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Von der Dialektik des Ausdrucks

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Kaiserslautern modern: Porträtkonzert Jörg Widmann
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Jugend greift nach den Sternen. Alles, was zum ersten Mal geschieht, wird noch als ungebrochen authentisch erlebt. Mitte der 70er-Jahre forderten gerade das auch einige junge Komponisten wie Wolfgang Rihm und Hans-Jürgen von Bose für sich ein und ernteten dafür manchen Kraftausdruck von älteren Kollegen und aus den Reihen der Kritik. Ohne seine gesellschaftlich-politischen Implikationen sei das musikalische Material nicht zu haben, wurde geargwöhnt. Neoromantische Anklänge erschienen als Rückzug ins Private. Das galt als politisch sehr inkorrekt. Doch die nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Komponisten sträubten sich mit Händen und Füßen gegen die Etikettierung als „Neue Einfachheit“. Aus der deutschen Version der ursprünglich auf die amerikanischen Minimalisten gemünzten New Simplicity klang zu unverhohlen ein Ihr-habt-es-euch-zu-einfach-gemacht-Vorwurf durch.

Jugend greift nach den Sternen. Alles, was zum ersten Mal geschieht, wird noch als ungebrochen authentisch erlebt. Mitte der 70er-Jahre forderten gerade das auch einige junge Komponisten wie Wolfgang Rihm und Hans-Jürgen von Bose für sich ein und ernteten dafür manchen Kraftausdruck von älteren Kollegen und aus den Reihen der Kritik. Ohne seine gesellschaftlich-politischen Implikationen sei das musikalische Material nicht zu haben, wurde geargwöhnt. Neoromantische Anklänge erschienen als Rückzug ins Private. Das galt als politisch sehr inkorrekt. Doch die nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Komponisten sträubten sich mit Händen und Füßen gegen die Etikettierung als „Neue Einfachheit“. Aus der deutschen Version der ursprünglich auf die amerikanischen Minimalisten gemünzten New Simplicity klang zu unverhohlen ein Ihr-habt-es-euch-zu-einfach-gemacht-Vorwurf durch.Die Bedenken waren zumindest in einer Hälfte des damals noch emphatisch großgeschriebenen Begriffs Neue Musik fest verankert. Adorno verstand seine 1949 veröffentlichte „Philosophie der Neuen Musik“ ausdrücklich als „Exkurs“ zu seiner mit Max Horkheimer abgefassten „Dialektik der Aufklärung“. Die stellt über den Nachweis der „Instrumentalisierung der Vernunft“ nichts weniger als eine Faschismustheorie dar. Insofern ist zumindest bis zur Postmoderne eine gesellschaftspolitische Komponente dem Begriff Neue Musik immanent und das Befremden angesichts großorchestral-ausschweifender Erstlingswerke junger Komponisten Mitte der 70er-Jahre verstehbar. Heute, nach dem Aufbrechen der das zwanzigste Jahrhundert stark bestimmenden großen äshtetischen Gegensätze Politisierung versus L’art pour l’art, findet sich mancher zeitgenössische Komponist unverhofft im städtischen Konzertabonnement zwischen den Alten Meistern wieder. Was als Schreckgespenst einmal umging, weckt zumindest Neugier – auch in der Provinz.

Das will man in Kaiserslautern gerade nicht sein und richtet im städtischen Abonnement Porträtkonzerte zeitgenössischer Komponisten aus. In der laufenden Saison wurde mit Philip Glass begonnen, was nicht unbedingt ein Risiko ist. Doch danach kamen die schon sperrigeren Komponisten Johannes Fritsch und Volker Staub zum Zug. Jetzt durfte sich Jörg Widmann, Jahrgang 1973, virtuoser Klarinettist, Schüler von Hans Werner Henze, Wilfried Hiller und Wolfgang Rihm, ein Konzert mit eigenen Werken frei zusammenstellen. In seinem „Nachtstück“ für Klarinette, Violoncello (Christoph Richter) und Klavier (Silke Avenhaus) greift auch Widmann unmittelbar nach den Sternen. Die glitzern als klanglich schillernde Tonpunkte recht plastisch aus der in dunklen Registern angesiedelten Drehmotivik hervor. Mit den Klappengeräuschen seines Instruments will er sie einfangen, langt aber nur noch an ihren Schweif, bevor sie sich mit melodischen Andeutungen verflüchtigen. Das klingt neckisch, wirkt fragmentarisch und ist hochvirtuose Musik. Von Henze kommt das Gefühl für zyklische Formen, von Rihm die Spontaneität. Subjektiver Ausdruck, einbruchartige Stimmungsschwankungen und eine drastische musikalische Gestik erzeugen hier ein Gefühl klanglicher Fasslichkeit, für das die vorangegangene Generation noch kämpfen musste. Aber nicht der Klang an sich, dessen „Befreiung“ Busoni schon 1907 beschwor, ist Widmanns kompositorischer Ausgangspunkt, sondern die objektiven Möglichkeiten seines Instruments, der Klarinette. Auf ihr beherrscht Widmann das Obertonspektrum und die Multiphoneffekte exzellent, letztlich ist ihm aber ein Schumann-Zitat lieber als avancierte Spieltechniken, wie in der großformatigen „Fieberphantasie“ für Klavier, Streichquartett und Klarinette. Die Geigen lassen die Fieberkurve mit fiependen Presskantilenen sehr hoch ausschlagen, ereifern sich danach in wuseliges Gezupfe. Verworrenheit als ein Merkmal der Romantik wird hier aktualisiert. Schumanns „Papillons“ scheinen mit hypertropher Gebärde durch den Raum zu flattern. Darunter mäandert Widmanns tiefe Klarinettenlinie als sinnentleertes Ornament, bis die klangliche Nervosität vom Klavier mit hämmernden Tonwiederholungen zerschlagen und im Saitenkasten mit beherztem Handspiel gewissermaßen zerrupft wird. Das isoliert hindurchschimmernde Schumann-Zitat am Ende des packenden Werks steht jedoch nicht für einen rückwärts gewandt beklagten Verlust einstmaliger formaler Verbindlichkeit durch die harmonische Tonalität. Nach pedalseliger, eruptiver Klaviersonate, den aphoristischen „Fünf Bruchstücken“ für Klarinette und Klavier und einem aus Seufzermotivik aufsteigenden Streichquartett mit Anklängen alla zingaresca spannt das Zitat den Bogen zwischen Widmanns klanglich-instrumentaler Psychologisierung und der Romantik. Dagegen hat heute niemand etwas.

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