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Lothar Zagrosek, Claudia Barainsky und die Junge Deutsche Philharmonie auf Südamerika-Tournee

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Wenn bei Gisela Timmermann im letzten Jahr das Telefon klingelte, ging es meistens um das eine. Ja, musste sie dann versichern, wir machen weiter, nein, das Engagement wird nicht platzen. Und dann der Satz, der in Timmermanns Heimat selten zu hören war im letzten Jahr: „Die Finanzierung ist gedeckt.“

Gisela Timmermann ist die Exekutivdirektorin des „Mozarteum Argentino“ in Buenos Aires, des wichtigsten Konzertveranstalters Südamerikas. Ausgerechnet im 50. Jahr seines Bestehens brach um das Mozarteum herum wirtschaftlich alles zusammen. Argentinien erlebte den nachhaltigsten Finanzkollaps seiner Geschichte, als das Kunstgebilde „1 Peso = 1 Dollar“ nicht mehr zu halten war und vor allem das luxuriöse Kulturleben der Kapitale Buenos Aires mächtig auf Grund lief. Das Teatro Colón, eines der imposantesten Opernhäuser der Welt, genannt die „Scala Südamerikas“, stand quasi über Nacht zahlungsunfähig da. Ja, man versuchte hier, die Aufführungsrechte für einen längst geplanten „Wozzeck“ dem Musikverlag Ricordi in einer der damals kursierenden Alternativwährungen zu bezahlen.

Das Mozarteum dagegen, das seine Konzerte unter anderem auch im Teatro Colón abhält, war eine relativ sichere Bank. Bei diesen privatwirtschaftlich finanzierten Musikanbietern galt schon immer der harte Dollar als die Standardwährung, tausend Dollar kostet ein Abonnement. Vor zwei Jahren keine horrende Summe, war doch Argentinien ein Hochpreisland, freilich ein künstlich hoch gehaltenes. Heute, wo man Mignon-Steaks in 600-Gramm-Größe schon für um die sechs Euro bekommt und einer der (angeblich nur 20 Prozent) Arbeitslosen mit 60 Euro im Monat auskommen muss, sind diese Konzerte allerdings Luxusinseln geworden. An Inselbewohnern ist dabei wiewohl kein Mangel.

Für die Kultur war die Peso-Entwertung der letzten Jahre aber durchaus auch ein heilsamer Schock. Das Opernhaus Colón besinnt sich wieder auf einheimische Talente, statt der üblichen Ausstattungsorgien darf auch schon mal ein junger Künstler preisgünstig abstrakte Bühnen gestalten und sogar neue, kleine Privat-Opernensembles haben sich in Argentinien gegründet, gleich vier an der Zahl. Auch das Mozarteum Argentino geht neue Wege, denn die Wiener oder die New Yorker Philharmoniker sind für den Veranstalter momentan auch nicht drin. Also sucht Gisela Timmermann nach jungen Musikern, die neuen Wind in die erlauchte Gesellschaft bringen können. Und sie fand solche Überraschungskandidaten in Frankfurt und in Mainz: Diesen Sommer konnten sich die Junge Deutsche Philharmonie und der Bachchor Mainz zum ersten Mal in den heiligsten Hallen zwischen Rio de la Plata und Copacabana präsentieren, in Buenos Aires, Rosario, Montevideo, in São Paulo und Rio de Janeiro.

Wenn ein Orchester den Zusatz „jung“ im Namen führt, ist das in den Augen ihrer Colón-Gänger kein gutes Zeichen, das war Direktorin Gisela Timmermann klar. Jugendorchester spielen in Südamerika in der Regel auf Schulniveau – die Junge Deutsche Philharmonie dagegen ist ein Eliteorchester ausschließlich aus Musikstudenten und den meisten Mitgliedern kann man demnächst in internationalen Profiorchestern wiederbegegnen. Ab nächstem Jahr etwa sitzt der eine Trompeter im Gewandhausorchester, der andere in dem der Oper Zürich.

Das Colón-Publikum jedenfalls war schwer irritiert ob der Diskrepanz zwischen Erwartung und Wirklichkeit. Da spielen junge deutsche Orchestermusiker in ihrem ehrwürdigen Haus und haben noch nicht einmal einen Frack an – das übrigens aus Respekt vor ihren Profikollegen, sagen die JDPhler. Selbst als zur Pause die Sopranistin Claudia Barainsky eine furiose, enorm gut gelungene Zerbinetta-Arie sang, blieb das Publikum reserviert.

Claudia Barainsky war noch nicht von der Bühne, da war das Publikum auch schon verstummt und auf dem Weg ins Foyer. „Man erwartet von Südländern immer Vulkanausbrüche“, so erklärt sich der Dirigent und künstlerische Berater der JDPh Lothar Zagrosek diese Reaktionen, „doch dafür sind die Leute in Buenos Aires einfach zu cool.“ Nicht umsonst wird die Stadt ja auch das „Paris Südamerikas“ genannt. Dass er etwas perplex war vom ersten Colón-Auftritt der JDPh, gab auch der Kritiker der Zeitung La Nacion zu: Wenn man die Filarmónica Joven de Alemania zum ersten Mal hört, glaube man eines der großen internationalen Spitzenorchester zu erleben, so schrieb er.

Dieses verblüffte Urteil schien sich dann allerdings herumgesprochen zu haben, denn alle weiteren Konzerte in Argentinien, Uruguay und Brasilien machten der alten südländischen Vulkantheorie alle Ehre. Das beste Konzert, das er in dieser Mozarteum-Saison gehört habe, schwärmte ein anderer Kritiker und im dort üblichen Punkte-Ranking wurden die vollen fünf Sterne vergeben. „Excelente!“, mehr geht nicht.

Für den Bachchor Mainz dagegen kam die Einladung einem Aufstieg in eine ganz neue Klasse gleich. Eigentlich schien es geradezu vermessen, was Ralf Otto seinem Chor – nach wie vor ein Laienchor – mit ins Südamerika-Gepäck gelegt hatte: Sowohl Beethovens „Missa solemnis“ als auch Bachs h-Moll-Messe, zwei Großwerke der absolut obersten Schwierigkeitsstufe. Doch die 72 Sängerinnen und Sänger, die sich aus dem 120-Köpfe-Chor für die Reise qualifiziert hatten (etwa durch solistisches Vorsingen der et vitam-Fuge der Missa solemnis, eine echte Reifeprüfung!), meisterten die Aufgabe bemerkenswert.

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