Hauptbild
„Die römische Unruhe oder Die edelmütige Octavia“. Foto: © Anna Kolata

„Die römische Unruhe oder Die edelmütige Octavia“. Foto: © Anna Kolata

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Nicht nur Halle im Händelspielmodus

Vorspann / Teaser

Die Händelfestspiele setzten in und um Halle mit der Vielfalt des Programms auf die Strahlkraft des großen Hallensers.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Bei den Händelfestspielen hat wieder einmal das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt vor den Toren der Stadt bewährt. Das vorbildlich gepflegte Erbstück Goethes ist dafür als Gesamtkunstwerk bestens geeignet. (Auch die gefürchteten Innentemperaturen lässen sich neuerdings etwas herunterführen!). Zu einem heimlichen Festspielzentrum wird es für viele Bescher vor allem, weil Wolfgang Katschner und seine lautten comapagney BERLIN hier schon traditionell mit einer Opernproduktion glänzen. Diesmal zwar nicht mit einer Händeloper, aber in direktem Bezug zu dessen „Agrippina“, die den Festspielauftakt bildete. Auf dem Programm stand „Die römische Unruhe oder Die edelmütige Octavia“ eine Oper von Händels Zeitgenossen, Förderer und auch Konkurrenten Reinhard Keiser (1674-1739). Uraufgeführt wurde sie in Hamburg 1705, also vier Jahre bevor Händel mit seiner „Agrippina“ in Venedig durchstartete. Zehn dort „nachverwertete“ Arien von Keiser sind eine ganze Menge. Wobei das damals als Wertschätzung für das Vorbild galt. Heute wäre diese Praxis ein gefundenes Fressen für Plagiatsjäger. Wenn auch Keiser gelegentlich wieder einmal aufgeführt wird, könnte man das also als einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit sehen.

Ahnte man schon in „Agrippina“, dass Nero auf der Opernbühne einen ähnlich miesen Leumund hat, wie der reale in den Geschichtsbüchern, so führt Keiser das mit dem von Barhold Feind in immer noch ganz vorzeigbaren Deutsch zurechtgebogenen Libretto am Beispiel des Umgangs mit seiner Frau Octavia fort. Die wird hier vom Willkürherrscher nicht nur abserviert, sondern gleich vor die Wahl Dolch oder Gift gestellt. Nach durchgespielten amourösen Verwicklungen, Staatsstreichversuch und vereiteltem Selbstmord gibt es eine versöhnlich friedliche Lösung: Die schon zusammengehörten, bleiben zusammen, andere kriegen sich oder bleiben wenigstens am Leben. Regisseur Tilman Hecker und sein Team setzten das mit leichter Hand als vorgeführtes Spiel von Theaterenthusiasten im Backstage-Charme der Barockbühne in Szene. Wenigstens einmal wird der Zauber der Kulisse quasi von vorn eingeblendet. Ein locker handgreifliches (fast)-jeder-mit-(fast)-jedem-Spiel reicht, um die sprichwörtliche spätrömische Dekadenz zu beglaubigen. Dafür legt sich das immerhin elfköpfige Ensemble vehement ins Zeug. In der Ansammlung von historischen Kostümandeutungen sticht (auch stimmlich) die herausgeputzte Johanna Kaldewei als Titelheldin heraus. Mit Danae Kontora hat sie eine betont attraktive Konkurrentin im Kampf um Nero (Tomáš Král). Dass zu Octavias Lamento-Arie einmal ganze fünf Fagotte auf der Bühne erscheinen, ist eins der kleinen Glanzlichter des Besonderen. Für Festspiele eine passender Vergleich, bei dem das Ergebnis (zugunsten Händels) nicht wirklich überrascht. Bei der trotz Kürzung festspiellangen Aufführung dominierten Spielfreude und natürlich die Kompetenz von Katschner & Co. im Graben.

Bild
„Clori, Tirsi e Fileno“ im Goethe-Theater Bad Lauchstädt. Foto: © Benjamin Elsholz

„Clori, Tirsi e Fileno“ im Goethe-Theater Bad Lauchstädt. Foto: © Benjamin Elsholz

Text

Augenzwinkern im Barock

Im Goethe-Theater gab es neben der Octavia auch noch ein Schäferstündchen mit Händels wohl 1707 in Rom entstandenen Kantate „Clori, Tirsi e Fileno“. In Bad Lauchstädt wurden unterdessen, diskret, aber deutlich, Beziehungsoptionen durchgespielt, mit denen es so unverblümt gegen die herrschenden monogamen heteronormativen Muster geht, dass man staunt, wie das damals durchgehen konnte. Selbst in aufgeklärten Zeiten wie heute ist die angedeutete Lösung nicht ganz ohne. Zwei Männer lieben eine Frau und umgekehrt. Als die Männer dieses doppelte Spiel mitkriegen, geht man sich mal nicht bühnentypisch gegenseitig an den Kragen, sondern versucht es einfach mal. Zwischenüberschrift mit Augenzwinkern: Habt Euch nicht so.

Frische, beherzt pointierte Sounds

Michael Hofstetter und das Barockorchester der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach liefern dazu einen frischen, beherzt pointierten Sound. Die Schweizer Sopranistin Chesles Zurflüh ist diese sinnlich verführerische (und recht abgebrühte) Clori, um deren Liebe zwei Countertenöre werben und ausführlichst leiden. Es ist ein Vorzug, dass der Italiener Nicolò Balducci als Tirsi und der Schweizer Constantin Zimmermann als Fileno, ganz unterschiedliche Stimmfarben für sich ins Feld führen können. Der Italiener, der vokal eher zwischen dramatisch und leidend changiert, bremst immer gerade noch, bevor er scharf zu klingen droht. Der Schweizer punktet dagegen mit seinem abgerundet kraftvollen Timbre. Vor der naturidyllenprächtigen barocken Bühnenkulisse tanzt Regisseur und Choreograf Alberto Pagani selbst zusammen mit Giulia die Stefano und Giulia Miceli gleichsam die Gedanken und Obsessionen der drei Protagonisten. Sie alle hat Stephan Bolz dezidiert geschmackvoll so kostümiert, dass man nicht vergisst, dass es hier um Liebe geht, die sich nicht aufs Anschmachten oder daran Leiden beschränkt. Mit Annäherungen auch mal über die üblichen Konventionen hinweg, wogegen Händel sicher nichts gehabt hätte. Das Publikum quittierte diese Wiederbegegnung mit dem zeitlosen Händel-Schäferstündchen der besonderen Art enthusiastisch.

Artistischer Punkt auf das ı

Einen weiteren dezidierten Verweis auf Händel inspirierende Quellen (wie bei den beiden Opernproduktionen) hatte der plötzlich verstorbene Bernd Feuchtner wohl im Sinn, als er Francesco Antonio Urios (1631-1719) „Te Deum“ aufs Programm setzte. In der Marktkirche erklang es nach dem „Concerto grande de Chiesa o dell’incoronazione“ von Francesco Maria Veracini (1690-1768) Urios „Te Deum“. Davor setzte Ying Zhang mit ihrer Violine (aus dem Jahre 1670) den artistischen Punkt auf das ı der fabelhaft aufspielenden Staatskapelle. Die profitierte in einer barocken Sternstunde mit Pauken und Trompetenherrlichkeit davon, dass Alte-Musik-Legende Reinhard Goebel am Pult demonstrierte, warum er diesen Ruf ganz zu Recht hat. Die halbe Stunde uneingeplanter Wartezeit fürs Publikum nutzte der neue Festspielintendant Florian Amort für eine spontane Einführung zum Thema Händel und seinen Umgang mit Quellen …

Feuerwerk der Stimmartistik

Ein barockeigenes Feuerwerk der Stimmartistik zündeten gleich drei Countertenöre in der Händelhalle mit einem gut aufeinander abgestimmten Programm. Mit dem von Martyna Pastuszka vom Pult der ersten Violine aus temperamentvoll geleiteten polnischen Ensemble (oh!) Okriestra wechselten sich Max Emanuel Cencic, der US - Amerikaner Ray Chenez und der Brasilianer Bruno de Sá mit Arien von Händel, Porpora, Piccini und Hasse ab. Wobei de Sá (der gerade in Berlin das erste Mal als ein Don Elviro das Don Giovanni-Personal aufmischte) eigentlich ein Sopranist ist. Besonders er schwang sich in akrobatische Tonhöhen auf, von denen man gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Man kann sich darauf freuen, wenn er im nächsten Jahr wiederkommt!

Jazz-Kommentare

Katschner und einige seiner Instrumentalisten waren auch am musikalischen Rahmen für zwei sympathisch unterhaltende Veranstaltungen, die mit zwei prominenten Schauspiel-Bühnenstars barocken Zeitgeist aus der Perspektive zwei sehr verschiedener historischer Persönlichkeiten beschworen. Im Theater in Bernburg lieferte Gustav Peter Wöhler amüsante Tagebucheinblicke des kauzigen Londoner Beamten Samuel Pepys in den Londoner Alltag um die Zeit des Großen Brandes 1666 (also bevor Händel dort ankam). Eine amüsante Show für sich lieferte natürlich auch Gisa Flake, die aus den berühmten Briefen der Liselotte von der Pfalz höchst amüsante „Tweets aus Versailles“ machte … Diese augenzwinkernd vor allem unterhaltenden Angebote gehören zum Reiz der Händel-Festspiele. So wie in der Georgenkirche der Auftritt von Jazzerin Johanna Summer (in Kooperation mit dem Festival Next Generation Woman in Jazz). Sie bot freie Improvisationen am Klavier, kommentierte musikalisch quasi eher von der Seitenlinie des großen Aufspielens mit Händels Musik aus. Auch mit von Händel inspirierten Motiven, sagt sie. Da braucht es keinen Programmzettel, weil es am Flügel die Kreation und Interpretation gleichzeitig gibt und das Publikum genauso vom Resultat überrascht wird, wie die Künstlerin selbst. Menschliche KI der besonderen Art quasi. Die versammelte Neugier und Offenheit im Publikum jubelte ihr denn auch nach ihrem packenden, nie wieder genauso wiederholbaren Ausflug ins Land der musikalischen Phantasie herzlich zu.

Traditionsgemäß endet das vielfältige Angebot der Festspiele in Händels Geburtsstadt mit Openair mit großem Feuerwerk. Zur Feuerwerksmusik. Wie auch sonst.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!