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„Der Teufel im Lift“ an der Neuköllner Oper. Foto: © Thomas Koy

„Der Teufel im Lift“ an der Neuköllner Oper. Foto: © Thomas Koy

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Kantatical mit Bach, Geist und Witz: „Der Teufel im Lift“ an der Neuköllner Oper

Vorspann / Teaser

Johann Sebastian Bach hat keine Musiktheater-Stücke hinterlassen, sofern man nicht wie vor einigen Jahre die lautten compagney BERLIN für das Leipziger Bachfest einige weltliche Bach-Kantaten als ‚serenata‘, also Oper für besondere Spielstätten, in Szene setzt oder die großen Passionen auf die Opernbühne bringt. „Der Teufel im Lift“ mit den spirituell gewitzten Texten John von Düffels für die Neuköllner Oper ist ein Pasticcio aus dem Kirchenkantatenwerk Bachs. Das leichtgespinstige wie minimal mysteriöse Crossover sollte man sich nicht entgehen lassen.

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    Vor eineinhalb Jahren brachte die lautten compagney BERLIN die Johannespassion heraus – mit dem Countertenor Reginald Mobley in der Basspartie des Heilands und mit einer auch in choreographischen Sequenzen schlichten, deshalb tatsächlich modern wirkenden Lesart. John von Düffels Dialog-Überbau für die Neuköllner Oper möbelt die Seichtheiten des Zivilisationsnomaden-Daseins mit Aphorismen auf. Er bringt mit diesen seine Story tatsächlich in wortwörtlichen Einklang zum dualistischen Religionsweltbild des frühen 18. Jahrhunderts, ohne das Bachs Kirchenkantaten für Mühlhausen, Weimar und Leipzig nicht möglich geworden wären. Damit hat die lautten compagney BERLIN mehrere Approximative heutigen Theaters durch: Das opulente mit den weltlichen Kantaten als Schmuck auf langer Tafel, das engagiert-eindringliche als Passionstheater und jetzt in der Neuköllner Oper die ziemlich anspruchsvolle, weil das Publikum durch metaphysische Nadelöhre fordernde Hochgeist-Komödie in der Nachfolge von Botho Strauß.

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      „Der Teufel im Lift“ an der Neuköllner Oper. Foto: © Thomas Koy

      „Der Teufel im Lift“ an der Neuköllner Oper. Foto: © Thomas Koy

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      In der ungewöhnlichsten Konstellation ist nach der lautten compagney-Johannespassion auch hier die Countertenor-Position – diesmal als Witz- & Wirksamkeitsjoker. Elmar Hauser ist dieser mephistophelische Kobold und Bonvivant zwischen der Lobby des Hotels Heaven und der Tiefe. Er nimmt diesen Job schon auch mal zynisch und zotig, vor allem aber zart, galant und verführerisch. Die Männerstimmen sind hier die mit eleganter Verve, die Frauen kontern fein und manchmal mit erlesener Trockenheit.

      Das Handlungskonstrukt könnte auch von Helmut Krausser sein – aus seiner frühen Phase, in der er die Callas im Spannungsfeld himmlisch-höllischer Kräfte zeigte. Der Wissenschaftler Professsor Sánchez arbeitet an einem im Dienst an der Menschheit den Alterungsprozess aufhaltenden Therapiecode. Er sieht überdies in letzter Zeit immer besser und jünger aus. Elías Arranz spielt ihn wie einen in Bachs Kantaten-Kosmos entführten Mozart-Galan. Zum Interview mit der Fachjournalistin Raquel (Frieda Jolande Barck) bleibt es nicht beim Texten – sie wird schwanger. Außerdem trifft Sánchez auf die mysteriöse Blanche, die irgendwie einen sympathetischen Schuss weg hat. Der Nachtportier (Christian Pohlers) hatte mal Kunstambitionen und macht es sich in seinem kommunikativen Job jetzt aufregend bis erregend hübsch. Ein ziemlich abgefahrenes Quartett also schicken von Düffel und der mit boulevardesker Leichtigkeit die Regie-Hand anlegende Ansgar Weigner in Jürgen Kirners Lobby mit einem Aufzug, dessen Digitalanzeigen meistens „Vorabend“ und „Valentinstag 2024“ anzeigen. Ersonnen hat das Neuköllner-Oper-Prinzipal Bernhard Glocksin. Das zeitgemäße Flirren ist aber eine Sache des Ensembles. Dieses Quartett liefert topsicheren Gesang mit Barockkompetenz und Stilsicherheit, verblendet diesen dazu perfekt mit der liebenswerten szenischen Feinarbeit.

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        „Der Teufel im Lift“ an der Neuköllner Oper. Foto: © Thomas Koy

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        Daneben hört man von der mit sechzehnköpfiger Besetzung aufspielenden lautten compagney im Saal der Neuköllner Oper ungewöhnliche Transparenz. Das für seine seidigen Tiefen-Frequenzen rühmliche Ensemble zeigt bei den Aufzug-Flitzereien zwischen Lobby und christlichem Tartarus eine fast perfide Virtuosität. In dieser finden sich zwischen Bachs Switch von Pergolesis „Stabat mater“ in eine eigene Kantate, Chorälen zum Mitsingen und dem bekannten Themen-Schwerpunkt eines ellenlangen Sühneregisters auch Inseln von arkadisch-idyllischer Schönheit. Ein vielfältiger Musiktheater-Abend, dessen Bouquet mit einer Nuance von spirituellem Tiefgang sich erst allmählich und nicht zu kräftig entfaltet.

        • Vorstellungen noch bis 5. November 2023

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