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Metropoltheater München: Slippery Slope. Almost a Musical - von Yael Ronen und Shlomi Shaban. Foto: Marie-Laure Briane

Metropoltheater München: Slippery Slope. Almost a Musical - von Yael Ronen und Shlomi Shaban.

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Unsere Shitstorm-Welt – Amüsant entlarvendes Halb-Musical als künstlerische Reaktion im Münchner Metropoltheater

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Früher gab es einen Dorftrottel, dessen Äußerungen halt hingenommen wurden. Heutzutage kann jede und jeder sich weltweit über alles und jedes verbreiten, wovon er nichts versteht. Folgen: Intellektuelle Einseitigkeit, moralische Empörung, verbale Aggression, Aufruf zum Boykott bis hin zum Verbot, reale Attacken …. Münchens vielfach bundesweit ausgezeichnetes Metropoltheater sah sich hanebüchenen Antisemitismus-Vorwürfen ausgesetzt und reagierte nun mit Spiel, Tanz und Gesang.

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„Slippery Slope“ der beiden Israelis Yael Ronen und Shlomi Shaban ist mit „Almost a Musical“ untertitelt und greift gemäß dem Haupttitel nicht nur ein Dammbruchargument auf, sondern viele: Kulturelle Aneignung, rassistische Auffassungen, vielfache Einschüchterung, geistige Degradierung und Manipulation bis hin zum „Gaslighting“, körperlicher Missbrauch, Gewalt in jeder Form, finanzielle Ausbeutung, zynische Verwertung, Mobbing und Verleumdung - all das steht via der vor allem digitalen Vervielfachung in den eher „asozialen Medien“ hinter dem, was mit Eingebung, Mitwirkung, Unterstützung oder ganz chic „kollektive Kunsterschaffung“ bemäntelt wird. Darüber gießen die Autoren sprachlich gewitzt und geschärft Hohn und Spott aus. Und da das Ganze im weltweiten Showbiz angesiedelt ist, verdichtet sich kurz Genanntes mehrfach zum Song mit ariosen Ansprüchen. In und mit all dem entfaltete das ja gegenüber etablierten Bühnen „arme“ Metropoltheater seinen Reichtum an visuellem Zauber und künstlerischem Können.

Ein uneinsichtig alternder Multi-Kulti-Singer-Songwriter muss bei seinen Comeback-Versuchen erkennen, dass seine junge Ex-Geliebte mit 90 Millionen „Followern“ ihn längst überholt und sich mit einem jungem, toughen Kollegen getröstet hat. Doch ihre Enthüllungen von „damals“ führen zu einem shit-storm gegen sie. Im zweiten Handlungsstrang will eine kantig feministische Enthüllungsjournalistin einer Pornodarstellerin aus dem Macho-Sumpf heraushelfen. Durch deren Selbstmord wird sie selbst zum Medienopfer und ihre knallharte Chefredakteurin will durch Veröffentlichung der „Wahrheit“ alles retten. Ein aalglatter „Coach“ – „wie ein Arzt, nur ohne moralischen Kodex“ - zeigt ihr wie dem Altstar am Ende aller ihrer „Slippery“-Ausrutscher drei abgefeimte, leider heutzutage durchweg praktizierte Auswege… die am Ende sehr direkt werden. Begeisterte Beifallsstürme.

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Metropoltheater München: Slippery Slope. Almost a Musical - von Yael Ronen und Shlomi Shaban. Foto: Marie-Laure Briane

Metropoltheater München: Slippery Slope. Almost a Musical.

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Für diese Einblicke in unsere Medienwelt hat Bühnenbildner Thomas Flach ansteigende, sich nach hinten verjüngende, bunte Bildschirm- und Bühnenrahmen gebaut, dazu schwarzer Glitzerboden und schwarze, seitliche Glitterfäden, durch die die wenigen Requisiten showy überraschend gereicht werden und abrupte Auftritte von zunächst nur genannten Personen erfolgen.

Über die gekonnten Lichtwechsel hinaus beeindruckten die fünf Multitalente, Fernseh-Ballett- und Pop-Background-Getue imitierend (Choreografie: Katja Wachter) durch fließenden Übergang in Shabans vielfältige Songs im englischen Original, perfekt ausgesteuert durch Mikroports. Der grauhaarige Altstar von René Dumont, die Journalistin von Ina Meling und ihre Chefin von Judith Toth wurden gesanglich überstrahlt von Stephanie Marins Showstar „Sky“: vom Shabans verhaltenen Balladenton bis zur weitgesponnenen Power-Vokalise gelang alles. Erst am Ende stand dann er mehrfach in der Mitte: Regisseur Philipp Moschitz hatte das Ganze nicht nur flüssig, temporeich, mal schräg grell, mal im ruhigen Spotlight auf „Verlorenheit“ hin inszeniert – er spielte jeweils herrlich um-kostümiert (Cornelia Petz) eine gevifte Agentin, den aufstiegseitlen Song-Partner von Sky, die junge Pornodarstellerin und den kotz-souveränen Coach – beeindruckend, aber auch: tutti bravi!

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Metropoltheater München: Slippery Slope. Almost a Musical - von Yael Ronen und Shlomi Shaban. Foto: Marie-Laure Briane

Metropoltheater München: Slippery Slope. Almost a Musical.

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Doch wie im Metropol üblich wurde wie nebenbei die kleine Theater-Magie vorgeführt: der Altstar lehnt den hinten auf dem Rahmen stehenden Aschenbecher ab und geht zum Ausflucht-Rauchen ins Off; der Coach setzt sich zur intimen Beratung neben die Chefredakteurin und ihre Beichte von einer „Leiche im Keller, die plötzlich Luft schnappen will“ nach vorne – und reicht ihr plötzlich den hinten verschwundenen Aschenbecher – Schlusspointe: nachdem zuvor der jüdische „Vater“, helfende Voodoo-Geister und „Gott“ zu Hilfe gerufen wurden, die ganz hinten nur projizierten weiteren Rahmen chaotisch zu kreisen beginnen, gipfelt alles im selbst betäubenden Showbiz-Tutti „Glaub an mich!“ – und der Coach reicht den Aschenbecher weiter an – uns „Follower“-Idioten…

Was für ein theatralisch souveränes Befreiungsspiel des Metropol von allen Anwürfen!

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