Mit einer Schauspielfassung des Essays „Handbuch gegen den Krieg“ von Marlene Streeruwitz und einem Musiktheater-Doppelabend setzt das Theater Hof ein Antikriegsmemorandum zum 80. Jahrestag nach Ende des Zweiten Weltkriegs – ohne direkte Darstellung von Krieg. In letzterem folgt auf eine zutiefst packende Umsetzung von George Antheils Kain-und-Abel-Paraphrase „The Brothers“ (1954) eine szenische Aufführung von Johannes Harneits Oratorium „Der jüngste Tag ist jetzt“ (2003). Die eindringliche, weil bescheiden akzentuierende Inszenierung von Intendant Lothar Krause entlarvte da so manche musikalische Betroffenheitsattüde. Riesiger Applaus nach einem beeindruckenden Abend auf der Raumbühne von Aylin Kaip und die Kammerensembles der Hofer Symphoniker unter Peter Kattermann.

Andrii Chakov (Ken), Inga Lisa Lehr (Mary), Minseok Kim (Abe). Foto: Harald Dietz
Starke Warngesten: Musiktheater von Georges Antheil und Johannes Harneit in Hof
Eine Raumbühne ist relativ neu im Theater Hof. Instrumental- und Stimmklang entfalten sich dort mit opulenter Klarheit, wenn 13 bzw. 16 Spieler:innen der Hofer Symphoniker auf dem hochgefahrenen Graben spielen. Der Chor in Johannes Harneits sprödem, hier szenisch aufgeführtem Oratorium „Der jüngste Tag ist jetzt“ zischt, skandiert, ächzt, raunt und kommt dann aus dem Parkett mit verschmutzten Textilien auf die von drei Publikumsblöcken eingerahmte Spielfläche.
Diese Folge von innerer menschlicher Zerstörung in „The Brothers“ und einer äußeren kriegsbedingten in „Der jüngste Tag ist jetzt“ wirkt in Aylin Kaips erst fast steriler, dann ergrauter Ausstattung auch, weil sie den Kontrast zwischen dem noch immer wie neu wirkenden Theaterbau aus dem Jahr 1994 und den von Menschen in diesem Musiktheater-Doppel angerichteten Verwüstungen planvoll sichtbar macht.
Die fast greifbare Nähe zwischen Spielenden und Publikum ist perfekt berücksichtigt. Kein Requisit, kein noch so intensiver Einsatz von Theaterblut wirkt übertrieben und damit grob. Dem Chor (junger Chordirektor in der Champions League: Ruben Hawer) wird einiges abverlangt, den Solopartien auch: Stefanie Rhaue als Frau, Markus Gruber als Zivilist, Michal Rudziński als Soldat und Annina Olivia Battaglia als ‚flüchtende‘ Stimme verkörpern zutiefst eindringlich vier Personenmuster von Kriegsopfern. Aber die Klanglichkeit bleibt spröde. Neben dem die Kriegssituationen umkreisenden Libretto von Xavier Zuber überglitzert ein wissenschaftlicher Beitrag des Physikers Markus Pössel das Opus. Gerade weil Lothar Krause mit den empathisch agierenden Theaterkräften die Kriegsschrecken und Unfassbarkeit ohne Gewissenskeule, dafür aber diskret und sensibel ins Regie-Auge nimmt, fällt Harneits Musik in der genau austarierten Szenerie viel zu spröde aus. In diesem entlarvenden Theaterambiente wirkt die Musik wie eine aus Donaueschinger Klangschubladen der 1970er Jahre zusammengeklaubte Collage.

Andrii Chakov (Ken), Inga Lisa Lehr (Mary), Minseok Kim (Abe). Foto: Harald Dietz
Höhepunkt der Premiere war Antheils 55-minütiger Katastrophenreport aus einer der alttestamentlichen Adams Family nachempfundenen Dreiecksgeschichte. Dass da zwei Ex-Soldaten (Markus Gruber und Michal Rudziński in grotesken, aber undankbaren Episodenpartien) kurz vor der tödlich endenden Affäre den als Mann eh schon tief gekränkten Ken noch zwielichtiger machen, bleibt peripher. Das Scheppern des zu den sexuell und tätlich aufgeladenen Gewaltszenen vom Tisch gefegten Emailgeschirrs übertönt Antheils suggestiv sanften Instrumentalfluss. Die auf halber Zeitstrecke zwischen Puccini und Glass entstandene Oper überrascht mit einer dichten, unspektakulären Hochspannung. Sie ist weder koloristisch redselig wie Leonard Bernsteins Ehemonotonie-Stück „Trouble in Tahiti“, noch macht es melodischen Druck auf die Figuren wie André Previns ähnliche „Endstation Sehnsucht“.
Mary beschwichtigt sich mit Bibellektüre und Ken singt von Emotionen als Droge, doch der stille Strom der Musik bedeckt bis kurz vor Schluss das Pulverfass von Kens Affekten und Marys nur zu berechtigten Ängsten. Inga Lisa Lehr spielt letztere mit lyrisch eindringlicher Sopran-Emphase und weißen Pupillenfiltern, ohne etwas auf der Bühne zu sehen. Dazu übertüncht Antheil mit trügerisch weichen Klanggebilden und Melodien, deren Anordnung streng wirkt wie die Wahrung der Etikette in Paar- und Familiengemeinschaften mit praktizierter häuslicher Gewalt. Minseok Kim polarisiert als an das Gute im Menschen glaubender Sanguiniker Ken packend zum aus erotischer Frustration von Gewaltimpulsen überwältigter Choleriker Ken. Diesen modelliert Andrii Chakov mit schillerndem Charisma. Ovationen für ein durch stillen Nachdruck erst recht starkes Musikdrama.
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