Hauptbild
Rita Kapfhammer (Carmen) und Marcel Reijans (Don José). Foto: © Claudia Heysel
Rita Kapfhammer (Carmen) und Marcel Reijans (Don José). Foto: © Claudia Heysel
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ohne Verlegenheiten – Bizets Carmen am Anhaltischen Theater in Dessau in der Inszenierung von Jana Eimer

Publikationsdatum
Body

Eigentlich ist Bizets „Carmen“ ein Selbstläufer. Man kann bei der Geschichte von der leidenschaftlichen Frau, deren Credo es ist, vor allem frei zu sein, eigentlich nicht allzu viel falsch machen. Man kann aber einiges besonders gut und richtig machen. So wie Jana Eimer jetzt in Dessau.

Sie erzählt die Geschichte von der plötzlich aufflammenden und für beide tödlich endenden Leidenschaft zwischen Carmen und Don José konsequent aus der Perspektive des schnell wieder Verlassenen. Die Frage, ob man sich für gesprochenen Dialogen oder gesungenen Rezitativen entscheidet, beantwortet sie mit einem eigenständigen und überzeugend umgesetzten Kunstgriff. Eine Stimme aus dem Off lässt uns an Don Josés Version der Geschichte teilhaben. Dabei hat sie sich in ihrer eigenen Dialogfassung von Prosper Mérimées Novelle inspirieren lassen, die die Vorlage für diese bei ihrer Uraufführung 1875 keineswegs schon erfolgreiche Oper lieferte. Heute ist das natürlich anders. Dem Franzosen Georges Bizet ist es sogar gelungen, die immer noch gängigen Spanienklischees nachhaltig im kollektiven Bewusstsein zu verankern. Was eine hübsche Pointe der europäischen Kultur ist.

In Dessau steht Don José, noch bevor die Musik einsetzt, mit dem Rücken an der Wand – es könnte die sein, an der der wegen der Ermordung Carmens zum Tode Verurteilte gleich im Kugelhagel eines Exekutionskommandos sein Leben verlieren wird. Wir hören Gerald Fiedler mit der genau dazu passenden deutschen Sprecher-Stimme aus dem Off. Während der Ouvertüre gibt es in kurzen Spots Szenen aus der Kindheit von José und Micaela. Sie spielen miteinander und wachsen heran. Josés Mutter ist allgegenwärtig und streng. Für Alles was dann passiert hat Jana Eimer ein riesiges, schräg ansteigendes, auf der Drehbühne liegendes Kreuz entworfen (und von Nicole Bergmann und Nancy Ungurean bauen lassen), das sich neben seinem metaphorischen Hintersinn, erstaunlich praktikabel bespielen lässt. Je nachdem, welche Position es gerade hat. Projektionen auf den Kreuzenden eröffnen mit zur Situation passenden Motiven Franz von Stucks bildlich eine zusätzliche Dimension. Das ist ästhetisch stimmig und im Dienste einer stringenten, wenn auch nicht naturalistischen Erzählung der bekannten Geschichte. Und die läuft als Rückblende noch einmal vor Don Josés und unseren Augen ab. In manchen Szenen bewegt er sich als staunender Beobachter durch seine eigene Geschichte. Dann aber wird er als Akteur in sie hineingezogen.

Dass Jana Eimer jahrelang mit Johannes Felsenstein gearbeitet hat, merkt man an der Personenführung. Die sitzt ohne irgendwelche Verlegenheiten, ist glaubwürdig und dicht. Auch da, wo die Perspektive Don Josés zu surrealen Überhöhungen führt. Micaela etwa, die die Mama gerne als Braut an der Seite des Sohnes sehen würde, erscheint hier gleich wie eine Heilige mit dem entsprechenden Strahlen ums Haupt. Einmal wird sie sogar als eine jener Heiligenfiguren hereingetragen, die in Spanien auch heute noch Teil ausführlich zelebrierter katholischer Rituale sind. Damit wird eine Distanz zu dieser Rivalin Carmens im Herzen von Don José geschaffen und zugleich verdeutlicht, warum es mit den beiden nichts werden konnte. Die Mutter Josés erscheint hier als furchterregend spanisch schwarz gekleidete, strenge Donna Mama. Psychologisch gesehen als Mutterproblem Josés. Sein Rivale Escamillo schließlich wird auf einem riesigen Stier in voller Montur und in Siegerpose hereingefahren. So nach dem Motto was anderen Angebern ihr Luxuscabrio ist dem Spanier sein schnaubendes Hornvieh. Über dem Kreuz, das für Carmen und José ein Kreuzweg des Schicksals ist, ist der tiefhängende Kulissenhimmel lodernd rot, wie das Kleid von Carmen und das Charisma dieser Frau. Für die Zwischenmusik hat Joe Monaghan eine surreale Tanzszene choreografiert, bei der sich unter der Stiermaske im Zentrum Micaela verbirgt…

Zur überzeugenden klar und doch mit starken Bildern erzählten Geschichte kommt in Dessau ein vokaler Ensembleglücksfall. Dass Rita Kapfhammer eine für Carmen maßgeschneiderte, dunkel timbrierte, kräftig leuchtende Stimme hat, wusste man. Nicht zuletzt von ihrer phänomenalen Fricka. Sie liefert die erwartete erstklassige Carmen. Eine Überraschung in Dessau ist der Holländer Marcel Reijans als José – leidenschaftlicher Schmelz, innere Zerrissenheit ist alles da. Ein wunderbar kraftvoller, aber nicht brüllenden Tenor-Strahlemann! Zur Heiligenfigur Micaela steuert Cornelia Marschall eine engelsgleiche Stimme bei und dass Ulf Paulsen den Escamillo mit seiner üblichen komödiantischen Nochanlance präsentiert (Grippewetter hin oder her), rundet dieses Protagonisten-Quartett ab, das die Spitze einer insgesamt überzeugenden Ensembleleistung anführt. Daniel Carlberg schließlich sorgt am Pult der Anhaltischen Philharmonie mit Präzision und Verve für die Leiden schaft, die wir im Gefolge von Bizet gerne für spanisch halten wollen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!