Rund 20 Demonstranten haben sich mit ukrainischen Fahnen vor der Zürcher Oper aufgestellt. „Anna Netrebko ist die Stimme von Putin“, sagt eine Frau zu den vorbeigehenden Premierenbesuchern. Auf einem Plakat ist die unvorteilhaft gemalte Sängerin zu sehen, wie sie auf einer Bombe sitzt: „Keine Bühne für Netrebkos Spagat.“ Bereits im Vorfeld hatte das Engagement der russischen Starsopranistin für Wirbel gesorgt.
  La Forza del Destino am Opernhaus Zürich. Foto: Monika Rittershaus
Platte Regie und feine musikalische Zeichnung – Giuseppe Verdis Oper „La Forza del Destino“ in Zürich
Die ukrainische Botschafterin der Schweiz forderte in einem offenen Brief an das Parlament die Absage des Auftritts, weil Netrebko Teil des Putin-Systems war, sich seit Kriegsbeginn zu wenig davon distanziert habe und immer noch eine „kulturelle Drohne“ sei. Für den Verein „Helvetia for Ukraine“ ist Netrebko eine „Softpower des Kremls“ und sollte zumindest einen Teil ihrer Gage ukrainischen Kriegsopfern spenden. Der neue Züricher Intendant Matthias Schulz, der Netrebko schon 2023 an seiner früheren Wirkungsstätte, der Berliner Staatsoper Unter den Linden, mit Auftritten in Verdis „Macbeth“ rehabilitiert hatte, hält es dagegen für problematisch, Künstler zu politisieren, wenn man an die eigentlichen Kriegstreiber nicht herankomme. Netrebko sei seit Kriegsbeginn nicht mehr in Russland aufgetreten und künstlerisch einfach die beste Besetzung für die „Leonora“ in Giuseppe Verdis Oper „La Forza del Destino“, sagt Schulz in einem vom Opernhaus Zürich verlinkten Interview mit der NZZ.
… spüren, wie sich Krieg anfühlt …
Krieg spielte aber nicht nur in der Diskussion vor der Premiere eine Rolle, sondern kommt auch auf die Bühne. Die argentinische Regisseurin Valentina Carrasco bringt den Krieg, von dem Giuseppe Verdi in seiner 1862 in St. Petersburg uraufgeführten Oper erzählt, in die Schweiz. Dafür hat sie Fassaden von ikonischen Schweizer Gebäuden wie den Völkerbundpalast in Genf, das Fraumünster in Zürich oder das Kongresszentrum Davos herstellen lassen und dann beschädigt (Bühne: Carles Berga). Das Publikum soll selbst spüren, wie sich Krieg anfühlt. Deshalb surrt auch mal eine Drohne vorbei, und fast alle Protagonisten stecken in Kampfanzügen (Kostüme: Silvia Aymonino). Trotz großem Aufwand erreicht der Abend aber szenisch kaum Intensität, weil es an Genauigkeit und Zuspitzung fehlt. Der Messerkampf zwischen Don Alvaro und Don Carlo gerät unfreiwillig komisch, wenn die beiden statuarischen Kontrahenten ständig nach dem Dirigenten schauen. Wer ist Besatzer, wer Unterdrückter? Das ist bei den vielen Uniformierten auf der Bühne auch nicht immer auszumachen.
Musikalisch entfaltet der Abend jedoch von Beginn an höchste Spannung. Schon die ersten drei Töne in Fagotten und Blechbläsern sind scharf umrissen und bleiben in der Wiederholung intensiv und unerbittlich. Das Agitato-Thema wirkt so plastisch, als sei die Ouvertüre wirklich außer Atem. Gehetzte Musik – grandios umgesetzt vom Orchester der Oper Zürich unter seinem Chefdirigenten Gianandrea Noseda, der sich aber auch genügend Zeit für die großen Melodiebögen nimmt und die häufigen Wechsel zwischen Drama und Einkehr, zwischen Masse und Individuum perfekt umsetzt. Orchester und Chor klingen gewaltig, aber nie lärmend. Selbst in den vielen musikalisch aufgeheizten Szenen wird nichts schrill – die klangliche Balance und Durchsichtigkeit ist ein Traum.
Klangliche Balance und Durchsichtigkeit: ein Traum
Bei ihrem ersten Auftritt singt Anna Netrebko in der Rolle der Donna Leonora gemeinsam mit Stanislav Vorobyov als Leonoras Vater auf dem Balkon der Zürich-Versicherung vor einem Bombenloch. Ihre Tiefe klingt inzwischen so dunkel wie bei einem Mezzosopran, ohne dass sie in der Höhe an Leuchtkraft verloren hat. Was der Inszenierung an Differenzierung fehlt, ist bei ihr in jedem Ton ihrer Legatokunst zu hören – ein leichtes An- und wieder Abschwellen, ein unterschiedliches Färben der Vokale, ein Veredeln der dynamischen Spitzen. Und wenn sie von der Klarinette die Melodie übernimmt, dann führt sie genau diesen Klang mit ihrer Stimme weiter. Mit Yusif Eyvazov steht dieser Leonora ein Don Alvaro als Geliebter gegenüber, der zwar über enorme Strahlkraft verfügt, aber im Lyrischen wenig zu bieten hat. George Petean als Leonoras rachsüchtiger Bruder Don Carlo begeistert mit dramatischer Wucht und perfekter Linienführung. Auch die kleineren Rollen wie die der Kriegstreiberin Preziosilla (präsent: Annalisa Stroppa), des Padre Guardiano (mit entspannter Tiefe: Michele Pertusi) und des Fra Melitone (beweglich: Robert Frontali) sind ausgezeichnet besetzt. Diese Produktion ist ein musikalisches Fest!
Dass die vom Premierenpublikum gefeierte Anna Netrebko am Ende inszenierungsbedingt selbst ein Maschinengewehr in der Hand hat und zuvor in ihrer Arie „Pace, pace, mio dio“ im beschädigten Genfer Saal der UN-Vollversammlung noch mit betörender Stimme vom Frieden singt, zeigt nochmals das Auseinanderklaffen von platter Regie und feiner musikalischer Zeichnung. Netrebko mit Maschinengewehr? Wenn das mal nicht viral geht bei ihren Kritikern.
- Weitere Vorstellungen: 7./12./15./18./21./26./29.11., 17./21.12.2025.
 
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