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Die Vermessung. Foto: Hufner
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Reichtum und Krise

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Uraufführungen 2023/03
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Einst gab es nur eine Hand voll Festivals neuer Musik, die bevorzugt im Frühling und Herbst stattfanden. Heute sind es ganzjährig viele Dutzende, lokale, regionale, nationale, teils auf bestimmte Genres, Ensembles, Medien, Spielstätten und Interessengruppen zugeschnitten. Und immer weitere kommen hinzu, sowohl von renommierten Veranstaltern, potenten Institutionen und Sponsoren als auch von kleinen Vereinen, freiberuflichen Kollektiven, privatwirtschaftlichen Initiativen. Alle wollen Kräfte, Strukturen, Ideen, Finanz-, Personal- und Werbemittel bündeln, um nach Möglichkeit bestehende Kooperationen zu festigen und neue zu stiften.

Man möchte größere mediale Aufmerksamkeit generieren und stärkeres öffentliches Interesse wecken. Bisheriges Publikum soll gebunden und neues gewonnen werden. Doch schon seit Längerem wird diese Vielfalt auch als „Festivalitis“ und „Eventisierung“ beklagt. Denn die Kehrseite der Medaille ist, dass es über das Jahr verteilte Einzelveranstaltungen und Reihenkonzerten immer schwerer fällt, Presse und Publikum zu erreichen. Festivals sind folglich ebenso Ausdruck von Reichtum wie Symptom einer Krise.

Das Festivalkarussell beginnt im Februar gleich am Monatsersten mit Eclat im Stuttgarter Theaterhaus. Bis zum 5. Februar sind hier vierzehn Uraufführungen unterschiedlicher Formate zu erleben. Von Samir Odeh-Tamimi gibt es das Musiktheaterwerk „Philoktet“ nach den gleichnamigen Dramen von Sophokles, Heiner Müller und André Gide. Das Ensemble Garage lässt sich mit Genoël von Liliensterns „Supervised Sounds“ auf einen wechselseitigen Lernprozess mit einer künstlichen Intelligenz ein, deren neuronale Netze die Instrumentalklänge uminterpretieren. Juliana Hodkinson gestaltet mit „Ready for Ecstasy“ einen „magischen Raum“, und Ricardo Eizirik entwickelt mit dem Ensemble Ascolta „ein subtiles Szenario dafür, wie durch Verwirrung, Umformung und Manipulation von Nachrichten eine neue Form der Zensur entsteht“. Im Rahmen zweier Konzerte der Serie SWR2 JetztMusik gibt es bei Eclat außerdem neue Orchesterwerke von Stefan Keller, Bernhard Gander und Zeynep Gedizlioglu sowie Novitäten für das SWR Vokalensemble von Valerio Sannicandro, Alberto Posadas und Julien Jamet. Neue Kammermusik stammt von Andile Khumalo, Sivan Eldar, Ambrose Akinmusire und Hanna Eimermacher.

Zeitgleich steigt vom 1. bis 5. Februar an mehreren Orten in Berlin die Transmediale mit neuen Verbindungen von Kunst, Kultur und Technologie. Das Festival findet in Kooperation mit dem parallel laufenden CTM Festival for Adventurous Music and Art statt, das Orte des Berliner Nacht- und Kulturlebens mit experimenteller, zeitgenössischer und elektronischer Musik bespielt. Weiter geht es in der Festivalhauptstadt mit der zweiten Ausgabe der Biennale der Berliner Philharmoniker. Neben Klassik und Moderne widmet sich diese Neugründung vom 9. bis 26. Februar der Musik der 1950er- und 60er-Jahre, insbesondere dem Jubilar György Ligeti, zu dessen hundertstem Geburtstag die Berliner Philharmonie auch eine Ausstellung zeigt. Im Eröffnungskonzert spielen die Philharmoniker unter Leitung von Kirill Petrenko erstmalig Miroslav Srnkas Orchesterstück „Superorganisms“ nach Strukturen von Vogel- und Fischschwärmen. Bei der Biennale für aktuelle Musik Frankfurt Rhein Main cresc… geht es dann an den beiden Wochenenden zwischen dem 17. und 25. Februar unter dem Slogan „Me We“ des berühmten Boxers und Menschenrechtsaktivisten Muhammad Ali um das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in aktueller Musik, nicht zuletzt in sieben Uraufführungen von Páll Ragnar Pálsson, Zara Ali, Katherine Balch, Omer Barash, Phillip Krebs, Piotr Peszat und Kitty Xiao.

Weitere Uraufführungen:

  • 08.02.: York Höller, Klaviersonate Nr. 4, Unsuk Chin, Etude No. 8, Maison de la Radio et de la Musique, Paris
  • 17.02.: Nikolaus Brass, In der Farbe der Erde für Viola und Orchester, Hans Thomalla, …the Brent geese fly in long low wavering lines… für Orchester, musica viva, Herkulessaal München
  • 27.02.: Rolf Wallin und Ji Youn Kang, neue Werke für Horn, Trompete und Tuba, Studio Musikfabrik Köln

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