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„Frau ohne Schatten“ an der Neuköllner Oper Berlin. Foto: Thomas Koy

„Frau ohne Schatten“ an der Neuköllner Oper Berlin. Foto: Thomas Koy

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„Maulesel*innen am Abgrund“: Strauss’ „Frau ohne Schatten“ in der Neuköllner Oper

Vorspann / Teaser

Die Neuköllner Oper ist für Überraschungen und ungewöhnliche Einblicke bekannt. Jetzt hat das überregional bekannte Kiez-Musiktheater eine Mammutoper fast kleinbekommen. Aber Richard Strauss’ Musikdrama „(Die) Frau ohne Schatten“ wirkt auch im Pocket-Format und Musikarrangement von Tobias Schwencke kolossal. Ulrike Schwabs Regie im Hochgeschwindigkeitsrausch befeuert sich durch die Treibstoffe Pathos und Banalität.

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Es kam schon viel von Strauss’ über dreistündiger und auch an größten Opernhäusern meist leicht eingestrichener Monsterpartitur „Die Frau ohne Schatten“ in Tobias Schwenckes Arrangement für die Neuköllner Oper vor. Die vierte Zusammenarbeit von Richard Strauss mit Hugo von Hofmannsthal wurde im Nachkriegswien von 1919 uraufgeführt und spratzt vor Märchenseligkeit, Psychoanalyse, Symbolik und einer magisch-mysteriösen Musik vom Allerfeinsten.

„Götterdämmerung“, „Don Carlo“ und „Die verkaufte Braut“ funktionieren mit Kammerensemble. Bei der „Frau ohne Schatten“ bestehen allerdings berechtigte Zweifel an einer sinnfälligen Orchesterschrumpfung und Eignung für’s Pocketoper-Format. Denn kaum ein anderes Werk stürmt und schwelgt derart virtuos zwischen dem Tutti-Brausen eines 100-Personen-Orchesters und feinsten Kammerwirkungen. Strauss entwickelte einige seiner besten Einfälle für den dramatischen Kontrast von Hofmannsthals Wiener Märchentheater-Neuversuch mit Sprüngen zwischen Menschen- und Feenwelt. Solche Kontrastwelten von Laut und Leise, Nirwana und Gosse sind unverzichtbarer Teil der im Idealfall hypnotischen Wirkung dieser Oper. Die instrumentale Seite gerät durch Schwencke, der auch dirigiert, in der Neuköllner Oper erstaunlich gut. Das Akkordeon – zunehmend ein Standard-Instrument der Neuen Musik – übernimmt vieles von dem, was apart klingen soll und in der kleinen Besetzung nicht exotisierend genug wirken würde. Es hilft manchmal auch hinter den Falke-Tönen der Flöte und Streicher.

Sie pusten mit ihren kräftigen Stimmböen fast das Dach des für solchen Lautstärken-Ballast viel zu kleinen Theatersaals weg

Im kleinen Raum hört man mehr man noch deutlicher als in Opernhäusern, wie monströs Strauss für Frauen komponiert hat. Hrund Ósk Árnadóttir in der Titelpartie als Kaiserin und die scharfe Amme von Catrin Kirchner ziehen sich mit Technik, Kondition und Ausstrahlung aus der Affäre. Beide rackern wie von Tophäusern in die Belcanto-Peripherie verschlagene Schwerstarbeiterinnen des Gesangs, pusten mit ihren kräftigen Stimmböen fast das Dach des für solchen Lautstärken-Ballast viel zu kleinen Theatersaals weg. Außerdem gönnt ihnen diese Fassung – anders als die originale Langversion – kaum eine Pause. Opulent und aussagestark sind die Kostüme von Poia Diederichs und Marina Stefan: Die Amme in schreiendem Rot mit schwarzen Stiefeln, die Kaiserin mit filigranen Zopfringen und Gazellen-Diadem wie in prominenten Aufführungen der Wirtschaftswunderjahre. Die vielen kleinen Partien sind den drei Männerfiguren zugeteilt: Chunho You gibt einen zierlichen Kaiser wie aus 1001 Nacht mit tenoralem, nicht ganz ungefährdetem Nachdruck. Joa Helgesson (Barak der Färber) und David Ristau (Geisterbote, Falke, Keikobad) machen Besteindruck. Sie stürzen sich mit vielen Stofftieren in Wasserpfützen und leisten stimmlich-körperlichen Totaleinsatz. So einen sportiv-riskanten Opernabend sieht man in Berlin nur äußerst selten, in Bayreuth und Salzburg gar nicht. Wenn die Begabung zur selbstlosen Motivation anderer tatsächlich das wichtigste am Regie-Beruf ist, gäbe Ulrike Schwab eine erstklassige Regisseurin ab.

So einen sportiv-riskanten Opernabend sieht man in Berlin nur äußerst selten, in Bayreuth und Salzburg gar nicht.

Eine Schwachstelle gibt es: Die Färberin. Franziska Junge singt und rezitiert tatsächlich als einzige mit Mikroport. Sie ist die Exotin im Stück über Kinderwunsch und sublimierte Sexphantasien. „(Die) Frau ohne Schatten“ ist schon im Original nicht nur eine Hymne auf’s Ja zur Ehe und Paarhaftigkeit, sondern auch ein Lamento über das Kreuz mit der Liebe. Nun denn: Die Färberin hat’s satt und zieht sich am Ende zurück in eine Komfortzelle mit garantiert guten Büchern. Denn sie ist nicht geschaffen zur „Maulesel*in“ (O-Ton Hugo von Hofmannsthal) in der bürgerlichen Versorgungs-, Benützungs-, Ausnutzungs und Kinderzucht-Ehe. Franziska Junge gibt eine wilde Raue, die ohne Mann, Nachwuchs und Kochen eine gestandene Persönlichkeit sein will – ganz im Gegenteil zur Märchenmädchen-Kaiserin, für die Liebe und Leben fast das gleiche sind. Das kommt alles gut, laut, fast beängstigend in dieser Aufführung heraus, dass einige Gäste mitten im Stück das Weite suchen.

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„Frau ohne Schatten“ an der Neuköllner Oper Berlin. Foto: Thomas Koy

„Frau ohne Schatten“ an der Neuköllner Oper Berlin. Foto: Thomas Koy

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Dann schießt Ulrike Schwab über das Ziel hinaus. Zusatztexte, eingesprochen von Karoline Gable, gibt es. Da bekommt man bis zum Überdruss mitgeteilt, dass die verdrossene Färberin sich selbst genug ist und nichts von ihrem Mann will. Fast schade: Denn es enthalten – egal aus welcher ideologischen Brille man das betrachtet – viele Opern gerade des frühen 20. Jahrhunderts Erläuterungen darüber, warum Frauen es mit Männern schwer haben und diese toxische Monster sind. „Die Frau ohne Schatten“ ist im Gegenzug eine der ganz wenigen Opern, in der man erfährt, warum es für Männer mit Frauen manchmal schwer sein könnte. Gerade aber das negiert Ulrike Schwab und nutzt „Die Frau ohne Schatten“ zu einer fraulichen Befragung, die wenig Neues bringt.

Ein Paradox: Einerseits deutet Schwab an der gewiss etwas schwurbeligen Apotheose von Strauss und Hofmannsthal herum. Aber gleichzeitig ist es in jeder Spielminute spür- und sichtbar, dass Schwab dieses Opus überall lieber inszenieren würde als in den überschaubaren Raumdimensionen der Berliner Karl-Marx-Straße 133. Darum ist alles so laut, extrovertiert und grell wie in der Plüschoper des 20. Jahrhunderts. Das Ensemble hat seinen Spaß an der Arbeit, dem bisschen Wasserdreck und dem Elternaustreiben der Kaiserin.

Einen Erkenntnisgewinn gibt es für das Publikum wenigstens: Am meisten verbreitet ist Misogynie offenbar im Establishment ganz oben und im Prekariat ganz unten. Um das zu verstehen, reichen auch 60% von Strauss und Hofmannsthals opulentem und wohl nicht zufällig fast gleichzeitig mit Puccinis martialischer „Turandot“ entstandener „Die Frau ohne Schatten“. Kräftiger Applaus – die Vorstellungsserie an ausgewählten Tagen geht bis 24. September 2023.

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