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Daniel Brenna (Siegfried), Dalia Velandia (Gestalt Waldvogel) und Bürger*innen der Stadt Kassel und Umgebung. Foto: N. Klinger
Daniel Brenna (Siegfried), Dalia Velandia (Gestalt Waldvogel) und Bürger*innen der Stadt Kassel und Umgebung. Foto: N. Klinger
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Kleiner Mann ganz groß – Der neue Nibelungen-Ring in Kassel bleibt mit „Siegfried“ auf Erfolgskurs

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In Kassel inszeniert Markus Dietz den „Ring“. Jetzt feierte „Siegfried“ am Staatstheater Kassel Premiere. Dietzens Idee dabei ist, den Reichtum nicht als Gold zu zeigen, sondern in der lebendigen Form als potenzielle Arbeitskraft. Für die Neidhöhle geht Dietz zuweilen an die Grenze des Erträglichen. Joachim Lange sah eine professionelle Glanzleistung des verletzten Daniel Brenna in der Rolle des Siegfried und eine deutlich gute Ensembleleistung.

Es war schon seltsam, dass Siegfried fehlte, als die Protagonisten nach dem zweiten Aufzug vor den Vorhang kamen, um sich schon mal einen Teil des wohlverdienten Beifalls abzuholen. Aber der war da gerade verunglückt. Als Daniel Brenna im dritten Akt seine Brünnhilde aus ihrer Verpackung pellte, um ganz überrascht festzustellen, dass es kein Mann, sondern eine Frau ist, was er da unter den Hüllen im metallenen Look handgreiflich erkundete, war sein sichtbar lädiertes linkes Bein verbunden und er hatte erkennbar Mühe, den Schmerz zu überspielen. Vokale Einbußen gab es dennoch nicht – das war eine professionelle Glanzleistung des Tenors, der ein höchst überzeugendes Ensemble im dritten Teilstück des neuen Kassler Ringes anführte. Sein strahlendes, in allen Lagen füllig sattes Timbre, seine Kondition bis hin zum Schlussduett unter den für ihn erschwerten Bedingungen, auch seine spielerische Beweglichkeit und darstellerische Überzeugungskraft war schlichtweg atemberaubend! 

Der (im Stück) kleine Mann in den kurzen Hosen gab das Niveau vor, dem auch die anderen zu folgen vermochten. Arnold Bezuyen als Mime etwa. Mit charaktervoller Eloquenz traf er stimmlich genau den richtigen Mime-Ton. Im Spiel ist dieser geschundene Bruder Alberichs mit seiner „Vater- und Mutter zugleich“-Rolle ebenso überfordert, wie mit der Ordnung in seinem heillos vermüllten Mittelding aus Materiallager, Schmiede und Schlafstatt (mit Kinderbett). Besonders ratlos ist er natürlich mit der Reparatur der Bruchstücke des Schwertes, von dessen Wunderkräften er weiß. Zwischen verbissen und quicklebendig changierend heuchelt er Sorge um Siegfrieds Wohl und sinnt zugleich darauf, ihn loszuwerden. Kleine menschliche Anwandlungen inklusive, denn leicht hat er es nicht mit dem Knaben, der ihm mir nichts dir nichts einen toten Bären vor die Füße wirft und sich vor nichts in der Welt zu fürchten scheint. Das ist detailgenau in einem heutigen Ambiente durchinszeniert, es ist spannend und nachvollziehbar. 

Dass die Furchtlosigkeit zum Problem werden kann, ist Mime nach dem Besuch Wotans und dessen Wissenswette klar. Der garniert die Wissenswette mit einer Runde russischem Roulette und hält sich einen Revolver an die Schläfe, als er beim Fragespiel die Antworten geben muss. Egils Silins mit leicht mafiosem Habitus, Lagerfeld-Pferdeschwanz und mit Sonnenbrille ist als Wanderer nicht nur in der Hütte des Schmieds angekommen, sondern längst auf den Höhen der besten Wotan-Interpreten. Mit unangestrengter, kerniger Eloquenz – ein Wotan, dem man zwar den wütenden Entschluss zum Ende abnimmt, aber genauso gut auch seine innere Revolte gegen diesen Entschluss, wenn er sich dann doch Siegfried entgegenstellt. Diesmal an einer Tafel, an der sich sein Enkel natürlich nicht respektvoll zu benehmen weiß. Woher soll’s schließlich auch kommen. Mit dabei ein Waldvogel-Double. Elisabeth Bailey steuert dessen Gesang aus verschiedenen Positionen auch aus den Logen bei.

Da es in Kassel einen Ring aus einer Hand gibt, haben optische Rückbezüge den Rang von Leitmotiven, die den Weg des Subtextes säumen, den Regisseur Markus Dietz verfolgt. Das reicht von der Verwendung des Neonrahmens ums Bühnenportal. Es betrifft aber vor allem das riesige Neon W, das in „Rheingold“ und „Walküre“ ebenso gut für Wahlhall, Wotan oder auch den Walkürenfelsen stehen könnte. Wenn Siegfried schließlich den Speer Wotans zerschlägt, und der Gott seinen Enkel nicht mehr halten kann, dann beginnt dieses W nach und nach sozusagen metaphorisch vorausschauend zu verlöschen. Dieses Spiel mit dem W gehört zu den subtilen, eher intellektuellen Rückbezügen und Vorwegnahmen. 

Handfester und auf ihre Weise opulenter ist die Idee, den Reichtum nicht als Gold zu zeigen, sondern in der lebendigen Form als potenzielle Arbeitskraft. Für die Neidhöhle gehen Dietz, Ines Nadler (die auch schon im „Rheingold" die Bühne gestaltet hat) und Henrike Bromber (Kostüme) an die Grenze des Erträglichen. Hinter einem Zaun liegen lauter Menschen in Unterwäsche auf dem Boden, werden mit Gas (sprich Bühnendampf) niedergehalten, müssen Husten und werden vom plötzlich aus der Tiefe auftauchenden Fafner (mit dröhnender Tiefe Rúni Brattaberg) als Fraß-Reservoir betrachtet und genutzt. Im Video sieht man dann einen mit Blut bis ins Gesicht vollgespritzten Fafner, der rohes Fleisch in sich hineinstopft. Thomas Gazheli ist vor der Neidhöhle, aber hinter dem Zaun, ein zuverlässig streitbarer Alberich, ob nun mit seinem Gegenspieler Wotan oder mit seinem Bruder. Wenn Siegfried Mime erschlagen hat, dann bedeutet das zumindest für die meisten der Gefangenen ein Taumeln in die Freiheit. Fragt sich nur in was für eine. 

Auch als Hintergrund für Erda (bei Edna Prochnik eher schlank, als in die Tiefe gründelnd), die auf einem Podest aus der Tiefe nach oben fährt, bodenlange weiße Haare hat, aber wie sich herausstellt nicht mehr über die Weisheit des Weltwissens verfügt, sehen wir diese Menschen. Sichtlich gealtert. Buchstäblich auf dem Trockenen, zwischen lauter leeren Wasserflaschen. Kelly Cae Hogan liegt schließlich als Brünnhilde am Ende in einem schlichten weißen Rahmen bereit, um gemeinsam mit Siegfried das Schlussduett zu einem Triumph zu machen. Dafür gestattet die Regie den beiden sogar ein effektvolles Abheben in die lichte Höhe einer Utopie.

In die steigern sich auch GMD Francesco Angelico und sein Orchester hinein. Überhaupt bewältigen sie die dichten dialogischen Passagen – im „Siegfried“ wird viel gestritten – ebenso überzeugend wie die großen atmosphärisch aufschwingenden Bögen. Manchmal, wenn die Sänger im Rücken des Dirigenten Richtung Publikum singen, trifft nicht alles mit der letzten Feinabstimmung gemischt auf die Hörer im Saal, aber das wird kompensiert durch die darstellerische Suggestivkraft, die damit ja auch ziemlich ungebremst in den Saal strömt. Einhelliger Beifall für Alle!

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