Hauptrubrik
Banner Full-Size

So viel Merz und China gab es noch nie

Untertitel
Das neue „MaerzMusik“-Festival der Berliner Festspiele
Publikationsdatum
Body

„MaerzMusik“ heißt ein neues Kind in der Familie der Berliner Festspiele. Ganz neu aber ist es nicht. Es ersetzt die bisherige „Musik-Biennale“. Die fand, 1967 gegründet vom Komponisten-Verband der DDR und dann übernommen von den Festspielen, bisher alle zwei Jahre statt in Berlin, insgesamt 18-mal. Die Tatsache, dass der Bund nun allein die Festspiele GmbH finanziert, ermöglichte eine neue alljährliche Ausrichtung des Festivals. Man brauchte ein neues Konzept, einen neuen Namen und wählte den des Veranstaltungsmonats – nicht ohne Hintersinn.

„MaerzMusik“ heißt ein neues Kind in der Familie der Berliner Festspiele. Ganz neu aber ist es nicht. Es ersetzt die bisherige „Musik-Biennale“. Die fand, 1967 gegründet vom Komponisten-Verband der DDR und dann übernommen von den Festspielen, bisher alle zwei Jahre statt in Berlin, insgesamt 18-mal. Die Tatsache, dass der Bund nun allein die Festspiele GmbH finanziert, ermöglichte eine neue alljährliche Ausrichtung des Festivals. Man brauchte ein neues Konzept, einen neuen Namen und wählte den des Veranstaltungsmonats – nicht ohne Hintersinn.Straßen-Szenen, Demonstrationen, Aufmärsche archaisch kampfbereiter Ordnungshüter. Trickreich werden sie per Bildschnitt vereinzelt, zerstreut. Projiziert an die graue Kiesel-Natur-Steinwand des oberen Foyers des Hauses der Berliner Festspiele wirkt das besonders unwirklich, wie aus einer anderen Welt. Im unteren Foyer, der „late lounge“, wie der Kassenraum der früheren Freien Volksbühne für die Spätvorstellungen der „MaerzMusik“ umbenannt ist, bollert es laut aus dem Computer. Ein DJ klickt fleißig immer neue Displays auf seinem „Apple“. Das klingt manchmal sehr durchschnittlich, manchmal bizarr. Der chinesische „underground“ zu Gast in Berlin. Gespannt war man schon, was das denn sei: chinesischer „underground“? Bis 1992 war „underground“ tatsächlich so was wie „underground“. Dort hatten die Leute ihren Protest artikuliert gegen das Regime und die offizielle Kultur. Heute ist Underground die chinesische Popszene, wie man erfuhr, und Underground ist mutiert zum Mainstream.

China, der Musik der diversen Chinas, war ein Schwerpunkt des neuen „MaerzMusik“-Festivals der Berliner Festspiele gewidmet. Da spielte in einer „langen Nacht“ das Nieuw Ensemble Amsterdam Werke chinesischer Komponisten, die teils in der Volksrepublik, teils in der chinesischen Diaspora leben, für europäisches Instrumentarium, und der taiwanesische China Found Music Workshop spielte Werke westlicher und chinesischer Komponisten für traditionelles chinesisches Instrumentarium. Kontakt mit der westlichen Moderne hatten die hier präsentierten Komponisten alle. Am überzeugendsten wirkt ihre Musik, wo sie den eigenen Gestus wahrt, wo sie diese sehr besondere Klangsinnlichkeit des chinesischen Instrumentariums auch für das westliche fruchtbar macht. Wie zum einen der 1961 geborene Xo Shuya, der in seiner Musik sich auch stark beeinflussen ließ von buddhistischen Tempelgesängen, in „Vacuité / Consistance“; und insbesondere auch der schon 1993 jung verstorbene Mo Wuping mit „Fan II“. Beide Komponisten konnten nach anfänglichen Studien in China in Paris weiterstudieren. Beide kehrten sie in ihr Land zurück.

Heilfroh dürften die Planer der Berliner Festspiele sein, dass sie den sarazenisch gusseisern verknappten Töpfen des Berliner Kulturhaushalts entronnen sind. Nach dem Übergang der Festspiele unter die Fittiche des Bundes wollten sie nicht mehr kleckern in Sachen aktueller Kunst. Die nach der Wende von der DDR geerbte „Musik-Biennale“ wurde „ausgemerzt“ zugunsten eines alljährlichen Festivals für „aktuelle“ Musik, wie es im Untertitel heißt. Pate bei der Titelfindung stand nicht zufällig der Merz-Künstler Kurt Schwitters. Den Musikbegriff will der neue Festivalmacher Matthias Osterwold bewusst offen halten mit Schnittstellen hin zur Rock- und Popszene und zur bildenden Kunst.

Geschickt eingebaut ins Programm war ein zwölfstündiger Cage-Marathon draußen in den ehemaligen Studios des DDR-Rundfunks. Zumal der große Sendesaal erwies sich als akustische Perle. Cages zentraler „Fontana-Mix“, sein Aufbruch in die zufallsgesteuerte Geräuschkunst, wurde da zum Ausgangspunkt für eigene „Versionen“ lebender Komponisten. Überzeugen konnte insbesondere Dieter Schnebels Ausarbeitung für Cello, Sax und zwei Tänzer. Als Taktgeber wirkte eine zwölfmalige „Aufführung“ der Stille-Musik „4’33“, die Cage vor genau 50 Jahren kreierte als Protest gegen die Geräuschberieselung durch MUZAK. Nicht größer denkbar der Kontrast dazu mit dem neuen szenischen Versuch an Stockhausen. Des Meisters des Bestimmten Früh-Stück, „Michaels Jugend“, der erste Akt des „Donnerstag“ aus dem siebenteiligen „Licht“-Zyklus, wurde da von einer jungen Truppe ohne Stockhausens direkte Vorgaben erarbeitet. Erstaunlich die Perfektion der jungen Sänger und Musiker. Allzu sehr am Gewohnten kleben blieb freilich die Regie von Cornelia Heger.

Wenig Glück auch hatte man mit den Programmzutaten aus den zu den bildenden Künsten angrenzenden Bereichen. Schon der „Vorabend“ des Festivals mit einer Licht-Raum-Installation von Claudia Doderer und Klaus Lang unter dem Titel „kirschblüten.ohr“ geriet künstlerisch allzu schmal. Eine halbstündige Einstimmung der inneren Konzentration mit Musik am Rande der Unhörbarkeit sollte das sein in einem Innenohr-artigen Ambiente auf der Bühne des Hebbel-Theaters. Weitaus ergiebiger dann doch die Widerbegegnung mit La Monte Youngs „Well-Tuned Piano“ im Kassenraum der ehemaligen Staatsbank der DDR, auch wenn dies Kultstück der 70er-Jahre hier nur zu erleben war von der DVD in der mit Punktlicht in blau und magenta schwach erleuchteten Halle, und man noch viel schönere Erinnerungen hat ans Original. Doch ließ man sich ein auf die wieder und wieder angeschlagenen Akkorde des rein gestimmten Klaviers, konnte man doch gleichsam mitschwingen, eintauchen in diese sehr besondere Welt schwebender Klänge.

Ein harter Kontrast das umjubelte Schlusskonzert: Die konzertante Neuaufführung eines Kultalbums der 70er-Jahre, der „Metal Machine Music“ von Lou Reed mit der Gruppe „Zeitkratzer“. Entstanden waren die viermal sechzehn Minuten durch Rückkopplung ins Geräuschhafte überdrehter Gitarren-Tunes als Heimstudio-Arbeit des einstigen „Velvet Underground“-Gitarristen. Der eben 60-jährige Reed war selbst angereist, zeigte sich nicht nur „bewegt“ – so wie er immer mit seiner Musik habe bewegen wollen, physisch, mental. Er stieg mit bis an die Schmerzgrenze getriebenem Feedback auch selbst ein in seine elektrische Zwitschermaschine. Dass er mit dieser „Noise Music“ den Bogen schlug einst zu den Avantgardisten der frühen 20er-Jahre, war für ihn damals sekundär. „Metal Machine Music“ habe er gemacht für den „Weltfrieden“, wie er knapp und dunkel auf eine entsprechende Frage ins Mikrofon murmelte.

Etwas schmal bestückt bei diesem Festival war der eigentliche Kernbereich der neuen Musik. Wolfgang Rihms 50. Geburtstag, gefeiert allüberall, bildete da das Zentrum mit Arbeiten auch seiner Schüler Jörg Widmann und Dietrich Eichmann. Indes war der Zeitvorlauf für die Planer mit gerade mal einem Jahr denkbar kurz. Diese „MaerzMusik“ Eins war eher wohl eine Probenummer.

Immerhin so viel Merz war nie im März in Berlin.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!