Katie Mitchell überhebt sich in Amsterdam mit ihrem Versuch aus der Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal einen feministischen Science-Fiction-Thriller zu machen. Dirigent Marc Albrecht hingegen lässt die Musik in ihrer ganzen opulenten Pracht erklingen.

Dutch National Opera – Die Frau ohne Schatten 2025. Foto: © Ruth Walz
Inszenierungs-Behauptungen – „Die Frau ohne Schatten“ in Amsterdam
„Die Frau ohne Schatten“ gehört zu den Opernprunkstücken von Richard Strauss, deren Libretto-Ungereimtheiten die Fangemeinde gerne übersieht, wenn sie nur in die Musik eintaucht und schwelgt. Anders als beim „Rosenkavalier“ hätte der Text des kongenialen Dichterpartners Hugo von Hofmannsthal für sich genommen in dem Falle wohl kaum eine Chance. Das Mutterschafts-Märchen-Monstrum aus dem Jahre 1919 ist per se für alle eine Herausforderung. Fürs Orchester, die Protagonisten, für die Regie und nicht zuletzt fürs Publikum. So ist das halt, wenn Übermächte im Spiel sind, wie die Amme im Stück so vielsagend raunt. Dabei bleibt ein Teil der Diagnose von möglichem Beziehungsfrust, die Kinderlosigkeit verursachen kann, auch in halbwegs emanzipierten Zeiten ohne weiteres relevant. Das ganze Drumherum ist eine Steilvorlage für deutungsmutige Regisseure, an der man auch gehörig scheitern kann.
Wenn man sich musikalisch – wegen erwiesener Kompetenz – an Christian Thielemanns Strauss-Deutungen (wie vor zwei Jahren in Dresden) orientiert, dann gehört auch Marc Albrecht allemal zu den vergnügungssteuertauglichen Strauss-Dirigenten. Dass er insbesondere die ausufernde „Frau ohne Schatten“ drauf hat, bewies er nicht erst 2023 in Köln unter den akustischen Sonderbedingungen der dortigen Ausweichspielstätte im Staatenhaus, wo das Orchester neben der Spielfläche platziert war. Er stand auch schon 2008 in Amsterdam wie jetzt wieder am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest, das zu den Orchestern gehört, die die Niederländische Nationaloper bespielen. Damals erlebte hier die Genfer Inszenierung von Andreas Homoki aus dem Jahre 1982 ihre Wiederauflage.
In der aktuellen Neuinszenierung von Katie Mitchell sind die Musiker im erstaunlich weit hochgefahrenen ausladenden Graben und ihr Dirigent die Stars des Abends. Hier türmen sich Klanggebirge, die von Blechbläsern überglänzt werden, hier übernehmen die Streicher ihren gefühlvollen separaten Part. Und auch wenn es mal so richtig scheppert oder dräut, bleibt alles Musik, die nicht jedes Wort platt macht. Daniela Köhler und AJ Glückert waren schon in Köln das Kaiserpaar. Sie liefern jetzt akzeptable Rollenportäts, wobei Glückert mehr mit seinem angenehmen Timbre, als mit Intensität Eindruck macht und auch Köhler ihrer Rolle erst im dritten Aufzug mit Wandlungsfähigkeit auszustatten vermag. Es ist zwar wohltuend, dass es Josef Wagner als Barak nicht mit der erbarmungslosen Güte übertreibt, aber er verpasst dem Gutmenschen im Stück gleich so viel moderne Coolness, dass auch das Mitgefühl mit ihm zu weiten Teilen auf der Strecke bleibt. Auch Aušrinė Stundytė als Färberin wirkt vor allem in ihrem Spiel kontrolliert gebremst, während Michaela Schuster voll auf ihre bewährte, wuchtige Bühnenpräsenz setzt, um die diabolische Aura zu imaginieren, die die Amme im günstigsten Fall auch durch vokale Gestaltung erreicht. Aus dem Ensemble der kleineren Rollen ragt Sam Carl als Geisterbote heraus.
In Amsterdams freilich stehen sie alle im Banne von Katie Mitchell Versuch, aus der „Frau ohne Schatten“ einen ‚feministischen Science-Fiction-Thriller‘ zu machen, wie es im Programmheft heißt. Dabei verkümmert aber das Potenzial beider Paare für ihre Beziehung einen Neustart zu finden, im Schatten einer Parallelwelt von mafiosen Geistern.
Für die ersten beiden Aufzüge gibt es bei Ausstatterin Naomi Dawson jeweils eine Zweizimmer-Breitbandbühne. Bei Kaisers nüchterne nobel; bei Färbers, eine Etage darunter, etwas voller mit Küche neben dem Schlafzimmer mit kitschigem Kunstweihnachtsbaum. Im dritten Aufzug dann geht es in den finsteren zweigeschossigen Keller einer Klinik. Hier geht es nämlich um Fortpflanzung. Der symbolische Schatten der Vorlage, wird bei Mitchell ganz naturalistisch zum Ultraschallbild, das über eine Schwangerschaft Auskunft gibt. Die Frau gilt nur als Mutter. Fortpflanzung ist offenbar der kategorische Imperativ für die Bewohner aller Etagen dieser Welt: Das Ultraschallgerät für Frauen so gängig wie das Blutdruckmessen. Zwischen all dem freilich spuken Gestalten mit Tiermasken. Schnell wird klar, dass der Mann mit der Gazellenmaske Keikobad ist. Seine Helfer, sind nicht wie bei Wotan Raben, sondern Wölfe. Sollen diese Wolfsmasken-Männer mit Mafiakillermanieren das Archaisch-Männliche sein? Oder nicht doch einfach nur der missglückte Versuch, dem Alltagsambiente zweier verschiedener kinderloser Paare einen mystischen Überbau zu verpassen?
Am gründlichsten schief geht das mit dem Jüngling (Egor Zhuravskii), mit dem die Amme die Färbersfrau dazu verführen will, ihre (nicht genutzte) Fähigkeit, Kinder zu bekommen, an die Kaiserin zu verhökern. Da wird nämlich von der schießwütigen Mafiatruppe von der Färbersfrau und einem wie von der Straße weggefangenen jungen Mann mit Pistolen im Anschlag ein Quickie erzwungen, der, auch beim Wiederholungsfall, zur unfreiwilligen Lachnummer wird. Genauso verquer gerät das Ende. Nach allerlei medizinischem Hokuspokus, reichlich bedeutungsschwangerem Vorwärts- und Rückwärtsschreiten der Hilfstruppen Keikobads, wird der Kaiser aus dem künstlichen Koma geholt und die Ultraschallbilder bei Kaiserin und Fäbersfrau deuten auf ersehnten Nachwuchs. Wobei der Bildschirm bei der Färbersfrau (unabsichtlich) streikt – offensichtlich waren wenigstens da am Premierenabend wirklich Übermächte im Spiel. Ihren Foto-Abzug kriegt sie dennoch. Und die aus der Verbannung im Keller geholte Amme darf sich mitfreuen. Am Ende werden auch die – warum auch immer – zwischenzeitlich weggesperrten Brüder Baraks auf die Wartezimmerstühle platziert. Aber nicht, um in den Kinderjubel einzustimmen, sondern nur, um mit der Amme kurzerhand erschossen zu werden. Das ist schon ziemlich starker Tobak, der allein schon der furchterregenden Menschenkinderaufzucht, die Vernichtung nicht so makelloser Exemplare schon lebender Menschen hinzufügt. Falls das als ein großes Menetekel gemeint gewesen sein sollte, dann bleibt es eine Behauptung, die in der Mischung aus surrealen Alptraumbildern und naturalistischem Medizinambiente nicht wirklich hergeleitet wird. Abgesehen davon, dass die Frage bleibt, wie bei einem ominösen Herrscher ohne Sprache mit dem Kopf einer Gazelle denn diese Wesen aussehen sollen.
Der Versuch, die Geschichte gleichzeitig auf ihren psychologisch medizinischen Kern zu reduzieren und das mit Bildern eines archaischen Surrealismus zu überblenden, bleibt in einer Sackgasse von Behauptungen und offenen Fragen stecken. Über die letztlich selbst die Musik nicht hinweghilft. Immerhin tröstet sie.
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