Bei den Schwetzinger SWR-Festspielen inszeniert die Dresdnerin Andrea Moses das Musiktheater „Adam und Eva“, von Mike Svoboda zu einem Libretto, das Anne-May Krüger aus der gleichnamigen Komödie von Peter Hacks destilliert hat.
Adam und Eva bei den Schwetzinger Festspielen. Foto: Fernando Fath
Bei den Schwetzinger SWR-Festspielen inszeniert die Dresdnerin Andrea Moses das Musiktheater „Adam und Eva“, von Mike Svoboda zu einem Libretto, das Anne-May Krüger aus der gleichnamigen Komödie von Peter Hacks destilliert hat.
Am Ende ist Gott zwar nicht tot. Aber er ist fast nackt und deprimiert. Er ist seinen Geschöpfen egal. Sie lassen ihn allein zurück, entschwinden nicht nur von der Bühne, sondern gleich ganz aus dem Rokokotheater im Schwetzinger Schloss ins Freie. Keine Brandmauer hält sie. Gott aber probiert es in Sachen Welt noch mal. Er fängt diesmal nicht mit einem Lehmklumpen an, sondern er setzt einen Felsbrocken auf einen anderen. Das passt zum selbsternannte Klassiker der noch nicht ganz utopiefreien DDR Ulbrichts namens Peter Hacks. Der hatte gerade für die Zeit, als Ulbricht (wie der Gott auf der Bühne) 1971 von Honecker abserviert wurde, eine Komödie in der Schublade, die zwar bis in die allseits bekannte Geschichte von Adam und Eva im Paradies (bzw. an dessen Ausgang) zurückging, aber durchaus seine Gegenwart meinte. Uraufgeführt wurde sie 1973 am Staatsschauspiel Dresden.
Da stand der Mann, der von sich reimte, er sei ein Dichter und kein Zeitgenosse, trotz dieses Wechsels vom lebenslang bewunderten Patriarchen zum ungeliebten pragmatischeren Nachfolger vor dem Durchbruch als geschätzter Bühnenautor. Weil er es verstand, aus Dialektik Kunst zu machen. Und mit brillanter Feder auch als Dichter sein Bekenntnis zum Entwurf von Ulbrichts kleinem eigenen Deutschland so zu unterlaufen, wie er es mit seinem aristokratischen Lebensstil als Privatmann (sprich als Dandy mit eigenem Schlösschen samt Pfauen im Park und diversen Nebenfrauen) ohnehin tat. Mit einer ironische Arroganz wie sonst keiner schuf er sich eine Nähe etwa zu Goethe. Als nach seinen unsäglich bedenkenlosen Kommentaren zur Biermann-Ausbürgerung 1976 im „freien Westen“ der Bannfluch auch sein „Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herr von Goethe“ von der Bühne fegte, brachte man sich dort (bis heute) selbst um einen Zugang zu Goethe, den man besser nirgends findet. Zumindest nicht so amüsant. Aber der 1928 in Breslau geborene, ab 1955 freiwillig in der DDR lebende und am 28. August 2003 (zu Goethes Geburtstag, wann auch sonst) gestorbene Dichter, der die Dialektik mit Löffeln gefressen hatte und in intellektuelles Amüsement zu verwandeln verstand, hat Zeit.
Seine Komödie „Adam und Eva“ brachte es jetzt zur Vorlage für ein Opernlibretto. Mit Sätzen wie dem: „Die Welt ist wohlgelenkt, wenn nur der Wächter noch an Frevel denkt.“ Das klingt nicht nur hübsch, der Gedanke hat es in sich, ist auf Hacksche Manier entlarvend. Das Paradies braucht Wächter, behauptet da der Engel Gabriel, weil es eben auch im Wohlgelenkten zu Frevel kommen kann, der allemal bemerkt und bekämpft werden muss.
Als Auftragswerk der Schwetzinger SWR Festspiele und in Koproduktion mit dem Landestheater Linz hat Anne-May Krüger die Hacks-Vorlage (mit ein paar Sätzen aus Miltons „Lost Paradise“ ergänzt) auf ein dreiaktiges Librettomaß mit Vorspiel gebracht. Der amerikanische Komponist Mike Svoboda hat dazu eine Musik komponiert, die der Bühnenwirksamkeit stärker verpflichtet ist, als dem Ehrgeiz, als bislang unerhörte Novität (oder einer Nähe zu Stockhausen, an dessen Licht-Zyklus er einst sogar mitgewirkt hat) zu glänzen. Der Komponist selbst leitet die Musiker des klein besetzten Sinfonieorchesters des Hessischen Rundfunks. Das mit dem Namen des in 70 Jahren etablierten Festivals verbundene SWR Orchester stand – so die neue Festspiel Intendantin Cornelia Bend - aus „dispositorischen Gründen“ seltsamerweise nicht zur Verfügung.
Adam und Eva bei den Schwetzinger Festspielen. Foto: Fernando Fath
Mit scheinbar leichter Hand verbindet der als Komponist eh zwischen Neuer Musik, Jazz, Performance und Witz changierende Svoboda verschiedene Anregungen und macht daraus, samt dosiert eingesetzter Elektronik, etwas eigenes. Neben der im Graben des Schwetzinger Theaterschmuckstücks mit Klarinetten, Posaunen, Streichern, Akkordeon und Schlagwerk live produzierten Musik gibt es, sogar über unten den Sitzen montierten Lautsprechern, Zuspielungen, die vom SWR Experimentalstudio aufgenommen wurden.
Da Andrea Moses Regie führt, wird das Experiment Gottes, mit dem er aus der Langeweile seiner beiden Pro-und-Contra-Gegenüber und damit aus der Vorhersehbarkeit herauskommen will, als ein Experiment erzählt, das von der Entstehungszeit des Stückes bis in die Gegenwart reicht. Gott kann es sich in Gestalt des Schauspielers Sebastian Hufschmidt als einziger leisten, nicht zu singen, sondern nur zu sprechen. Wobei der Projektchor des Landestheaters Linz seine Worte immer wieder mit einem Echo versieht und ins Gesungene verlängert. Mit koloratursicherem Sopran nörgelt Morgane Heyse als „weißer“ Engel Gabriel zwar daran herum, dass die Erde nicht wirklich kugelrund geworden ist, ist aber ansonsten vor allem begeistert von der Schöpfung. Während die eloquente Mezzosopranistin Manuela Leonhartsberger als gefallener Engel Satanael (und dann inkognito als Schlange) als personifizierte Kehrseite des vorhersehbaren Dauerlobes vor allem alles mies findet, stets das Böse will und stets das Gute schafft - Goethe ist da von Hacks halt nicht zu überteufeln. Da an der Erfindung der beiden Menschen deren eigener Wille die entscheidende Neuerung ist, ist natürlich vorprogrammiert, dass das Experiment Mensch und damit Welt aus dem Ruder laufen. Gott im weißen Kittel wie ein Ingenieur der Seelen mit einem Tross von Assistenten (Kostüme: Anja Rabes). Seine menschlichen Versuchskaninchen auf einem Felsen in einer transparenten Box (Bühne: Heike Vollmer. Vorn Kontrollmonitore, hinten Videos (Sarah Derendinger) mit Plattenbaufassaden und dann Konsumverheißungen. Adam (mit jugendlicher Verve: Bartion Alexander York) und seine Eva (mit einnehmender Wärme: Sopranistin Tina Josephine Jaeger) entscheiden sich (mit Hilfe der Ratschläge der Schlange, aber auch als Revolte gegen das absurde Apfelverbot) für einander und damit gegen ihren Schöpfer. Greifen bei den Äpfeln und den Pelzmänteln zu, die unters Volks geworfen werden, wie die sprichwörtlichen Bananen unter die (kurzzeitig) jubelnden Neubürger im Osten. Das ist subtil und deutlich, das wirkt wie Nachdenken in Bildern und hat Tempo. Inklusive des Chaos’. Die hinzugefügten Einhörner (Mezzosopranistin Génesis Beatriz López Da Silva und der Dresdner Bass Felix Lodel) sorgen mit ihren Sentenzen immer wieder für Pausen der Nachdenklichkeit.
In einer so verfremdeten Hacks-Vorlage bleibt natürlich klar, dass der weiß und durchblicken lässt, dass kein anderer als er selbst der Schöpfer des Schöpfers ist. Dass seine subtile Warnung vor dem Untergang des nur als Utopie funktionierenden DDR-Paradieses knapp 20 Jahre später ein für alle mal das Ganze den Bach runterging, konnte Hacks nicht wissen. Dass es in der Dialektik seiner Komödie und der ironisch arroganten Distanz, die er zur Wirklichkeit hielt, dennoch angelegt ist, macht Andrea Moses zum Motto ihrer Inszenierung. Sie haucht dem Laborexperiment mit lebendigen Menschen, mit der Erfahrung der deutschen Lebenswirklichkeit der Jahrzehnte nach der Uraufführung deftiges Leben ein. Das verlorene Paradies, das Hacks schon in der DDR prognostizierte, wird so zu einem Spiegel von deren Untergang, und zum Menetekel für das, was jeder Utopie droht, wenn sie verwirklicht werden soll.
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