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„Das Paradies und die Peri. Chor der Hamburgischen Staatsoper, Vera Lotte Boecker. Foto: © Monika Rittershaus

„Das Paradies und die Peri. Chor der Hamburgischen Staatsoper, Vera Lotte Boecker. Foto: © Monika Rittershaus

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Intendanzstart in Hamburg – Tobias Kratzer eröffnet seine Intendanz mit Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“

Vorspann / Teaser

Der Spielzeitauftakt eines Opernhauses wird besonders dann als großes Spektakel mit Tanz in allen Räumen und der Verheißung von Aufbruch und Neuerfindung zelebriert, wenn er mit einer neuen Intendanz zusammenfällt. Zürich und Hamburg haben das gerade vorgemacht. In Hamburg hat Tobias Kratzer übernommen. Dass er gerade zum Regisseur des Jahres gekürt wurde, passt da wie bestellt, ist aber redlich verdient.

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Der Fünfundvierzigjährige hat im Laufe seiner Karriere nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal mit einem eigenen Grand-opéra-Zyklus an verschiedenen Häusern. Er hat mit seinem „Tannhäuser“ auch den Bayreuther Festspielen einen Erfolg mit Kultstatus verschafft, bei dem er viele der einst dort geltenden Tabus gleichzeitig gebrochen hat. Videos, Überschreibung mit einer Parallelgeschichte und eines neuen Videogags in jedem Jahr, eine Pausenbespielung im Park, die Einbeziehung des Hauses selbst und der Festspielchefin persönlich. Bei alledem eine ungemein berührende Variante der Geschichte. Als Regisseur ist Kratzer eine unumstrittene Größe. Den Beweis, dass er auch den selten gewordenen Berufsstand eines regieführenden Intendanten beherrscht, kann (und muss) er jetzt in Hamburg antreten.

Mit der ersten eigenen Auftaktinszenierung hätte er es sich wahrlich leichter machen können. Mut und Risikobereitschaft gehören aber ins Portfolio seiner Eignungen für den Intendantenjob. Im Falle von Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“ aus dem Jahr 1843 setzt er nicht auf die Sogkraft des allgemein Bekannten, sondern wettet auf die Neugier des Hamburger Opernpublikums. Und wohl auch auf die Zugkraft seines Namens. Nicht nur Schumanns verquer charmante „Genoveva“, sondern auch sein weltliches Oratorium „Peri“ ist schon auf seine Bühnentauglichkeit getestet worden. Spektakulär war etwa der Versuch von Tänzer- und Choreographenikone Gregor Seyffert und dem österreichischen Multitalent Gottfried Helnwein, 2004 in Düsseldorf und dann 2008 in Dessau ein Tanzdrama daraus zu machen.

Die Peri ist ein fantastisches Luftwesen aus der orientalischen Märchenwelt. Halb Engel, halb Mensch ist sie wegen ihrer Herkunft aus dem Paradies vertrieben worden, will aber unbedingt wieder dorthin zurück. Wenn sie am Himmelstor erneut Einlass begehrt, dann muss das mit einer besonderen Gabe beglaubigt werden, um Gnade vor den Augen der Himmelswächter zu finden. Peri hat weder mit dem letzten Blutstropfen eines Patrioten, der sich für sein Volk opfert, noch mit dem letzten Atemhauch einer Frau, die ihrem erkrankten Geliebten in den Tod folgt, Erfolg und wird immer wieder abgewiesen. Erst die Reueträne eines bekehrten Sünders als Gabe verschafft ihr den ersehnten Zugang. In Hamburg ist es so, dass die Peri zu ihrem eigenen Erstaunen in den Chor aufgenommen wird, der ein großes Willkommen zum Besten gibt. Der bis dahin als spielführende Tenor Kai Kluge hilft Peri als Bühnenarbeiter in die Konzertrobe. Nach ihren Erfahrungen mit den Menschen und ergriffen von der Macht der Musik glaubt sie aber nicht mehr an eine himmlische Erlösung und stürzt zur Verblüffung aller von der Bühne.

Suchen kann man das Paradies, finden wird man höchstens andere Menschen oder den schönen Schein von Kulissen. So ungefähr könnte man das Fazit ziehen. 

Auf dem Weg zu diesem Ergebnis kombiniert Kratzer gekonnt einen ganzen Strauß von bewährten Regietricks, um das Publikum einzubeziehen. Die Zuschauer werden in einem live gefilmten Video von Zeit zu Zeit Teil des Bühnenbildes. Dass sich da der eine oder andere selbst zuwinkt, funktioniert erwartungsgemäß. Wenn Peri mit Theaterblut übergossen wird, springt eine Buh-Ruferin empört auf und verlässt den Saal. Wenn aufs Stichwort Schlaf ein Herr beharrlich wegschlummert, hält man das sogar für einen Moment für echt. Bei den Tränen, die sich Peri dann selbst aus dem Zuschauerraum von einem älteren Herrn holt, weiß man dann, dass es dazugehört. Das alles ist Teil der Willkommens-Anmutung, die der Abend insgesamt ausstrahlt, ohne sich platt anzubiedern. Kratzer, wie immer im Bunde mit seinem Ausstatter Rainer Sellmaier, unterläuft mit einer Proben- beziehungsweise Studioatmosphäre dezent kalkuliert das Pathos der Musik, für die der neue GMD Omer Meir Wellber am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters sorgt. Vera-Lotte Boecker wiederum macht darstellerisch und vokal überzeugend klar, welche emotionale Macht in Musik gegossene Erfahrung haben kann.

Bei ihrer Ankunft auf der Erde landet Peri zwischen hektisch strömenden Passanten von heute. Ihre Engelsflügel hat sie verloren, nur ein paar Federn liegen noch herum. Neben den eher nüchternen Ausstattungselementen wie dem Quarantänezelt für den Todkranken, ist die Glaskuppel ein opulenter Coup. Dort spielen Kinder mit Autos und Flugzeugen zwischen Miniaturhäusern und Schornsteinen. Dass der Rauch, der alsbald diese Kuppel füllt, nicht nur ein Verweis auf die Klimakrise ist, sondern auch noch eine andere Bedeutung hat, kontaminiert nicht nur die Welt unter der Glaskuppel, sondern eben auch ein solches Bild. Als schockierende, tränenauslösende Metapher freilich passt es.

Die Flucht der domestizierten Peri am Ende gehört zu den dialektischen Pointen, die zu den Markenzeichen eines Regisseurs gehören, der nicht an der Optik, aber an der Qualität seiner Arbeit zu erkennen ist. Am Ende wird nicht nur (auch in der zweiten Vorstellung) eine kluge, hintersinnige Inszenierung bejubelt, sondern auch eine musikalisch glänzende Produktion. Dabei leisten der von Alice Meregaglia einstudierte Chor aber auch das gesamte Protagonistenensemble ihren Beitrag. Vom ausdrucksstarken, als Spielführer dauerpräsenten Tenor Kai Kluge über den Counter Ivan Borodulin als Engel, den Bariton Christian Pohl bis hin zu Sopran Eliza Boom und Altistin Annika Schlicht und Lunga Eric Hallam als Jüngling. In Hamburg ist ein überzeugendes Willkommen gelungen.

 

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