Auch am Ende der ersten „Siegfried“-Wiederaufnahme in Bayreuth war der Jubel im Saal gewaltig. Natürlich für das Liebespaar der Stunde Siegfried und Brünnhilde, also für die Hügellieblinge Klaus Florian Vogt und Catherine Foster. Bejubelt wurde wieder Simone Young, die mit viel Sinn fürs Detail und den großen Bogen, diesen Ring auch zu einem Young Ring macht.

Siegfried. III. Aufzug. Catherine Foster (Brünnhilde). Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Ungebetene Gäste – Mit einem bejubelten „Siegfried“ geht der Ring in Bayreuth seinem Ende entgegen
Die fanden im grandiosen Liebesduett zum Finale des dritten Aufzuges auch deshalb erstaunlich gut zusammen, weil Vogt alle seine dramatischen Möglichkeiten ausschöpfte und dem (immer noch) betörenden Wohlklang seiner Stimme hinzufügte. Und, weil Catherine Foster mit der schon in der „Walküre“ überraschend gezügelt kultivierten Strahlkraft glänzte. Abgesehen davon, dass die beiden auch von einem gewissen Quantum szenischen Witzes profitierten, die ihn lausbubenhaft und sie nach dem Motto halb-zog er-sie-halb-sank-sie-hin ziemlich menschlich erscheinen ließen. Die Wotansabkömmlinge wirkten plötzlich für Momente tatsächlich mal wie junge Menschen, die gemeinsam ihre Sexualität entdecken.
Klaus Florian Vogt ist zwar immer zu einem Teil vor allem er selbst. Hin und wieder sich einschleichende kleine darstellerische Lücken bleiben bei ihm ein Luxusproblem. Bei Foster gibt es nicht mal das. Sie ist eine Brünnhilde vom stumme Schreiten bis zum Hechtsprung auf ihren Siegfried und bei jedem verhaltenen Selbstzweifel oder dramatischen Ausbruch dazwischen. Tomasz Konieczny fügt seinem höchst überzeugenden Wotan auch noch einen ebensolchen Wanderer hinzu. Das edel Donnernde seiner Stimmgewalt verweist immer auf den Gott und dessen Tragik. Hier geht das sogar soweit, dass er sich – das Ende seiner Welt vor Augen – einmal die Pistole an die Schläfe hält. Er hatte aber vorher das Magazin rausgenommen.
Manchmal blitzt auch sonst in der Tragik der Selbsterkenntnis szenischer Witz auf. So, wenn Wotan bei seiner letzten Begegnung mit Erda, zuerst eine am Boden kauernde junge Frau für seine Ex hält und an sich drückt. Als die sichtlich gealterte Erda (mit grandioser vokaler Geste: Anna Kissjudit) tatsächlich die Szene betritt, fährt ihm der Schreck in alle Glieder. Hier werden auch Göttinnen nicht jünger. Alberich geht es ähnlich. Als der beim Bauunternehmer Fafner (in seinem dritten Ringjahr wieder souverän: Tobias Kehrer) ungebeten auftaucht und dort den mittlerweile erwachsenen Hagen wiedersieht, erschrickt er vor seinem Spiegelbild. Er hatte ihn im „Rheingold“ als Knaben entführt, musste ihn aber zunächst an Wotan rausrücken, bis der ihn im Austausch mit Freia an die Riesen weiterreichte. Jetzt ist er mit dem Waldvogel und etlichem weiteren Personal der Betreuer des alt gewordenen, todkranken Fafner.
Diese Personalisierung des Rheingoldes (und des Machtsymbols Ring) gehört bei Valentin Schwarz zum Kern der (Um-)Deutung. Sie ist besonders im mittleren Siegfried-Aufzug im metaphorischen Kontext mit dem Davor und Danach in sich schlüssig szenisch durchgespielt. Alles in dem für den Ich-lieg’-und-besitz’-Unternehmer großräumig zum Krankenzimmer umfunktionierten großen Salon mit Kamin.

Siegfried. III. Aufzug. Klaus Florian Vogt (Siegfried), Catherine Foster (Brünnhilde). © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Der erste Aufzug in Hundings ehemaliger Hausmeisterwohnung im Souterrain, die jetzt von Mime (zum zweiten mal mit beweglicher Boshaftigkeit dabei: Ya-Chung Huang) und Siegfried bewohnt wird, verliert sich dagegen manches im Kleinteiligen. Dieser Kinderwelt mit Happy-Birthday-Girlande und einer Scheinwelt aus Puppen mit kleiner Kasperltheaterbühne ist Siegfried längst entwachsen. Wenn dann der Wanderer als ungebetener Gast zur Wissenswette auftaucht, kommt Mime zwar in die Bredouille. Dass Wotan als Geschenk für seinen Enkel (oder Sohn? siehe Sieglindes Trauma in der Walküre!) eine Krücke im Karton dabei hat, die sich als Tarnung für das darin steckende Schwert (das man bis dahin gar nicht brauchte, weil man schon bei modernen Handfeuerwaffen war) erweist, ist ja vielleicht noch nachvollziehbar; eine halbwegs schlüssig übersetzte Nummer für die Schmiedelieder wird daraus aber nicht. Hier fummelt Siegfried an der Krücke – dort sprühen einfach so Funken von der Seite. Wie dem auch sei.
Auch in der metaphorisch und szenisch bestens durchgestylten Etage oben drüber finden sich dann lauter ungebetene Besucher ein. Die ungleichen Brüder Alberich und Wotan, die hier ihre Begegnung vor der Neidhöhle absolvieren, wodurch auch Olafur Siguardarson seinem Alberich noch mal zu einem darstellerisch und vokal stimmigen Auftritt verhilft (und auch diesmal kein bisschen unsympathisch wirkt). Bis sich dann mit Mime und Siegfried auch noch der Rest der ungebetenen Besucher einfinden und es richtig böse wird.
Siegfried ersticht zwar den Alten nicht, als der sich von seinem Krankenlager erhebt. Aber er haut ihm den Rollator weg und sieht – wie alle anderen – erstaunt aber tatenlos zu, wie der am Boden liegt und wohl an einem Herzinfarkt stirbt. Bei Mime sticht er dann zu und Hagen greift hilfreich zum Sofakissen. Im Moment von Fafners Tod kündigt das gesamte Dienst-, Sicherheits- und Pflegepersonal. Inklusive der attraktiven Pflegerin (in diesem Jahr steuert Victoria Random ihr klares Waldvogel Sexappeal bei.)
Und dann geht es ab durch das Bild über dem Kamin zu Brünnhilde. Da ist er dann am Ende nicht mehr der ungebetene, sondern der ersehnte Besucher, Erwecker und Geliebte. Für einem Moment darf man hoffen, dass das gut geht.
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