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Michael Nagy in Andrea Scartazzinis „Edward II.“ in der Regie von Christoph Loy an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Michael Nagy in Andrea Scartazzinis „Edward II.“ in der Regie von Christoph Loy an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Schwulenhetze als Musikdrama

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Andrea Scartazzinis „Edward II.“ an der Deutschen Oper Berlin
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Ob die enge Männerfreundschaft zwischen dem historischen Edward und Gaveston zu Anfang des 14. Jahrhunderts tatsächlich sexueller Natur war, ist umstritten. Aber insbesondere der Kultfilm von Derek Jarman machte den mittelalterlichen englischen König Edward II. zu einer Ikone der Schwulenbewegung. Wie Jarmans Film, so basiert auch das Libretto von Thomas Jonigk auf Christopher Marlowes Drama, obendrein auf historischen Quellen des 14. und des späten 16. Jahrhunderts.

Durchwegs spannend und fesselnd hat der Lebensgefährte des Librettisten, der Regisseur Chris­tof Loy, das von Jonigk auf den Aspekt der Schwulenhetze reduzierte Königsdrama gestaltet. Edward II. steht offen zu seiner leidenschaftlichen Beziehung, zum unstandesgemäßen Freund Piers de Gaveston. Er entmachtet den gegen Homosexualität predigenden rechtmäßigen Bischof (Burkhard Ulrich) und erhebt stattdessen den Freund zum Bischof von Coventry. Edwards sexuell unbefriedigte Gemahlin sucht sich ebenfalls einen Liebhaber: Roger Mortimer (Andrew Harris), der den Herrscher sukzessive kaltstellt und dessen nach Frankreich geflohenen Geliebten grausam umbringen lässt. Edward II. wird inhaftiert und, dem Wahnsinn nahe, exekutiert. Edwards Sohn aber, fasziniert von der Andersartigkeit seines Vaters und auch erotisch in dessen Fußspuren wandelnd, lässt dann als König Edward III. seine Mutter und seinen Stiefvater Mortimer hinrichten – aber das wird in der Oper nur berichtet.

Eindringlich gelungen ist das Zusammenspiel von Klangsprache, gesungenem und gesprochenem Text und intensiver Personenführung in Annette Kurz’ Bühnenbild, das während des pausenlosen anderthalbstündigen Abends einen engen, altarähnlichen Rundbau in der Bühnenmitte langsam einmal um sich selbst kreisen lässt.

Aufgelockert wird der blutige, nur in der Leidenschaft schwuler Männer zärtliche Handlungsbogen durch zwei Diener, die – wie shakespeare’sche Clowns – im Zeichen der Macht zwischen weltlicher und kirchlicher Obrigkeit offiziell als Schergen gegen „Sodomiten und Juden“ vorgehen, sich aber in all ihren Erscheinungsformen – als Soldaten, Räte, Geistliche oder als Wärter – stets aufs Neue selbst als „Sodomiten“ erweisen. Diese Szenen interpretieren Markus Brück und Gideon Poppe mit Witz und Biss – und in der Schlussszene begegnen sie dem Zuschauer als Tourguides im Wachsfigurenkabinett wieder. Denn Jonigk bricht die historische Handlung mit Erkenntnissen und Statements der Nachwelt, insbesondere durch die Figur eines glamourösen Engels (der Geschichte), den Scartazzini mit abstrahiertem Flügelrauschen bedacht hat.

In klassischer Spielfilmlänge von knapp 90 Minuten verblüfft der 1971 in Basel geborene Komponist durch Ökonomie der Mittel: Der große, von Thomas Søndergård umsichtig geleitete Orchesterapparat mit fünf Schlagzeugern klingt fast kammermusikalisch – so sparsam, aber gezielt sind Instrumenten-Gruppen und -Soli im Graben eingesetzt. Scartazzini gelingen neuartige und verblüffende Effekte, woran Harfe und Glasharfe einen gro­ßen Anteil haben. Trotz partiellem Einsatz von Vierteltönigkeit, Clustern und Aleatorik, Elektronik und Tonband-Einspielungen, wirkt die Partitur großenteils tonal. Mit ihren Bläserchören gemahnt sie an klassische, in den Gesangspartien an romantische Modelle und mit ihren farbigen Orgelmixturklängen an Messiaen.

Agneta Eichenholz, die bereits die deutsche Erstaufführung von Scartazzinis Hoffmann-Oper „Der Sandmann“ in Frankfurt entscheidend mitgetragen hatte, brilliert in der einzigen Frauenrolle dieser Partitur; sie macht den Entwicklungsbogen der unerfüllten Ehefrau Isabella bis hin zur erbitterten Feindin ihres Mannes, die einen Mörder (James Kryshak) für Edwards Hinrichtung engagiert, nachvollziehbar. Spannend klingt sie insbesondere im Duett mit ihrer eigenen elektronisch duplizierten Stimme. Viril, mit nuancierter Stimmführung, gelingt es dem Bariton Michael Nagy, das Publikum für die Titelrolle sympathisch einzunehmen und auch nicht loszulassen, wenn er aufgrund der ihn umgebenden Zwänge selbst zum Tyrannen wird. Den begehrten und nicht nur in Albträumen gejagten schwulen Liebhaber Piers de Gaveston gestaltet der Tenor Ladislav Elgr.

Der junge Prinz Edward kämmt sich gerne ausgiebig und wird später von einem langmähnigen Gespielen seines Vaters (Gieorgij Puchalski) mit Tutu und Ohrringen ausstaffiert. Vokal zunächst mit zaghaft gesprochenen Fragen an die Mutter, dann mit kleinen Gesangseinsätzen und arioser Wiedergabe eines die grausamen Details nicht aussparenden Botenberichts über die Exekution des Gaveston, gegen Ende mit einer umfangreich vokalisierenden Gesangsphrase im Terzett: eine großartige Leistung des Knabensoprans Mattis van Hasselt.

Selten hat man ein Publikum nach einer Uraufführung so enthusiastisch erlebt wie nach dieser musikdramatisch aufbereiteten Geschichte einer Schwulenhetze.

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