in Zeiten von Secondhand auf der Bühne eine Augenweide. Das fängt bei den grandiosen Roben der Zauberin an und reicht bis in die phantasievoll überbordenden Kostüme für die Tänzer. Dazu passen die Farbästhetik und Ornamentphantasie vor allem der Videos, mit denen Jorge Cousineau verzauberte Natur vorgaukelt. Die Grundannahme, dass alles im Inneren eines Riesenservers irgendwo und irgendwann spielt, aus dem sich zumindest zwei der vier darin Gefangenen am Ende befreien und zu Händel auf den Markt in Halle fliehen können, kann man nachvollziehen. Das Spiel mit einer „falschen“ Realität, das auch die Zauberin Melissa bei Händel so perfekt beherrscht, hat schon eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Abtauchen in digitale Paralleluniversen heute. Aber ob nun Melissa die personifizierte, außer Kontrolle geratene Künstliche Intelligenz ist oder auch nur ein Opfer, bleibt offen, auch wenn sie am Ende in einem der Serverschränke verschwindet. Und man fragt sich, wer eigentlich am Bedienungspult der Drohne sitzt, die immer mal auftaucht. Hinter aller Faszination bleibt es eine Umrechnung der barocken Bühnenzauberei in unsere digitale Optikwährung von heute. Die Personenführung würde jedenfalls hier wie dort passen. „Amadigi di Gaula“ ist alles in allem – und besonders musikalisch – ein „Händel in Halle“ wie es sich gehört! Der große Vorzug der hiesigen Händelfestspiele ist, dass die Produktion erstmal im Spielplan der Oper bleibt.

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Szene aus „Amadigi di Gaula“ © Anna Kolata

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