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Der Rosemkavalier in Zürich. Foto: Matthias Baus

Der Rosemkavalier in Zürich. Foto: Matthias Baus

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Komödie mit doppeltem Boden – Knallbunter „Rosenkavalier“ an der Oper Zürich

Vorspann / Teaser

Als die Entscheidung der Eidgenossen am Zürichsee bekannt wurde, dass Matthias Schulz vom Intendantenposten der Berliner Staatsoper Unter den Linden als Nachfolger von Andreas Homoki in der Bankenmetropole mit der vielproduzierenden, attraktiv florierenden Oper am Ufer des Zürichsees wechselt, wunderte sich der eine oder andere schon etwas. Dass man mit Homoki einen versierten Regisseur mit der gelassenen Größe auch andere Götter neben sich zu dulden, ja bewusst einzuladen, hatte, war nach seinen Jahren an der Komischen Oper klar. Die Rechnung ist aufgegangen. Einen ambitionierten Theatermann wie Aviel Cahn ließ man auf seinem Weg von Genf nach Berlin (zum Glück für die Deutsche Oper in der Bismarckstraße) weiterziehen. Der Name Schulz steht jedenfalls nicht für Bürgerschreck-Aktivitäten, und mit seiner Eröffnungswoche nach relativ knapp bemessenen drei Jahren Vorbereitungszeit hat er sich jedenfalls mächtig ins Zeug gelegt. Inklusive Live-Übertragung der Eröffnungspremiere und einem damit korrespondierenden Kompositionsauftrag.

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Immerhin hat er als Eröffnungsstück – so viel Mut zum Risiko haben sie dann doch bewiesen – keinen italienischen Schmachtfetzen ausgesucht, bei dem mitgesungen werden könnte und sich dafür die amtierenden Weltstars eingeladen. (Anna Netrebko kommt für die „Macht des Schicksals“ demnächst aber auch nach Zürich – an der Scala hat sie mit der Forza-Leonora ja schon gepunktet).

Der „Rosenkavalier“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, mit dem sich die beiden 1911 vom steilen Pfad der Moderne verabschiedeten und auf ihren eigenen Wegen einer Post-Spätromantik weiterzogen, ist jedenfalls nicht so ganz ohne. Das ist schon Oper für Fortgeschrittene und wahrscheinlich per se nichts, um Einschaltquoten hochzutreiben.

Für die heute so populäre Öffnung der Oper im weiten Sinne war das Event-Drumherum des Auftaktwochenendes, samt Schläfchen auf der Bühne, schon eher was. Aber wenn’s der Wahrheitsfindung dient und der Gattung Oper hilft, ist jede kühne Idee zusätzlich zu einer Rückkehr ins Fernsehen (das Schweizer Fernsehen war nach vielen Jahren sogar zur Primetime gemeinsam mit arte mit von der Partie) willkommen.

Im Saal gab es bei der Premiere freilich keinerlei Anlass zum Wegdämmern. Und das lag nicht nur an der Akustik des Hauses, bei der das Orchester per se meistens etwas zu laut klingt. Joana Mallwitz gab sich am Pult des Orchesters der Oper Zürich (wie es – nach einem Namenszwischenspiel als Philharmonia jetzt wieder heißt) jedenfalls Mühe, zum Tempo und der komödiantischen Pointierung, die Lautstärke im Zaum zu halten. Meistens gelang ihr das auch mit Erfolg. Und beim großen Terzett der drei Frauenpowerstimmen im dritten Akt braucht’s eh immer ein Quäntchen Glück mit der Tagesform, um daraus einen echten Genuss für die Connaisseure zu machen. Das hatten die souveräne Diana Damrau mit der gereiften Leuchtkraft ihrer Stimme als Feldmarschallin, Angela Brower als ihr präsenter Octavian und Emily Pogorelc als eine dezidiert selbstbewusste, dennoch auch angemessen jugendlich klingende Sophie zur Premiere.

Was im Saal und zeitversetzt an den Fernsehschirmen zu erleben war, war zwar ein auf Anhieb erkennbarer, aber dennoch kein ganz gewöhnlicher „Rosenkavalier“. Schon, weil der österreichische Großkünstler Gottfried Helnwein die Ausstattung und sein ästhetisches Gesamtkonzept beisteuerte. Vor knapp zwanzig Jahren in Los Angeles für eine Inszenierung von Maximilian Schell erarbeitet, wurde beides jetzt für die Neuinszenierung von Lydia Steier angepasst. Es gibt ein paar nur auf den ersten Blick harmlos wirkende Videos mit Frauenporträts, die erst unmerklich, dann aber rasant und verstörend altern und zu Totenköpfen mutieren. Soweit geht die Marschallin mit ihrem berühmten lebensklugen Philosophieren über die Zeit zwar nicht, aber was Helnwein zeigt, liegt durchaus in der Logik des Gedankens. Diese erwartbaren Helnwein-Dejavues sind das eine.

Auf der anderen Seite überrascht er mit seiner Farb- und Kostümästhetik. Zunächst hat jeder Akt seine eigene Farbe. Das geht vom Himmel(bett)blau der Schlafzimmers der Marschallin im ersten Akt über den parfenühaften Goldprunk im Treppenhaus von Faninal bis zum sprichwörtlichen Rotlicht für das Beisl-Happening. Bei dem verliert der Ochs seine Hosen und man erfährt mehr über dessen sexuelle Vorlieben, als man wissen will. Seine Vorliebe fürs Ausgepeitschtwerden komplettiert sozusagen seine permanente Übergriffigkeit, die auch auf seine Leute abgefärbt hat. Annina kriegt hier nicht nur kein Trinkgeld für ihre Botendienste, sie entkommt nur mit knapper Not einer Gruppenvergewaltigung. Mit diesem Ochs (dessen Hüte den Sonnenkönig vor Neid erblassen lassen würden) ist Günter Groissböck voll in seinem Element und auch stimmlich in exzellenter Form, obendrein mit Wiener Diktion als Schlagobers auf seiner Melange aus Vitalität und Unverschämtheit.

Steier erzählt die Geschichte gradlinig, kitzelt dabei aber vor allem die Komödie in einem solchen Maße heraus, dass sie einen damit überrascht. Dass sie die Marschallin und ihr Leiden an ihrer Lebensklugheit als lebensbejahende Frau und mit Noblesse im Zentrum belässt, ist ein großes Plus bei all dem entfesselten Drunter und Drüber um sie herum. Mit Wänden, die sich auf sie zubewegen, wenn ihr die baldige Trennung von Octavian klar wird und auch mit einem grandios in Szene gesetzten Auftritt mit großer Robe im dritten Akt. Inklusive des verräterischen Lächelns, als sie den Kommissar als Ordonanz ihres Mannes wiedererkennt. Während dieser Auftritt groß in Szene gesetzt ist, verzögert Steier, den Augenblick einer Liebe auf den ersten Blick bei der Überreichung der Silberrose auf witzige Weise. Octavian ist erst so gelangweilt von diesem Auftrag, dass er nicht mal einen Blick auf die Braut verschwendet. Die freilich fordert jene Aufmerksamkeit ein, bei der es dann auch – wie immer – zwischen den beiden funkt.

Die bunte Komödie mit Hintersinn macht Spaß, weil die gesamte Personage zu wahrnehmbaren Porträts gerät. Allen voran gilt das für den Faninal von Bo Skovhus, der bei allem Turmfrisurunglück einen Rest Würde bewahrt. Aber auch für Irène Friedli und Nathan Haller als Intriganten, Max Bell als Notar oder den berockten Tenor Omer Kobiljak sowie für den Klaas-Jan de Groot einstudierten und von Tabatha McFadyen choreografierten Chor. Eine kleine Irritation liefert die modern wirkende Uniform des Kommissars (Stanislav Vorobyov). Die szenische Präsenz von Sandro Howald als leicht debiler Leopold geht so weit, dass er dem Ochs eine Gabel in die Wade rammt, so dass Octavian hier mit Recht behaupten kann, dass ihn an der „Verletzung“ des Ochs keine Schuld trifft.

Das Premierenpublikum in Zürich war mit diesem Einstieg in die neue Ära hörbar zufrieden.

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