Ravenna ist bekannt und unbekannt zugleich. Wer wüsste nicht vom Reichtum der Mosaiken, dem Grab Theoderichs des Großen oder ähnlichen Fragmenten deutscher Italienkenntnis zu berichten.
Ravenna ist bekannt und unbekannt zugleich. Wer wüsste nicht vom Reichtum der Mosaiken, dem Grab Theoderichs des Großen oder ähnlichen Fragmenten deutscher Italienkenntnis zu berichten.Aber das gegenwärtige Ravenna, die kleine Hafenstadt an der Adriaküste, in großer Nachbarschaft von Venedig oder Rimini ist unbekannter als manch erinnerungsloser Badestreifen Spaniens. Dass unter der engagierten Intendanz von Maria Christina Muti in diesem Jahr das 12. Festival über vier Wochen Musik, Theater und Kunst vereint, hat sich zwar unter Fachleuten vom Hörensagen herumgesprochen; Genaueres verliert sich jedoch vielfach in den Weiten der italienischen Landschaft.Ein Blick in das diesjährige Gesamtprogramm vermittelt den Eindruck einer erstaunlich abwechslungsreichen, daneben aber auch konzeptionell interessanten Veranstaltungsabfolge. In diesem Jahr, das dem künstlerischen Nachwirken William Shakespeares gewidmet ist, waren Jeffrey Tate, Pierre Boulez, James Levine und selbstverständlich mehrmals Riccardo Muti zu Gast mit Orchestern wie den Wiener Philharmonikern, den Münchner Philharmonikern, dem Orchester der Mailänder Skala und dem Orchestra Nazionale della RAI. Da Ravenna über ein schönes, biedermeierliches Opernhaus verfügt, standen auch wiederum zwei Opernproduktionen auf dem Spielplan: die Bellini Oper „I capuletti e i Montecchi“ und als Hommage an Verdi, von dessen hundertstem Geburtstag in diesem Jahr schon mehrfach die Rede war, „Falstaff“.
Letzterer, eine Koproduktion des Ravenna Festival mit dem Tetro Verdi di Busseto, war der berühmten Toscanini-Produktion der Jahre 1913 und 1926 nachgebaut. Falstaff, in diesem Jahr wie keine zweite Oper Verdis in allen Richtungen gedeutet, sollte hier also original-antiquiert über die Bühne/Rampe kommen. Man war gespannt und skeptisch zugleich. Wie wohl die Papmaschee-Dekorationen wirken würden und die alten Kostüme? Der Abend selbst brachte dann eine wohltuende Überraschung. Italienisches Musiktheater vom Feinsten:
Riccardo Mutis Auffassung verstärkte den lyrischen Glanz dieses späten Verdiwerkes und die Musiker der Mailänder Skala atmeten in ihren Reihen den Geist einer kontinuierlichen Falstaffpflege, die mit dessen Uraufführung 1893 an eben jenem Opernhaus begann, dessen Namen das Orchester ziert.
Wer Verdi wörtlich nimmt – und das kann ein italienisches Publikum ohne jede Sprachbarriere –, dem vermitteln sich die vielen oft derb zweideutigen textlichen Anspielungen ganz unmittelbar. Eine historisierende Inszenierung wie die von Ruggero Cappuccio muss dann nur noch das umsetzen, was die Musik im Orchestergraben vieltönend vorzeichnet. Die Interpretenriege wurde angeführt von Juan Pons, der seit seinem glänzenden Debüt mit dieser Rolle 1980 in der Inszenierung von Giorgio Strehler sich als einer der sachkundigsten Falstaff-Darsteller erwiesen hat.