Was mit der Kölner Oper passiert, vor allem, ob der angekündigte Fertigstellungstermin nun auch wirklich bedeutet, dass das Haus am Offenbachplatz wieder seine Pforten öffnet, füllt ein spezielles und ziemlich umfangreiches Kapitel im Schwarzbuch über die Sanierung von Opernhäusern in Deutschland. In Köln fließt wenigstens der Rhein zuverlässig aus dem Süden nach dem Norden.
Emily Hindrichs (Freia), Tuomas Katajala (Froh), KS Miljenko Turk (Donner), Bettina Ranch (Fricka), Mauro Peter (Loge), Jordan Shanahan (Wotan), Lucas Singer (Fafner), Christof Seidl (Fasolt). Foto: © Matthias Jung
In Köln beginnen Marc Albrecht und Paul-Georg Dittrich mit dem „Rheingold“ ein neues Ring-Projekt
Vor einem Vierteljahrhundert fiel hier das sagenhafte Rheingold in Richard Wagners Ring-Tetralogie bei Robert Carsen links des Rheins in die falschen Hände. Beim aktuellen Auftakt zu einer Neuauflage dieses Opernblockbusters passiert das jetzt rechts des im Stück namentlich mitplätschernden Flusses. Im Staatenhaus auf der Deutzer Seite. Die Kölner Oper ist nämlich immer noch nicht wieder bespielbar. Ob jemand ernsthaft darauf wetten würde, dass es die „Götterdämmerung“ wieder auf die andere Rheinseite schafft? Schlimmstenfalls bleibt das ein Märchen für gutgläubige, naive Kinder.
Darauf spielen Paul-Georg Dittrich (Regie), Pia Dederichs und Lena Schmid (Bühne) und Mona Ulrich (Kostüme) mit ihrem „Rheingold“ aber nicht an. Es ist schon ernsthaft aufs Stück bezogen, wenn der Regisseur im Programmheft schreibt, dass der Ring für ihn eine „gesellschaftspolitische Parabel im Gewand eines Erwachsenen-Märchens (ist), in dem der Abgesang der Natur und der Fantasie schonungslos auf den kalten Hochofen der Politik trifft.“ Große Worte, gelassen ausgesprochen.
Das Märchen jedenfalls wird geboten, zumindest in den ersten Bildern. Die Spielchen von Woglinde (Giulia Montanari), Wellgunde (Regina Richter) und Flosshilde (Johanna Thomsen) mit Alberich (Daniel Schmutzhard) am Rhein sind zunächst ein Hineingleiten ins Spiel. Es ist eine Theatersituation mit spielenden Kindern und Sängern in Konzertgarderobe, bei denen die Kinder so tun, als würden sie singen. Die Ähnlichkeit mit dem Ansatz bei Valentin Schwarz in seinem Bayreuther Ring, bei dem die Kinder den Reichtum verkörpern, ist nicht zu übersehen. In Köln stehen sie freilich mehr für die Unschuld des Anfangs von Allem.
Für den Auftritt der Götter wechselt die Bühnenästhetik in ein kindliches, quasi barockes Prospektetheater mit den entsprechenden, wie gemalt wirkenden bunten Kostümen für Wotan (hochsouverän: Jordan Sahanahan), Fricka (Bettina Ranch), Donner (Miljenko Turk), Froh (Tuomas Katajala) und den windigen Loge (Mauro Peter). Für einen Moment ist man versucht, sich auf dem Programmzettel zu vergewissern, ob hier nicht eventuell Herbert Fritsch oder Ersan Mondtag ihre Finger im Spiel hatten. Hatten sie nicht, und wenn, dann allenfalls von Ferne, als Inspiration und Ermunterung zur Gaudi.
Emily Hindrichs (Freia), Tuomas Katajala (Froh), KS Miljenko Turk (Donner), Jordan Shanahan (Wotan). Foto: © Matthias Jung
Für Nibelheim wechselt die Optik in eine technisch nüchterne, neonkalte Ästhetik. Ein Gewirr von zum Teil verglasten Gängen umrahmt einen riesigen Neonring in der Mitte. Der ist zugleich die Pupille des Auges durch das wir seit dem Raub des Goldes auf das Geschehen blicken. In diesem Nibelheim wird die Brutalität von Alberichs Regime nicht nur beim Umgang mit seinem Bruder Mime (Martin Koch), sondern auch mit den Nibelungen offenkundig. Die Kinder vom Anfang sind jetzt – vor allem in den Videos von Robi Voigt im Hintergrund – geschundene Gefangene, mit blutunterlaufenen Augen. Auch wenn sie Wotan und Loge den Riesenwurm wie einen Drachen beim chinesischen Neujahrsfest vorführen. Dass die Fesseln der verwandelten Kröte hier ein mit einem Kabel am Körper Alberichs befestigter Elektroschocker ist, passt in diese rabiate Welt, die auch bei den Göttern abgefärbt hat. Wotan ist kein putziger Märchenmann im Mond mehr, wie am Anfang. Jetzt trägt er streng designtes Schwarz. Bei dem von Schmutzhard mit imponierender Expressivität in Szene gesetzten Fluch Alberichs verschwindet das (wahrscheinlich) göttliche Auge wieder, durch das wir auf die Bühne gesehen haben. Jetzt gibt es die große assoziative Geste mit exemplarischen Bildern, die die Gefährdung der Welt von heute wie ein Menetekel an die Wand malen. Bzw. auf die vier beweglichen Videostelen auf denen zunächst vertikal geschrieben die Worte Wolke, Fluss, Felsen und Mond prangen. Wenn sich die Götter diesen Säulen nähern, werden diese Begriffe zu Einfallstoren für Video-Assoziationen über martialische Machtgesten, Waffen und Polizeieinsatz, Kriegsfolgen und große Feuer.
Beim Einzug der Götter in Walhall beherzigt Dittrich einerseits die Rezeptionsgeschichte, die eine traumatisierte Freia (intensiv im Spiel: Emily Hindrichs) in den Kreis ihrer Sippe zurückkehren lässt. Sie ist in ihrer Gefangenschaft offenbar dem Riesen Fasolt (Christoph Seidl) so nahe gekommen, dass sie über seiner Leiche zusammenbricht, als Bruder Fafner (markant: Lucas Singer) ihn kurzerhand erschießt. Andererseits unterlässt die Regie aber jeden Verweis auf ein göttliches Gemäuer. Stattdessen gilt dem Regisseur die Welt, so wie sie ist, als das Werk, das eigentlich zu bestaunen, aber nach den Worten von Erda (grandioser Auftritt von Adriana Bastidas-Gamboa im weißen Riesenreifrock!) auch dem Untergang geweiht ist, wenn Wotan seine strategischen Absichten nicht aufgibt. Dass es wohl keine Rettung gibt, steht eigentlich schon nach diesem „Rheingold“ fest. Dittrich hat es so angelegt, dass es auch in einem Vierer-Ring neben anderen Zugängen durchaus bestehen könnte. Damit macht er sich die eigene Fortschreibung der Geschichte zwar nicht leichter, aber er hält die Spannung wach. Jetzt will man schon wissen, wie es in Köln (im März auf der Deutzer Rheinseite) weitergeht mit Wotan und seinen Eskapaden …
Musikalisch geht es mit Marc Albrecht und dem Gürzenichorchester hoffentlich so weiter wie beim „Rheingold“. Mit einem gewaltigen Orchesteraufwand, der trotzdem nicht die Sänger überfährt, viele Details bietet, die Spannung hält und den berühmten großen Bogen bietet. Neben dem Beifall für alle Akteure gab es auch für die Inszenierung viel Zustimmung, aber auch einige kraftvolle Buhs. Also alles in Ordnung.
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