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Spiegelneuronen 2024. © SF/Bernd Uhlig
Spiegelneuronen 2024. © SF/Bernd Uhlig
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Mach mit, machs nach, machs besser – Ein besonderer „Tanzabend“ ohne Tanz in Salzburg

Vorspann / Teaser

„Spiegelneuronen“ steht über dem Abend in der Szene Salzburg. Wikipedia klärt darüber auf, dass es sich bei Spielneuronen um Nervenzellen handelt, die im Gehirn von Primaten beim „Betrachten“ eines Vorgangs das gleiche Aktivitätsmuster zeigt wie bei dessen „eigener“ Ausführung. Also umgangssprachlich: was der eine Affe macht, macht der andere auch.

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Da aber der Untertitel des Abends lautet: „Ein dokumentarischer Tanzabend mit Publikum Sasha Waltz & Guests mit Rimini Protokoll“ ist schon klar, dass hier wohl nicht nur ein naturwissenschaftlich-medizinischer Diskurs ansteht. Wobei von „Tanzabend“ nur der Abend stimmt, denn das ist es nun beim besten Willen nicht. Die sieben Mitglieder der Waltz-Truppe sind zunächst nicht als solche erkennbar im Publikum verteilt. Dazu kommen einige Statisten. Im Programm wird nicht nur vor gelegentlich eingesetztem grellen Licht gewarnt, sondern auch davor, dass es stellenweise zu räumlicher Nähe zu den „Sitznachbar.innen“ kommen kann, weil es sich um ein partizipatives Theatererlebnis handele. Und das ist es tatsächlich.

Die Zuschauer blicken auf eine (technisch gut gemachte, nahezu wackelfeste) Verspiegelgung des Bühnenraumes und sehen sich selbst. Es dauert eine Weile, bis man sich gefunden hat. Manch einer hilft mit Winken oder dem Handylicht nach, um sich selbst bzw. sein Spiegelbild zu fixieren und dann zu fotografieren. Man kann gar nicht anders. Und damit hat der Abend schon gleichsam von selbst begonnen. 

Zu dem, was dann folgt, eine innere Distanz wahren, kann man aber schon. Man muss sich dem eskalierenden Nachahmungswahn, der sich in einem langsam beginnenden Crescendo bis zum fast Ekstatischen steigert, einfach nur verweigern. Selbst wenn man sich das vorgenommen hat (weil man die rhythmisch klatschenden Parteitagssäle noch in Erinnerung hat und einem die Wochenschaubilder der ikonographischen Sportpalasthysterie aufsteigen),gelingt es nicht ganz. Einmal muss man ausweichen, weil die Vorturner der Waltz-Truppe über die Reihen steigen und man ihnen den Platz natürlich einräumt. Oder man muss sich der gerade kollektiv aufgeblasenen und herumfliegenden Luftballons erwehren. Irgendwann gibt man selbst die Handyzurückhaltung auf und macht sich Bilder oder Videoschnipsel von dem, was man da im wahrsten Wortsinn über sich selbst sieht. Dazu wird eine Tonspur mit Statements in der Machart „Wissenschaft in einfacher Sprache“ und in Riminiprotokollmanier „authentisch“ gesprochen eingespielt. Zu hören sind Stimmen einer Kulturwissenschaftlerin und Gendertheoretikerin, eines Hirnforschers der Charité, einer Soziologin, eines Professors für Künstliche Intelligenz, einer Referentin des Ethikrates und einer Professorin für Psychologie und Soziale Neurowissenschaften. Wie gesagt Kluges zum Thema so heruntergebrochen, dass dem amüsierwilligen Premierenpublikum nicht die gute Laune verdorben wird. 

Und die greift um sich und zwar je mehr sich Leute zum Mitmachen animieren lassen. Bissel Arme schwenken, mal nach links und nach rechts. Mal recken, dann auch mal aufstehen – wenn sich die Profis mal choreografiert verrenken, ist Mitmachen nicht ratsam – hinsehen aber unterhaltsam. Das Phänomen ist wenige der mitgelieferte wissenschaftliche Überbau, als der über weite Strecken wohl unbewusst funktionierende, auf jeden Fall nicht bewusst reflektierte Mechanismus einer Manipulation der Massen. Vereinsamung als ein Nährboden und Gegenwartsphänomen? Kann gut sein. Aber die schnelle und unhinterfragte Manipulierbarkeit der Massen, die verblüfft nicht nur, sie erschreckt auch. Man fragt sich, was gewesen wäre, wenn da einer die Frage in die Tonspur gebrüllt hätte, wollt Ihr die totale Manipulierbarkeit? Oder wenn sie als eine Bewegung das Ausstrecken des rechten Armes vorgegeben hätte. Hat natürlich keiner. 

Das Mitmach-Selbstfindungstheater wird mit einer Lichtshow, einer Überblendung des Spiegelbildes, Spotts auf einige Zuschauer und ähnliches aufgemotzt. Dazu eine Popmusik-Tonspur mit dem Refrain “I wish I was special“. Wenn dann das Wort Weirdo vorkommt (so bezeichnet der Vize von Camilla Harris Trump und Co.) fällt einem plötzlich wieder ein, dass Rimini Protokoll (mit Stefan Kaegi) mit von der Partie sind. Alles vielleicht also doch politisch gemeint sein könnte. Wenn auch erst beim Nachdenken über das Mitmachvirus, das man sich, je nach dem, eingefangen bzw. dem man sich verweigert hat.

Der Premierenabend war auf jedenFall ein Publikumserfolg. Vor allem, weil er für die meisten einen erheblichen Unterhaltungswert hat. Der Erkenntniswert bleibt überschaubar. Dafür hat sich das Publikum recht ausführlich selbst dokumentiert.

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