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Klangspurengeher als Neue-Musik-Pilger. Foto: Astrid Karger/Klangspuren
Klangspurengeher als Neue-Musik-Pilger. Foto: Astrid Karger/Klangspuren
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Neue Musik auf Pilgerfahrt

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Das Klangspuren-Festival 2013 in Tirol und das transart-Festival in Südtirol
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Wer Neue Musik hören will, der muss auf Reisen gehen. Neben den bekannten „Pilgerstätten“ wie Darmstadt und Donaueschingen gibt es eine Menge Orte, die eher als Geheimtipps gehandelt werden. Dazu zählen auch die Klangspuren, die dieses Jahr zum 20. Mal stattfinden.

Wenn die Geschäftsführerin Maria-Luise Mayr vom Publikum ihres Festivals spricht, dann spricht sie nicht von „Zuhörern“, sondern von „Klangspurengehern“. Der Name ist Programm: Ein guter Teil der jährlich im September ausgetragenen Konzerte und Aufführungen findet unter freiem Himmel statt. Musik mitten in den Bergen, erreichbar nur zu Fuß, über aufsteigende Pfade entlang an Bergwiesen und schroffen Felsen. Kein Wunder, dass sich das Massenpublikum nicht hierher verirrt. Trotzdem sind die Klangspuren eine tönende Erfolgsgeschichte.

Das erste Festivalprogramm von 1994 nimmt sich bescheiden aus, zeigt aber eine klare Idee, die bis heute besteht. Man will Neue Musik zeigen, bezieht aber bewusst den genius loci mit ein. So ist das Innsbrucker Sinfonieorchester von Anfang an mit dabei, und eine musikalische Reverenz an die Region Tirol darf nicht fehlen. Aufgespielt wurde damals noch im Kolpinghaus, in der Turnhalle, in der Schwazer Kirche. Neben „Geischter- und Älplermüsik“ gab es Werke von Bartók, Janácek und Boulez sowie Musik Schweizer und österreichischer Komponisten.

Zwanzig Jahre später sind die Klangspuren größer geworden, das Programm breiter. Konzerte finden nun in der gesamten Region, von Innsbruck bis nach Südtirol statt. Das Festival ist zu einem fast jahrumspannenden Projekt gewachsen, das künstlerische genauso wie pädagogische und gesellschaftliche Aktivitäten, vor Allem für junge Leute, umfasst.

2013 trägt die Saison den Titel „Neue Musik und romantisches Erbe“. Heinz Holliger darf dabei natürlich nicht fehlen, der in seinem Werk vielfach Bezüge zu Schumann und Hölderlin herstellt. Auch Bearbeitungen oder Hommagen sind zahlreich vertreten, von Dieter Schnebels „Schubert-Variationen“ bis hin zu Aribert Reimanns „Sieben Fragmente (in memoriam Franz Schubert)“. Ein Glanzlicht ist Hans Zenders Fassung der Schubert‘schen „Winterreise“ für großes Orchester und Bariton, die dieses Jahr von der Internationalen Ensemble Modern Akademie vorgestellt wird.

Wie die Klangspuren feiert auch die Ensemble Modern Akademie dieses Jahr ein Jubiläum, denn seit nunmehr zehn Jahren besteht die Partnerschaft zwischen Schwaz und dem Frankfurter Ensemble. Für die Akademie können sich junge Musiker bewerben, um unter der Ägide von erfahrenen Dozenten zwei Wochen lang zu arbeiten. Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus dem Ausland und verfolgen bereits eine professionelle Laufbahn im Bereich zeitgenössische Musik. Sie lockt es, neue Kontakte zu knüpfen und von der Erfahrung des Ensemble Modern zu profitieren. Andere haben in ihrem Studium keine Möglichkeit, neues Repertoire kennenzulernen. Für sie ist die Akademie ein Angebot, ihren Horizont zu erweitern. Ziel des Angebots ist es nicht nur, moderne „Klassiker“ zu studieren, sondern insbesondere die gemeinsame Arbeit mit Komponisten zu fördern. Jedes Jahr ist ein prominenter „Composer in Residence“ eingeladen, der gemeinsam mit den rund 40 Musikerinnen und Musikern seine Werke erarbeitet. Statt hierarchischem „Lernen vom großen Meister“ geht es in der täglichen Arbeit sehr familiär zu. In den Proben mit dem Ensemble erläutert Zender seine Musik, klärt Fragen, gibt Hinweise zur Interpretation. Für alle Teilnehmenden ist die „Winterreise“ etwas Besonderes, denn groß besetzte neue Stücke werden selten aufgeführt. Und wann hat man schon die Gelegenheit, als E-Gitarrist im Orches-ter zu spielen? Das Konzert am 15.09. findet – typisch Klangspuren – wieder abseits ausgetretener Pfade statt, in einer ehemaligen Fabrikhalle in Innsbruck.

Industriehallen als Konzertorte, das ist ein Leitmotiv, das das Klangspuren-Festival mit einer benachbarten Veranstaltung in Südtirol verbindet. Das seit 2001 bestehende transart-Festival widmet sich ebenfalls der zeitgenössischen Klangkunst, wobei der Schwerpunkt eher auf intermedialen Spielformen zwischen Performance, Avantgarde, Freejazz, Film/Video und Theater liegt. Die Aufführungsorte bei transart sind betont anti-traditionell gewählt, um Brücken zwischen aktueller Kunst und gesellschaftlichen Themen zu schlagen. Beide Veranstaltungsreihen arbeiten zusammen, um in diesem Jahr ein besonderes „Zuckerl“ zu zeigen: eine Aufführung von Beat Furrers Hörtheater „Fama“, mit dem Klangforum Wien unter Leitung des Komponisten. Das 2006 uraufgeführte Werk verwirklicht die Idee eines rein akustischen Hörtheaters, das in einem besonderen Hörraum stattfindet. Der Hörraum ist diesmal eine Brixener Holzfabrik. Auf der Bühne ist das Orchester plaziert, man sitzt umgeben von aufgetürmten Holzstapeln. Das Werk entfaltet sich nach frontalem Tutti als Klangdrama im Raum. Die Musiker verlassen die Bühne, spielen von jenseits der Wände, Klänge verlieren ihren Ort, kreisen, packen zu. Als roter Faden ziehen sich Ausschnitte aus Arthur Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ durch das Werk. Die Musik zeichnet, fein instrumentiert, ein Psychogramm der Hauptfigur. Äußere Zwänge, kindliche Fantasie und Todessehnsucht spiegeln sich in den mal bedrückend engen, dann unermeßlich weit erscheinenden Klangräumen, die Furrer aufspannt. Das Klangforum, das seit der Uraufführung vielfach mit „Fama“ auf Tour ging, bringt eine berührend eindringliche, bis ins Detail präzise Aufführung zuwege. Die Akustik und Atmosphäre der Umgebung erweisen sich als besonderer Glücksfall für das Werk. Im warmen Dunkel vermischen sich die Klänge Furrers mit den Geräuschen des Orts, schaffen neue Räume. Es klingt, als sollte es nie anders sein.

Nach dem Konzert warten draußen vor der Holzfabrik zwei Reisebusse. Einer für das Orchester, einer für die Festivalgäste. Maria-Luise Mayr verabschiedet sich eilig, es geht zurück nach Innsbruck. Morgen früh um acht Uhr beginnt für die Klangspurengeher der nächste Pilgerweg.

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