Hauptbild
Szenenbild aus Aiadne. Foto: © Torsten Kollmer
Szenenbild aus Aiadne. Foto: © Torsten Kollmer
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Klänge aus dem Nichts im gedanklichen Labryrinth – Uraufführung einer neuen Ochestrierung von Martinůs „Ariadne“ beim Jungen Forum Musik + Theater in Hamburg

Publikationsdatum
Body

Originalität mit Innovation paaren die Musiktheateraufführungen im Jungen Forum Musik + Theater in Hamburg. Die Regieabsolventin der Theaterakademie Hamburg, Friederike Blum koppelte für ihre Abschlussinszenierung die aus Monteverdis „Arianna“-Oper einzige erhaltene Klage mit der Madrigal-Version desselben Komponisten und mit der 650 Jahre jüngeren, einaktigen Oper „Ariane“ von Bohuslav Martinů.

Kybernetischer Leerlauf, wie jener der Schlemmerschen Kunstfiguren in Becketts „Das letzte Band“, definiert den leeren, schwarzen Raum auf weißer Grundfläche. Dieser stumme Bewegungsduktus scheint Musik zu gebären, aber doch ist er selbst der Struktur der Melodieführung in Monteverdis Arianna-Madrigal abgeschaut.

Fünf überzeitlich, ebenfalls primär in Schwarz und Weiß gekleidete Sängerdarsteller (Kostüme: Annika Lohmann) laufen in scheinbar improvisierter, aber doch exakt koordinierter Bewegungschoreographie ziellos, erleben in immer neuem Bewegungsduktus Einsamkeit, Abschied, Bedrohung und Zuneigung. Aus der Stille formt die Stimme eines Baritons (Tim Maas) eine Gesangslinie, welcher sich die anderen vier Stimmen (Karola Schmid, Eva Maria Summerer Maria Eberlein, Masanori Hatsuse) zuordnen zu einer durchaus genussvollen a cappella-Darbietung von Monteverdis Chorsatz. Fünf Stimmen rufen „Lass mich sterben“, formen Kampfgesten, vereinigen sich in gemeinsamem Leid zu einem Knäuel auf dem Bühnenboden. Immer wieder folgen Phasen der Stille und des Neuversuchs, die frühe Opernmusik, zu der sich dann eine einsame Laute mischt, im Raum zu versinnlichen. Schließlich senkt sich die schwarze Courtine wie ein Fallbeil. Doch der Gesang dahinter dauert an. Und umso lauter schallen von der Bühne die Tritte des Ensembles in diesem gedanklichen Labyrinth.

Wenn sich der Vorhang wieder hebt, steht ein übergroßer Buchdeckel eines aufgeschlagenen weißen Buches im Raum (Bühne: Mohani Kindermann), zunächst als Projektionsfläche für ein Video der Ariadne im Bewegungsduktus des ersten Teils, im Sinne einer virtuelle Spiegelung immer gleicher Vorgänge des Mythos, wie auch immer dieser in den musikdramatischen Ausformungen von Händel über Strauss und Dukas bis Rihm, erzählt wird. In Martinůs Version aus dem Jahre 1958 erscheint die verlassene Ariadne klaglos emanzipiert. In diese Partie der den Minotaurus liebenden Frau teilen sich mehrere Sängerinnen; eine dramatische Vervielfachung – wie einstens für Held Hamlet in Harald Schmidts TV-Persiflage auf die Schauspielerschwemme. Spiegelbildlich verdeutlicht die junge Regisseurin mit den Mitteln der Körpersprache die Handlungsträger Theseus (Ronaldo Steiner) und Minotaurus (Tim Maas) als zwei Seiten einer Gestalt-Idee.

Martinůs neoklassizistische, impressionsstarke Musiksprache wird getragen von einem positiv gestimmten Grundcharakter, der sich herzuleiten scheint von der musikalischen Idee der Freude über das nahende Schiff im dritten Aufzug von Wagners „Tristan und Isolde“; auch hier spielt ja ein Schiff eine dramatische Rolle. Der a cappella-Gesang vom Schiff schlägt in der Hamburger Aufführung den Bogen zurück zum a cappella-Madrigal bei Monteverdi.

Plastisch ausmusiziert vom achtzehnköpfigen, sehr gut disponierten Orchester unter der musikalischen Leitung von Matthias Mensching, lässt die neue Orchestrierung für Kammerorchester durch Steven Tanoto das Original nicht vermissen, sondern gießt quasi den dort bereits konzentrierten Duktus in ein neues Klangbett; nur an wenigen Stellen schlägt das vom Bearbeiter selbst gespielte Klavier zu sehr durch.

Im Spiel rollt sich dann das Buch auf, entfaltet sich zu einer Wand, auf der die Schattenrisse von Ariadne und Minotaurus eine höhere Wirklichkeit zu erlangen scheinen als die Schatten werfenden Protagonisten selbst. Der chorische Ruf „Aufmachen“ von sieben Jünglingen aus Athen signalisiert die beiden Seiten des gedachten Raumes als die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, frei nach Handke. Im Zwischenspiel-Fugato laufen die Darsteller nun nur noch in der Videoprojektion. Der tatsächlich bereits in Martinůs Musik gegebene filmische Charakter (Video: Jakob Dohrmann) wird so deutlich. Gesungen wird gut, nur die schrillen und zu tief angesetzten Spitzentöne einer der Ariane-Sängerinnen gemahnen an die Tatsache, dass Martinů bei seiner Komposition der Koloratursopran-Titelpartie die ihrerseits auch nicht immer intonationssichere Diva Maria Callas im Sinn hatte.

Als arg sophisticated erweist sich das Programmheft (Dramaturgie: Jana Beckmann). Ohne den Urheber zu nennen, steht darin das Zitat aus Hans Pfitzners „Palestrina“, „Das Innerste der Welt ist Einsamkeit“, im Vordergrund. Dies ist insofern kurios, als Pfitzner an derselben Bühne vor wenigen Jahren mit einer originellen Produktion des „Christelflein“ und einem aus dieser Partitur abgeleiteten Pausensignal geehrt, gleichzeitig aber durch eine Flugblattaktion geschmäht worden war.

Die pausenlose, gut anderthalbstündige Premiere erntete viel Zuspruch.

Weitere Aufführungen: 19., 23., 24., 29., 30. November 2013.

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!