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Szene aus dem Familienmusiktheater „Versprochen, Froschkönig, versprochen“. Foto: Heiland
Szene aus dem Familienmusiktheater „Versprochen, Froschkönig, versprochen“. Foto: Heiland
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Nach der Krise ist vor der Krise

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Das 11. Internationale ADEvantgarde-Festival in München vom 1. bis 12. Juni 2011
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Ist die Neue Musik in der Krise? Und wenn ja, in welcher? „What Crisis?“ haben die Veranstalter des ADEvantgarde-Festivals in diesem Jahr ganz lakonisch als Motto gewählt. Einst, vor zwanzig Jahren als Alternative zu den etablierten Veranstaltungen wie der Biennale oder musica viva von einigen jungen Kompositionsstudenten gegründet, hat sich das ADEvant­garde-Festival selbst zu einer veritablen Institution zeitgenössischer Musikförderung in München gemausert. Doch angesichts aktueller Krisen, wie des Wegfallens von Förderern, sahen sich die Macher des ADEvantgarde-Festivals in diesem Jahr gezwungen, den gewohnten Umfang der vorgestellten Projekte und Uraufführungen einzugrenzen. Gemäß dem Gründungsgedanken des Festivals, junge Komponisten nicht nur zu fördern, sondern auch zu fordern, übernahmen zum ersten Mal mit Johannes X. Schachtner und Markus Lehmann-Horn eine jüngere Komponistengeneration die künstlerischen Leitung und damit einen stark reduzierten Etat und die Programmgestaltung für fünf Abende.

Das Eröffnungskonzert bestritt, wie schon vor zwei Jahren, das Ensemble Aventa aus Kanada. Zum Titel „Nordlichter“ präsentierte das Ensemble unter der Leitung von Bill Linwood vornehmlich Werke kanadischer und skandinavischer Komponisten, eine hierzulande eher unbekannte Spezies des zeitgenössischen Musikbetriebs. Überraschend war denn doch der Stilgegensatz zwischen den gespielten Werken, wie etwa dem ästhetisch kalt angerichteten „Twine“ (1995) für Xylophon und Marimba von Rolf Wallin und dem tumultuösen „KafKapriccio“ (2008) von Poul Ruders, ein kulinarisches Destillat von dessen Oper „Kafka’s Trial“. Routiniert spielte das Ensemble Aventa die erprobten Stücke aus seinem Repertoire, die zwei Uraufführungen der Münchner Komponisten Bernhard Weidner und Markus Lehmann-Horn hätten durchaus noch Proben­arbeit vertagen können. Mehr Risiko einzugehen, versprach Markus Muench als Komponist sowie Kurator mit dem Konzertprojekt ‚Homerecording’, das in den Räumen der ehemaligen Klanggalerie „tube“ mit Werken von vier Komponisten für 8-Kanal-Surround-Anlage, Video und einen Musiker (Mathis Mayr, Violoncello). Die Aufgabenstellung verlangte von den Komponisten (Markus Muench, Annie Gosfield, Michael Gordon und Helga Pogatschar), sich auf Heimarbeit zu beschränken, und das komplette Werk von der Idee bis zum abspielbaren Multimedia-Objekt am Laptop zu erstellen. Brillant aufgelöst wurde dies von dem Amerikaner Michael Gordon mit „Unstill Life“ als Tongemälde urbaner Trostlosigkeit, transparent gemacht an der Gestalt eines Obdachlosen auf der Straße vor seinem New Yorker Studio. In seinen Stücken „Materie 3“ & „Materie 4“ entdeckt Markus Muench als Komponist, wie unter einem akus­tischen Mikroskop, den Klang von Pflanzen und Insekten sowie das latente Grauen der Musik der Stratosphäre. Es gelang hier das Experiment eines Konzerts (fast) ohne Musiker vor einem begeisterten Publikum.

Ebenfalls ein elektroakustisches Modell propagierte das „1. Deutsche Strom­orchester“ von Rochus Aust im Zentrum Neue Technologien im Deutschen Museum mit dem skurrilen Titel „Sinfonie mit der Sinfonie-mit-dem-Paukenschlag feat. Joseph Haydn“. Doch gänzlich anders als bei Homerecording wurde vom Stromorchester das Material zur Klangerzeugung unmittelbar auf die Bühne gewuchtet. Damit erschien das Konzert eher als optisch wirkungsvolles denn als musikalisch ausgefeiltes Spektakel, bei dem neben allerlei Haushaltsgeräten, vom Wasserkocher bis zum Laubbläser, auch drei Jukeboxen für Vinyl-Singles aus der Sammlung des Deutschen Museum zum Einsatz kamen.

Zu Recht wird die Frage nach der Krise des politischen Liedes derzeit im popkulturellen Diskurs anlässlich eines runden Geburtstags des Songwriters Bob Dylan diskutiert. Auch das ADEvantgarde-Festival hatte seinen politischen Liederabend, in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Moderiert wurde das Konzert souverän und charmant zugleich von Johannes Schachtner und Moritz Eggert, vor Schachtner langjähriger künstlerischer Leiter und Mitbegründer der ADEvantgarde. Die Musik wurde gespielt vom Ensemble ADEvantgarde selbst unter der Leitung von Rudi Spring. Mutig war als Auftakt der Klassiker von Friedrich Hollaender „An allem sind die Juden schuld“ von 1931 gewählt, bravourös dargeboten von der Sängerin des Abends Julia Rutigliano, die sowohl den Ton der 1930er-Jahre traf als auch die zeitgenössische Musiksprache der folgenden Uraufführungen beherrschte.

Das Familienmusiktheater der ADEvantgarde hat schon Tradition mit seinen gelungenen Variationen auf bekannte Märchenstoffe. In diesem Jahr also „Versprochen, Froschkönig, versprochen!“ für Menschen ab sechs Jahren und dargeboten in der Reaktorhalle von Studenten der Münchner Musikhochschule. Hohe Ansprüche stellten die Komponisten Gerhard Müller-Hornbach, Manuela Kerer und Johannes X. Schachtner an die gleichwohl ausgezeichneten Sänger und Musiker mit einer teils gebrochenen und schwierigen Musiksprache. Einzig Schachtner hatte allerdings den Mut, in Teilen der letzten Szene Tonalität zu wagen. Dagegen war die Regie (Igor Pison) leider an originellen Einfällen um einiges ärmer als die Musik, von Übermaß an Tumult und Zappelei auf der Bühne geprägt.

Die Krise, nach der die nächste Generation der ADEvantgarde fragte, ist für dieses Festival der Neuen Musik zumindest ausgeblieben, indessen ist ein geschmeidiger Generationswechsel geglückt. Und das Interesse des Münchner Publikums an Neuer Musik scheint ungebrochen, denn die Konzerte des Festivals, bestückt mit auffällig vielen Uraufführungen, waren durchwegs sehr gut besucht oder gar ausverkauft.

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