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Nun hat es also auch München erwischt – jene Stadt, die doch immer fürs Leuchten zuständig war. Im Zeichen von Laptop und Lederhose war man spendabel und konnte sich manches gönnen, was bei nord- oder ostdeutschen Schwestern mehr als nur Neidgefühle verursachte. Doch plötzlich und scheinbar überraschend bricht auch über diese kulturelle Vorzeigestadt Deutschlands das wirtschaftliche Unwetter herein, lodern die Blitze sinkender Steuereinnahmen; das Ende scheint nah.
Nun hat es also auch München erwischt – jene Stadt, die doch immer fürs Leuchten zuständig war. Im Zeichen von Laptop und Lederhose war man spendabel und konnte sich manches gönnen, was bei nord- oder ostdeutschen Schwestern mehr als nur Neidgefühle verursachte. Doch plötzlich und scheinbar überraschend bricht auch über diese kulturelle Vorzeigestadt Deutschlands das wirtschaftliche Unwetter herein, lodern die Blitze sinkender Steuereinnahmen; das Ende scheint nah. Dass es nicht ganz so schlimm kommen wird, dafür wird gesorgt werden. Dennoch ist mehr als nur der Anlass gegeben, die Frage zu stellen, welche Auswirkungen dies auf die Stadt im Einzelnen, ja auf die Kultur über München hinaus im Besonderen, haben wird. Sommerzeit ist Festivalzeit, und davon haben wir in Deutschland über 300. Wie viele davon brauchen wir, welche wollen wir und wer ist „wir“? Diesen Punkten nachzugehen, bietet sich exemplarisch an bei zwei Prototypen deutscher Festivalkultur: einer städtischen – wie München – und einer ländlichen – wie der in Bad Kissingen. Das alte Kinderspiel Stadt, Land Fluss lässt sich hier erweitern um kulturelles Selbstverständnis oder politisches Anliegen. Wenn städtische Kämmerer, staatliche Finanzminister oder ihr jeweiliger kulturverantwortlicher Gegenpart über Finanzierungslücken und staatliche Zuschüsse nachdenken, werden grundsätzliche Rahmenbedingungen unserer staatlichen Kulturordnung angesprochen. Dass dabei Deutschland ein Kulturstaat ist, wird sicherlich jeder Politiker – zumal in Zeiten des Wahlkampfes – emphatisch unterstreichen. Wenn dann aber konkret umgeschichtet werden soll, geht es inzwischen um mehr als nur Rundungsdifferenzen. Festivals haben sich zu erklären, Festivals brauchen Erfolg und Publikumszuspruch. Wobei das eine mit dem anderen nicht unbedingt deckungsgleich sein muss. Die Zuständigkeits-Vielfalt bringt es mit sich, dass München als Landeshauptstadt von zwei Geldgebern zehren kann, die ein unmittelbares Interesse am Festival als Wirtschafts- und Standortfaktor haben. Und so leuchten die Münchner Opernfestspiele trotz Haushaltssperre, weil sich ein bayerisches Ministerium finanziell verantwortlich zeichnet. Mit insgesamt 19 Musiktheaterproduktionen, vielen davon ausverkauft, spielt die Bayerische Staatsoper mit in der Champions League der europäischen Kulturstädte. Glanzvoller Premierenauftakt nach dem zeitgenössischen Versuchsballon, Hans Jürgen von Boses „K. Projekt 12/14“, war die Walküre des von Herbert Wernicke zu verantwortenden Ring des Nibelungen. Nach dessen Ableben wurden seine Konzepte von Hans-Peter Lehmann, ehemals Intendant in Hannover, fortgeführt. Womit im Grunde genommen zur regiemäßigen Umsetzung nahezu alles gesagt wäre; und so soll David Alden nicht nur den Münchner „Ring“ komplettieren, sondern auch „Das Rheingold“ und „Walküre“ einer Runderneuerung unterziehen. Musikalisch war man mit Zubin Mehta, Peter Seiffert (Sigmund) und der überwältigenden Waltraud Meier auf der sicheren Seite und konnte einen künstlerischen Achtungserfolg erzielen. Die zweite Festpielpremiere, Igor Strawinskys „The Rake’s Progress“, stand das letzte Mal im März 1976, noch unter Günther Rennert, auf der Inszenierungliste. Das Trio Martin Duncan (Regie), Ultz (Bühne und Kostüme) und Ivor Bolton (Musikalische Leitung) sorgten für den notwendigen englischen Touch. Man sang in englischer Sprache und auch sonst wurde nicht sehr viel ausgelassen, was sich der deutsche Normalbürger unter englischen Zuständen vorzustellen vermag. München ist, dank Peter Jonas, bezüglich der Oper eine englische Provinz geworden und genießt dieses kulturelle Fernweh. Ob Strawinskys artifizielle Neo-Klassik in seiner auch inhaltlichen Anlehnung an die Form der Nummernoper eines Haydn oder Mozart so viel britische Pop-Art verträgt, sei dahingestellt, wenn diese aufgefangen wird von einer musikalischen Umsetzung, wie im Münchner Prinzregententheater geschehen. Ian Bostrigdge gibt einen kühl distanzierten Tom Rakewell in der Rolle des groß gewordenen Muttersöhnchens. William Shimells Nick Shadow ist weniger dämonisch, ist technokratisch kühl. Und was den einen an herzlicher Wärme abgeht, bringt Dorothea Röschmann als Anne Trulove ein, deren sinnliche Melodik die übrigen Protagonisten mühelos an die Wand singt. Das Bayerische Staatsorchester fühlte sich gut aufgehoben unter der präzisen Stabführung von Ivor Bolton und das Publikum klatschte heftig Beifall. Wer glaubt das (fälschlich so genannte) flache Land, wer also glaubt die unterfänkische Provinz könne mit der Landeshauptstadt nicht mithalten, der kennt Bayern nicht, das nicht nur im Verhältnis zu den anderen Bundesländern, sondern auch im Inneren die föderale Struktur groß schreibt. Und so leisteten sich die Wittelsbacher vor einhundert Jahren in Bad Kissingen den selben Baumeister wie die Münchner Bürger für ihr Prinzregententheater; und so versteht sich der diesjährige 17. Kissinger Sommer als ebenbürtige Alternative zum großstädtischen Kulturfestival. Dass auch der Kissinger Sommer sein Publikum braucht, ist selbstverständlich, dass die überwiegende Anzahl der Konzerte in der vierwöchigen Veranstaltungsreihe ausverkauft ist, ist der hohen Attraktivität des Programms, aber auch dem Engagements der Kissinger selbst zu verdanken. Und so überrascht es nicht, dass die Künstler den Kissinger Sommer nicht nur wegen der phänomenalen Akustik des Regentsaales schätzen, sondern auch wegen seiner angenehmen Atmosphäre. Eine Künstlerin, wie Cecilia Bartoli, ließ es sich nicht nehmen, zweimal zu Gast zu sein, ebenso wie Waldtraud Maier. Mit ihrer „Huldigung an Farinelli“ veranstaltete die Bartoli ein Spitzenfeurwerk, das Werke von Nicola Porpora ebenso umfaßte, wie selten Gehörtes von Gioacchino Rossini. Nikolay Znaider (Violine) und das BBC Symphony Orchestra unter Jiri Belohlavek begeisterten mit Brahms, das Rosamunde Quartett überzeugt mit Schubert und Beethoven (cis-Moll Op.131) und auch Zeitgenössisches hatte seinen Raum, so in der bereits traditionellen „Langen-Komponisten- Nacht“ mit Werken von Peter Ruzicka, Judith Weir, Wolfgang Rihm, György Ligeti, Hans Werner Henze, Tobias PM Schneid und Wilhelm Killmayer. Der Bedarf an guter Musik, gut konzipierten und organisierten Festivals ist ungebrochen; die Musik hat also ihr Publikum und es bleibt zu hoffen, daß auch das Publikum des Festspielsommers 2003 seine Musik wird erleben können, in der Stadt, am Land oder Fluss.