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L’Orfeo Barockorchester. Foto: Michi Gaigg
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Immer Ärger bei den Royals – Königs-Opern bei den Händelfestspielen Halle

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Bei den aktuellen Händelfestspielen in Halle standen unter anderem fünf Opern auf dem Programm. Neben „Orlando“, „Ariodante“ und dem erstmals in der Neuzeit aufgeführten Pasticcio „Caio Fabricio“ (mit Musik von Händel, Hasse u.a.) waren es das unvollendete Fragment „Fernando, Re di Castiglia“ (HWV 30) und „Siroe, Re di Persia“ (HWV 24). „Fernando“ gab es als eine konzertante (Ur-)Aufführung im Freylinghausensaal der Franckeschen Stiftungen. „Siroe“ lockte die Fan-Gemeinde wieder in das Carl-Maria-von-Weber-Theater nach Bernburg, dessen Charme die Festspiele seit einigen Jahren als Außenspielstätte nutzen. Eigentlich gehört es mittlerweile schon dazu.

Die Begegnung mit den beiden Königsopern hatte schon wegen der Form ihrer Präsentation einen jeweils besonderen Reiz. Sie hatten aber auch eine inhaltliche Gemeinsamkeit, die sich mit Immer Ärger bei den Royals beschreiben ließe. Es sind die Nachkommen des jeweilig Regierenden, die in beiden Fällen Ärger machen, der bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen führt. Aus den zeittypischen Verwicklungen, die Giacomo Rossi (nach Antonio Salvi) im Falle „Fernando“ und Niccolò Francesco Haym (nach einer Vorlage von Librettistenstar Pietro Metastasio) in der Causa „Siroe“ jeweils zu Libretti formten, würde man heute ganze Serien machen, um den Wechsel von guten und schlechten Zeiten durchzudeklinieren. Was die Ballung von Boshaftigkeiten, Intrigen, Missverständnissen und jähen Wendungen betrifft, können es die geistigen Vorfahren mit heutigen Script-Erfindern jedenfalls aufnehmen. Der Aufnahmefähigkeit der alten Stoffe beim heutigen Publikum kommt diese Verwandtschaft allemal entgegen.

Im Falle von „Fernando“ konnte man im Programmheft mitlesen, wie sich die Protagonisten vorn auf dem Pult vor den Instrumentalisten angifteten. Im Falle von „Siroe“ war es die Wiederbegegnung mit Gesamtkunstwerker Kobie van Rensburg, der 2019 schon einmal mit Händels „Atalanta“ 2019 in Bernburg zu Gast war. 

Das Fragment

Ausgrabungen wie Fernando gehören zum Ehrgeiz von Festspielen. Es findet sich selbst für Halle (oder auch Göttingen) immer mal noch ein Pasticcio oder eine „Gemeinschaftsarbeit“ von Händel und einem von ihm geschätzten Zeitgenossen wie Vinci.  Manchmal auch ein Fragment, das noch nie in dieser Form aufgeführt wurde. Wie jetzt das aus dem Jahre 1732, das von Händel als Oper unter dem Titel „Fernando, Re di Castiglia“ geplant war.

Für die (coronabedingt komplett abgesagten) Festspiele 2020 war für den Freylinghaussen-Saal bereits eine konzertante „Sosarme, Re di Media“-Aufführung  vorgesehen, bei der der Titel „Fernando, Re di Castiglia“ noch in Klammern dahinter stand. Auch damals waren schon Leo Duarte und die Musiker des Ensembles Opera Settecento gebucht. Vom Cast wäre Susanna Fairbairn, die auch jetzt die portugiesische Königstochter Elvira verkörpert, dabei gewesen. 2022 stand nun Händels ursprünglicher Arbeitstitel ohne Klammer über der als Gedenkkonzert zu Ehren von Manfred Rätzer ausgewiesenen Aufführung.

Der im April 2021 im Alter von 91 Jahre verstorbene Hallenser Ökonomie-Professor war bis an sein Lebensende ein leidenschaftlicher Händelianer. Ihm verdankt die Stiftung Händelhaus den Grundstock des Aufführungsverzeichnisses aller Händeolpern und Oratorien von der Uraufführung bis in die Gegenwart und das weltweit! Man kann sich heute zu Zeiten des Internets kaum noch vorstellen, mit welcher Energie und Akribie Rätzer diese selbst gestellte Aufgabe, noch dazu unter DDR-Bedingungen, erfüllte. Über die Homepage des Händelhauses in Halle ist seine Datenbank heute (ganz in Rätzers Sinne) jedermann zugänglich.

Völlig aus dem Nichts tauchte „Fernando“ natürlich nicht auf. Das Fragment ist ein abgebrochener Umweg zu Händels, 1732 im King’s Theatre am Haymarket uraufgeführter Oper „Sosarme, Re di Media“. Dass „Fernando“ damit der Vorgänger des aktuell vom Opernhaus gelieferten „Orlando“ war, ist eine zufällige Pointe der angepassten Festspielplanung.

Zu Händels Zeiten waren es vermutlich die politischen Konstellationen des Librettos, die mit den damaligen außenpolitischen Interessen der englischen Krone kollidierten und zu Händels Umweg führten. Es geht schließlich um einen royalen Machtkampf um die Krone Portugals, bei dem die Fetzen fliegen und in dem am Ende der König von Kastilien vermittelt und schlichtet. Da die Beziehungen Londons mit Portugal traditionell (und bis heute) enger sind, als die mit Spanien, schien das vorgesehene Sujet nicht so ganz zu passen. Pragmatisch wie er immer war, steuerte Händel um und verlegte den Plot vom ursprünglich vorgesehenen portugiesischen Coimbra nach Sardes in die Hauptstadt Lydiens. Bei der Umarbeitung von „Fernando“ zu „Sorsame“ fielen von den 460 Rezitativ-Versen ungefähr 95 – so das Programmheft – der Kürzung anheim. Das Fragment endet mit der 12. Szene des zweiten Aktes. Man ahnt da schon, dass ein lieto fine unvermeidlich wird. Damit das Ganze im Konzert nicht einfach abrupt aufhört, überlassen Leo Duarte, seine Musiker und sämtliche Protagonisten dem Finale von „Sosarme“ das letzte Wort. Nach der Pause gab es mit Händels Konzert Nr. 1 g-Moll für Oboe und Streichorchester (HWV 287) noch eine weitere Einfügung, sozusagen in eigener Sache – da griff der gelernte Oboist Duarte nämlich selbst zur Oboe.

Der italienische Counter Francesco Giusti stattete Fernando, den König von Kastilien, mit einem originell metallenem Timbre aus. Der britische Counterkollege Nicolas Scott war der königliche Kollege aus Portugal. Mezzosopranistin Ciara Hendrik überzeugte als seine auf Versöhnungskurs eingestellte Gattin Isabella, Susanne Fairibirn als deren Tochter. Der Crash im Hause Portugal entbrannte, weil Prinz Alfonso (mit etwas diffusem Alt: Charlie Morris) die Macht an sich reißen und den außerehelichen Sohn des Königs Scanio ausschalten wollte. Für den war kurzfristig der Countertenor James Laing eingesprungen. Frederick Long komplettierte das Protragonitenensemble als finsterer portugiesischer Premierminister Altomaro.    

Auf dem fliegenden Teppich

Auch in Händels 1728 uraufgeführter Oper „Siroe“ geht es in einem Königshaus zur Sache. Obwohl die Oper so heißt, ist Siroe (Altus Clint van der Linde gibt ihn als den bedrängten Sympathikus) noch gar nicht der König von Persien, sondern der Kronprinz. Es geht um den Dauerclinch, den es bei der geplanten Thronübergabe vom herrschenden Vater (Matthias Helm mit einer für Händels Verhältnisse erstaunlich ausführlichen, höchst überzeugend bewältigten Basspartie) an den Erstgeborenen gibt. Vor allem, weil sein nicht sehr sympathischer jüngerer Bruder Medarse nicht nur selbst scharf auf die Krone ist, sondern auch bereit, zu jedem Intrigenmittel zu greifen, um sie zu bekommen. Altus Nicholaus Haridades ist dieser Fiesling vom Dienst. Schwung kommt in die Sache, weil es die in Siroe heimlich verliebte Emira (Sopranistin Annastina Malm), die aber dessen Vater tödlich hasst, inkognito, als Mann Idaspe verkleidet, bis zum engsten Vertrauten des Königs bringt. Und, weil neben einem loyalen Staatsdiener Arasse (Bassist Philipp Kranjc) dessen Schwester Laodice (Sopranistin Amelie Müller) als Maitresse des Königs eigentlich auf den Junior scharf ist. Es ist halt eine gepfefferte sex-and-crime Mischung a la Metastasio!

So anschaulich wie bei Kobie van Rensburg hier das Schwert des Henkers über dem unschuldigen Haupt Siroes hängt, ist man froh, dass das lieto fine unausweichlich ist. Das boshafte Aufblitzen und die Ihr-werdet-euch-noch-wundern-Geste des gerade begnadigten Fieslings Medarse inklusive.

Kobie van Rensburg hat seine spezielle Mischung aus Blue-Screen-Technologie und Videoanimation, also die zeitgleich präsentierte Melange aus kostümierten Livesängern in der unteren Bühnenhälfte und deren Ergänzung mit einer computeranimierten Tausendundeinenacht Kulisse auf der Leinwand der oberen Hälfte inzwischen zur Perfektion getrieben. Ein digitalisierter Postbarock, der einfach Spaß macht. Inklusive der nicht nur fliegenden Teppiche oder orientalischen Zaubertelefone.

Das L’Orfeo Barockorchester unter Leitung von Erich Traxler sorgte bei diesem, mit den Donaufestwochen im Strudengau 2021 koproduzierten Opernmärchen in Bernburg für den musikalischen Drive, der das Ganze rundum zu einem Vergnügen machte. Der Jubel war entsprechend!

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