Die Figur des Falstaff in der Opern von Nicolai, Vaughan Williams und Verdi wird gewöhnlich verlacht und nicht ernst genommen. In Verdis später Oper auf das Libretto des Komponistenkollegen Arrigo Boito dreht er am Ende den Spieß um und hält mit „Tutti gabbati“ dem Publikum als den ebenfalls Gefoppten den Spiegel vor. In der neuen Inszenierung der Staatsoper Unter den Linden verlagert Filmregisseur Mario Martoni („Leopardi“) die Handlung nach Shakespeares „The Merry Wives of Windsor“ in die Gegenwart: Falstaff ist bei ihm ein Spätachtundsechziger, weder dick, noch grauhaarig – und von vornherein sympathisch.
Weniger sympathisch zeichnet der Regisseur Falstaffs Umgebung. Auf einem Platz im Halbweltmilieu schmiedet er seine Pläne, gleich zwei Frauen des Ortes unanständige Angebote zu unterbreiten um zugleich deren Liebesdienste einzufordern und einen Zugriff auf deren Wohlhaben.
Die Frauen der höheren Gesellschaft, die lustigen Weiber von Windsor, verlustieren sich in einer Bade- und Spa-Landschaft mit einem veritablen, in den Bühnenboden eingelassenen Swimmingpool und Gymnastikmöglichkeiten, welche die erforderlichen Requisiten Wäschekorb und Paravent denkbar erscheinen lassen (Bühnenbild: Margherita Palli). Fragwürdiger erscheint es, dass der im Korb versteckte Falstaff dann über eine Treppe hinaufgetragen und über eine Mauer in die Themse geworfen wird; das tut heute, zumindest mit schmutziger Wäsche, und erst recht in der Upper Class niemand mehr.
Der Wald von Windsor ist eine verlassene Industriebrache mit einem Turm anstelle der Eiche. Hier treffen sich Freunde von Partnertausch und Sex im Freien, und die Polizei sieht nur ab und zu mit Taschenlampen nach dem Rechten. Und hier organisieren die Frauen Alice Ford (Barbara Frittoli) und Meg Page (Katharina Kammerloher), mithilfe des eifersüchtigen Ehemanns Ford (kraftvoll: Alfredo Daza) einen Hexensabbat in schwarzen Lederfummeln (Kostüme: Ursila Patzak) und mit Flagellations-Peitschen.
Doch Mrs. Quickly (Daniela Barcellona), die im ersten Akt mit einem Motorrad davongebraust war, sucht freiwillig das erotische Abenteuer mit Sir John Falstaff, und sichtlich findet sie es auch in dessen verkommenem Unterschlupf. Ford erstickt seine Verzweiflung während seiner Arie in einem Transparent der Make-Love-Not-War-Bewegung als einem übergroßen Kuscheltuch.
Ungeachtet der schwer übertragbaren politischen Ansprüche von Spät-Feudalismus und Hippietum erweist sich die Aktualisierung als machbar und scheint, dabei auf Humor setzend, für die Commedia lirica aufzugehen.
Dennoch böte das klassische Innere des Hauses der Familie Ford mit potentiellen Versteckmöglichkeiten mehr Anlass zu komischen Suchsituationen als hier das Wellness-Ambiente, wo die drei Damen mit Löffeln in ihren Teetassen klappern, während die Herren schmutzige Wäsche im Korb durchsuchen. Gezielt auf die Wirkung von Slapstick setzt Martone, wenn Fenton von den Damen in den Pool geworfen wird oder wenn Bardolfo (Stephan Rügamer) als falsche Braut eine steile Treppe heruntersegelt.
Mario Martone bemüht sich, seine Lesart mit dem Original in bestmöglichen Einklang zu halten und vermag dabei durch die Gleichsetzung sogar Lacher auszulösen: wenn Falstaff sich im Original vergeblich um Körperpflege bemüht, trimmt er die Haare im Inneren seiner Nase, und wenn er dem Objekt seiner Begierde gegenüber auf seinen Adel beruft, öffnet er dazu sein Hemd und zeigt die Wappen-Tätowierung auf seiner Brust.
Dieser Abend geht auf
In erster Linie geht dieser Abend auf, da Falstaff hier von Anbeginn eine Sympathiefigur ist. Der den Bühnenraum spielerisch und mit vielen gesanglichen Facetten beherrschende Michael Volle macht sein Rollendebüt zum Ereignis. Mit seinem Monolog im dritten Akt spannt er den Bogen zum Wahn-Monolog von Hans Sachs; so wird die Nähe dieser Oper des späten Verdi zum Wagnerschen Musikdrama deutlich. Seine Jugenderinnerung als Page besingt Volle mit betörenden Piano, selbstverliebt in das „gentile“.
Unter den weiblichen Solistinnen, die im knappen Bikini eine gute Figur machen und beachtlich, wenn auch nicht – den erhöhten Preisen entsprechend – außerordentlich festtagsgemäß singen, gefällt besonders Nadine Sierra als stimmlich blühende Nannetta.
Störend sind die langen Umbaupausen – und verwunderlich angesichts der gepriesenen immensen technischen Möglichkeiten der neuen Bühnentechnik im nur äußerlich alten Haus Unter den Linden. Immerhin geschieht der Umbau im dritten Akt fließend, Fenton (Francesco Demuro), ans Portal gelehnt, die Verwandlung singend überbrückt.
Warum allerdings bläst in den Industrie-Ruinen ein einsamer Hornist den Ruf des Schwarzen Jägers – als Auftakt zum Rudel-Bumsen von 20 Statisten in der Choreographie von Raffaella Giordano und dem von Martin Wright präzise einstudierten Staatsopernchor?
Diesmal durfte der Rezensent die Akustik aus dem dritten Rang beurteilen: zunächst erfreut über die Plastizität der Stimmen von der Bühne, verblasste der positive Eindruck mehr und mehr, zumal das Orchester zwar von oben gut einsehbar ist, jedoch im Juchhe des beim Umbau angehobenen Hauses arg flach wirkt, und die mehr in der Bühnentiefe postierten Stimmen sich mit dem Gesamtklang schlecht mischen.
Daniel Barenboim nimmt die Partitur eher schwer und wartet an diesem Abend nur selten mit überraschenden Details auf. Das Premierenpublikum akzeptierte uneingeschränkt die neue Inszenierung, feierte die Solisten, die Staatskapelle und deren Maestro.
- Weitere Aufführungen: 28. März, 1. April 2018.