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Tragödie des Raums

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Neues Musiktheater von Adriana Hölszky
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"Kammermusiktheater" nennt sich eine Veranstaltungsreihe des Kultursekretariats Nordrhein-Westfalen, an der sich verschiedene Theater und Spielstätten des Landes beteiligen. Nach den "Tagen des Neuen Musiktheaters" in den vergangenen Jahren richtet sich das Interesse diesmal auf die "kleineren Formate" musikalischen Theaters. Das geschieht nicht ohne Grund. Einmal erhalten kleinere Stücke immer weniger Chancen in den schwerfälligen Apparaten der größeren Opernhäuser, zum anderen fördert aber die dramaturgische Beweglichkeit des "Formats" die Experimentierlust der Komponisten und Librettisten. Jetzt präsentierten Bonner Oper und das Theater in der Bundeskunsthalle Bonn sogar eine Oper ohne Sänger: "Tragödia" von Adriana Hölszky, ein Stück allein für "Bühnenbild und Orchester". Die Geschichte der Oper begleitet seit den Florentiner Madrigalisten eine ständige Diskussion über das Verhältnis von Text, Musik und Bühne. Über "Wort und Ton" stritten sich Gluckisten und Piccinisten und noch bei Richard Strauss debattierten deren Apologeten eine lange Oper hindurch über die unsterbliche Frage, die Richard Wagner speziell in seinem "Tristan" auf eigene Weise beantwortete: nämlich mit einem sprechenden Orchester, das eine große Symphonie spielt, in die sich zwei Vokalisten als obligate Stimmen einfügen. Die neue Musik, das neue Musiktheater scheinen das zunehmend als Anregung aufzugreifen. Kagel in seiner "Himmelsmechanik" und in seinem "Staatstheater", Ligeti in den "Aventures", Nono im "Prometeo" zeigen, wohin die kompositorischen Tendenzen zielen: Auf eine Überwindung der Parallelität von Text, Musik und Szene, auf eine veränderte Anordnung von Wort, Ton, Optik. Die Spannweite der Möglichkeiten ist enorm. Man braucht nur aus der letzten Zeit Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern", Wolfgang Rihms "Séraphin", Beat Furrers "Narcissus" und Steve Reichs "The Cave" zu betrachten, um zu entsprechenden Aufschlüssen zu gelangen. In diese Linie gehören auch Adriana Hölszkys "Opern"-Experimente: "Bremer Freiheit" nach Fassbinders Stück, "Die Wände" nach Genet und jetzt eben die sängerlose "Tragödia". Was ist das für ein Stück? Überlegungen beginnen bei der Funktion des Raumes für ein Theater. Tadeusz Kantor, Adolphe Appia und Edward Gordon Craig haben intensiv über die Korrespondenzen von Raum, auch Licht-Räumen bei Appia, und dem "Spiel" nachgedacht. Die Bilder, die wir im Theater sehen, sind immer dreidimensional, scheinbar Flächiges meist Augentäuschung. Im Raum aber befindet sich der Schauspieler, der Sänger, als geheimes Zentrum, von dem alle Impulse, alle Energien ausgehen, ähnlich wie Vektoren, mit denen der Raum vermessen, gleichsam definiert wird. Zwischen Akteur und Raum besteht eine ständige Wechselbeziehung. Im Musiktheater stellt sich die Frage differenzierter, denn den Widerpart, den Sprechpartner des Raumes könnte die Musik, das Orchester übernehmen. Ihr Klang dringt in den Raum ein, "antwortet" ihm auf seine Vorgaben, wie auch der Raum den Klang, die Musik zu evozieren vermag. Die Grenzen zur Installation erscheinen dabei fließend. Adriana Hölszky drängte schon in ihren ersten beiden Opern über die literarischen Vorlagen entschieden hinaus. Sowohl die "Bremer Freiheit" als auch und mehr noch die "Wände" wurden mit wachsender Radikalität in musikalische Sprache, in Klangereignisse transponiert. Der Schritt zu einer Oper ohne Sänger, ohne Stimmen überhaupt, erweist sich als zwangsläufig und folgerichtig. Hölszkys "Tragödia", wird ausdrücklich als ein Stück für "Bühnenbild und Orchester" klassifiziert. Der ursprüngliche Text-Libretto-Entwurf Thomas Körners blieb ungenutzt. Wolf Münzner schuf für die "Tragödia" im eigenen Bühnenbild eine "Szenische Realisation". Er erhielt für sein Konzept alle Freiheiten. Adriana Hölszky stellte ihre Partitur quasi als Blankoscheck für einen Regisseur aus. Münzners Bühnenbild zeigt, wie auf unserer Abbildung gut zu erkennen, einen verlassenen Wohn-Schlafraum, perspektivisch verzerrt, verdoppelt teilweise durch unvollständige Spiegelungen, dadurch fast surrealistisch wirkend. Die Unordnung im Zimmer, herumliegende Gegenstände, Schuhe, ein halb herabgerissener Vorhang, lassen auf einen Kampf schließen. Im Badezimmer hinten sieht man ein blutiges Handtuch. Eine riesige Mopsfigur auf dem großen runden Tisch , zum Doppel gespiegelt, verbreitet die Atmosphäre des Unheimlichen. Große Tischlampen sorgen für wechselnde Beleuchtungen. Bei Tageslicht erblickt man draußen Park und See, in einem blauen Boot steht ein Mensch. Kriminalistische Assoziationen liegen nahe. Ein Bild voller Verrätselungen wie bei Magritte. Auch das artifizielle fotografische Palimpsest-Puzzle in Antonionis "Blow up"-Film drängt sich als Vergleich auf: Wer ist der Erhängte im Badezimmer, dessen Schatten bedrohlich schwingend an der Wand sichtbar wird? Eine Lösung des Rätsels aber gibt es nicht. Münzners szenisches Angebot engt Hölszkys kompositorischen Entwurf natürlich ein, fixiert diesen zu konkret auf eine imaginierte "Krimi"-Action. Zwar legen die komponierten Klänge und Geräusche aus dem Orchester und vom Zuspielband entsprechende "Einbildungen" von Horror und Kriminalfilm nahe, doch verkennt eine solche Oberflächensicht der Komposition deren autonomen Charakter. Die Musik besitzt eine große gestische Plastizität und Beredtheit, auch eine bemerkenswerte formale Präzision. Hölszky übersetzt Gesten, Gebärden, Bewegungen von imaginierten Figuren in Musik, in Klänge und klangliche Aktionen. Die Musik tritt gleichsam im Raum auf, indem sie diesen bespielt. Man könnte sich diesen Raum auch ganz anders vorstellen: abstrakt, streng geometrisiert oder kubistisch verschoben, eine freie Raum-Komposition, wie sie Erich Wonder entwirft. Immerhin hat Münzner mit seiner "Übersetzung" ein Angebot für die szenische Korrespondenz mit der "Tragödia"-Musik unterbreitet. Weitere Versuche wären dringend erwünscht, weil Adriana Hölszkys Musik in ihrer Dichte und gestischen Sprechfähigkeit, in ihrer oft spröden Expression und ungemein differenzierten Klangfarblichkeit ein hohes Maß an kompositorischer Souveränität erreicht. Daß wenigstens dieses so eindringlich erfahrbar war, ist auch der kompetenten Wiedergabe unter Alexander Wintersons Leitung zu danken. Die Instrumentalisten aus dem Orchester der Beethovenhalle agierten mit einem Elan und Engagement, die geeignet scheinen, unseren Kulturorchestern den Beamtenstatus auszutreiben.

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