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„Anmimal Farm“ an der Wiener Staatsoper. © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

„Anmimal Farm“ an der Wiener Staatsoper. © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

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Manche sind gleicher als andere – „Animal Farm“ von Alexander Raskatov an der Wiener Staatsoper

Vorspann / Teaser

Unser Kritiker Alexander Keuk resümiert, dass „angesichts der Tatsache, dass wir uns auch 2024 wieder und erneut in einem Orwell-Jahr befinden und immer noch auf der Welt die Köpfe einhauen, mehr aktuelle Kommentierung, kunstartige Übertreibung und vor allem ein radikaler Epilog vonnöten“ gewesen wäre, „der besser ‚gesessen‘ hätte als das hier fade inszenierte Zuklappen des Märchenbuches.“

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George Orwells 1945 veröffentlichte Parabel „Animal Farm“ ist mittlerweile Klassiker und Schullektüre und wurde als Musical, Film und Videospiel adaptiert. Bloß eine Oper gab es bislang nicht, doch seit dem Jahr 2020 sind die Bücher Orwells rechtefrei, was eine Menge an Neuübersetzungen und Editionen hervorbrachte. Dass der 1953 am Begräbnistag von Stalin unweit des Kremls geborene und seit langem in Paris lebende Komponist Alexander Raskatov sich des Stoffes annimmt, ist quasi die russisch-intellektuelle Antwort auf die Brillanz von Orwell, der in „Animal Farm“ in der literarischen Form der Tierfabel noch vor dem Ausbruch des Kalten Krieges die Sowjetunion von der Februarrevolution bis zum Stalinismus seziert: die Tiere einer Farm vertreiben ihre menschlichen Peiniger, rufen eine Revolution contra Ungleichheit und Klassen aus und versuchen sich selbst zu organisieren, was kläglich scheitert – am Ende werden sie zu Menschen und einige sind gleicher als andere. Bis zur Wendezeit war das Buch von Orwell übrigens in den Ostblockstaaten verboten. 

Raskatovs Oper entstand als Auftragswerk der Dutch Opera und der Wiener Staatsoper und wurde vor einem Jahr in Amsterdam uraufgeführt. Mit dem Tross dieser Produktion zog Raskatov nun nach Wien, was einen gewissen Luxus für ein zeitgenössisches Werk bedeutet. Lediglich der Brite Alexander Soddy am Dirigentenpult und wenige Sänger waren für das komplexe Werk für Wien neu besetzt. Dies liegt auch daran, dass Raskatov mit vielen Sängern seit Jahren eng zusammenarbeitet und hier konzeptionell eine Art Sängerorchester auf der Bühne geschaffen hat, mit dem er (in 21 Rollen!) die gesamte Bandbreite stimmlicher Ausdrucksmöglichkeiten und Fächer abdeckt, eine Herausforderung, die an Zimmermanns „Soldaten“ erinnert, große Häuser aber nicht abhalten sollte. Die „3 E“ – Exzentrik, Übertreibung (exaggeration) und und Energie, gehören für Raskatov wie ein Credo zum Komponieren und bestimmen die Partitur dieser etwas mehr als zweistündigen, zweiaktigen Oper, die im Wesentlichen Orwells Text folgt (Libretto: Ian Burton). 

Bühne und Regie liegen in der Hand eines italienischen Teams: Damiano Michieletto bleibt nah am Stoff und setzt damit auch etwas zu brav ausführend Raskatovs Intentionen um, Paolo Fantin steuert als Bühne eine kahl-düstere Schlachthausatmosphäre bei, die ebenfalls sehr geradeaus funktioniert, ebenso wie die Kostüme von Klaus Bruns, unter dessen aufwändigen Tiermasken Chöre und Solisten nicht nur singen, sondern auch den vorne schwerstarbeitenden Alexander Soddy im Blick zu behalten haben, der mit dem Orchester der Wiener Staatsoper für einen griffigen Sound sorgt, die Sänger auch in chaotisch-turbulenten Strukturen hörbar hält und die Klangcharaktere wie mit einem Schweißbrenner modelliert. In den Hauptrollen nehmen der Bass Gennady Bezzubenkov (Old Major), Wolfgang Bankl (Napoleon) und Michael Gniffke (Snowball) diese Unterstützung gerne an und zeigen stimmliche Höchstleistungen ebenso wie außerordentliche Gedächtnisleistungen, um den oft an den Rändern der Tessitur umherspringenden Animalismus deutlich zu zeigen. 

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„Anmimal Farm“ an der Wiener Staatsoper. © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

„Anmimal Farm“ an der Wiener Staatsoper. © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

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Dabei ist „Animal Farm“ im Detail gar nicht so avantgardistisch, sondern eher eklektizistisch angehaucht. Raskatovs vielgliedrige Musik, die einen sehr großen Apparat benötigt, läßt sich im Erbe von Schnittke und Denisov verorten, aber seine Antennen fahren bei solch einem dankbaren Happening auch in Richtung Jazz, Musical und dort gerne in die Mittel der Übertreibung aus, was den Sängern unmenschliche (sic) Koloraturen beschert und Spezialistinnen wie die Koloratursopranistin Holly Flack (Pferd Mollie), den Tenor Karl Laquit (Esel Benjamin) oder die wandlungsfähige Elena Vassilieva (Rabe Blacky) glänzen läßt. Komik allerdings ist in diesem Werk nur selten anzutreffen, zu oft steht der Fleischwolf auf der Bühne oder hängt die Kuh am Haken, auch als Kinderstück ist diese dystopische Lesart nicht unbedingt erdacht, doch waren in der besuchten dritten Aufführung erfreulich viele Jugendliche, die nach dem Schluss noch anregend diskutierten. 

Dass man nicht wirklich völlig begeistert applaudiert, liegt an einem seltsam durchhängenden zweiten Akt, der vor allem visuell außer Neonschriftzeichen und der fast unauffällig vollzogenen Menschwerdung der Tiere nicht viel zu bieten hat. Auch Raskatov hat dort sein musikalisches Füllhorn schon so sehr entleert, dass die doch sehr kurzatmigen Szenen nun nicht mehr die Fulminanz des 1. Aktes besitzen. Da ist angesichts der Tatsache, dass wir uns auch 2024 wieder und erneut in einem Orwell-Jahr befinden und immer noch auf der Welt die Köpfe einhauen, mehr aktuelle Kommentierung, kunstartige Übertreibung und vor allem ein radikaler Epilog vonnöten, der besser „gesessen“ hätte als das hier fade inszenierte Zuklappen des Märchenbuches. 

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