Eine politische Oper über noch lebende Politiker ist immer eine Mutprobe. Die Berliner „Neuköllner Oper“, die das Stück in Auftrag gab und herausbrachte, geht noch einen Schritt weiter. Ihre Oper handelt von der Vorsitzenden einer Partei, die sich mitten im Wahlkampf befindet. Die Idee dazu hatte der Regisseur der Produktion, Michael Lehmeier und verwirklicht werden konnte sie eben nur mit dem agilsten, geistig beweglichsten der Berliner Off-Musiktheater. Das Drahtseil, auf dem getanzt, musiziert und gesungen werden musste, spannt sich irgendwo zwischen Beleidigungsklage und Wahlagitation. Man hatte es über gute zwei Stunden sicher unter den Füßen.
Eine politische Oper über noch lebende Politiker ist immer eine Mutprobe. Die Berliner „Neuköllner Oper“, die das Stück in Auftrag gab und herausbrachte, geht noch einen Schritt weiter. Ihre Oper handelt von der Vorsitzenden einer Partei, die sich mitten im Wahlkampf befindet. Die Idee dazu hatte der Regisseur der Produktion, Michael Lehmeier und verwirklicht werden konnte sie eben nur mit dem agilsten, geistig beweglichsten der Berliner Off-Musiktheater. Das Drahtseil, auf dem getanzt, musiziert und gesungen werden musste, spannt sich irgendwo zwischen Beleidigungsklage und Wahlagitation. Man hatte es über gute zwei Stunden sicher unter den Füßen. In 17 Szenen lässt das Stück die politischen Karrierestationen der Titelheldin Angela Revue passieren. Ihre Bühne befindet sich im Untergrund der Macht; Spielort ist der unfertige U-Bahnhof Reichstag mitten im Berliner Nirgendwo zwischen Bundeskanzleramt, Reichstagsgebäude und dem großen Bürohaus der Abgeordneten. Das mit quietschbuntem Teppichboden belegte und mit Schauvitrinen im Öffentliche-Gebäude-Stil und braunen Freischwingersesseln aus dem weiland Palast der Republik bestückte Spielpodium ist sichtbare Geschichte der letzten 13 Jahre.Revue ist auch als musiktheatralisches Genre wörtlich gemeint. Derartigen Charakter hat das Werk, wenn der Chor in der Rolle der DDR-Bewohner – „Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn“ –, der Medien – „Tüchtig, tapfer authentisch“, später „Kein Profil, graue Maus“ – oder des niederen CDU-Parteivolkes – „Angie, Angie, Angie“ – seine Kommentare gibt. Es klingt ein wenig nach modernisiertem Weill, nicht zum Schaden des Werkes. Das Kammerorchester verstärkt diese Assoziationen durch die Besetzung mit vier Saxophonen, drei Celli, Kontrabass, Klavier und Schlagwerk. Hans-Peter Kirchberg hatte die richtige Hand für die schwierige Klangbalance im überhalligen Underground.
Im ironischen Revueton treten auch Angelas singende und swingende Politik- und Parteifreunde auf. Westerwelle: „Ich bin der Giudo, ich bin mobil“; Michael Glos (Joachim Fuchs) darf sich in zwei passacagliaförmigen „Verkündigungen“ vollmundig hören lassen. Roland Koch (Michael Bielefeldt) mit komischem Schnutenmund und quäkiger Spieltenor-Stimme, räsoniert im Untergrund. Wolfgang Schäuble (Dieter Goffing) tangiert die Heldin näher, als Partner und Widerpart.
In wirklich opernhaftem Ton mit ausgesponnenen Parlandi, Duetten, gar einer veritablen „Wahnsinnsarie“, dürfen nur die Titelheldin und ihre Büroleiterin Beate Baumann singen. Regine Gebhardt ist die Baumann, mit weichem Sopran, dabei doch kühl distanziert. Kathrin Unger in der Titelrolle wurde zu Recht ausgiebig gefeiert. Sie hat die Schärfe der Machtbesessenheit in der Stimme, ebenso die Hysterie des Versagens in der K-Frage, aber auch die Intensität der großen Soloszene „Ich bin Physikerin“. Diese „Opern“-Stellen in ihrer spätmodernen Normalität prägen sich dennoch musikalisch am wenigsten ein. Glanzstück ist das Duett „Du Mädchen vom Lande“ auf die Melodie von „Bald gras’ ich am Neckar“ in einer sehr fern an Gustav Mahler erinnernden, wehmütigen Harmonisierung. In einer Angela-Oper kann ein Friseur-Witz – „Was ist er eigentlich von Beruf?“ – nicht fehlen; Kathrin Unger sieht perfekt aus, furchterregend gar, wenn sie im Dragonerschritt die Breite der Riesenbühne abschreitet.
In der Neuköllner Oper herrscht die richtige Mischung von Witz, Mut und Ernsthaftigkeit, die ein solcher Wurf benötigt. Dem Thema selbst hätte man trotzdem ein großes Haus gewünscht. Denn, von tagespolitischer Unterhaltsamkeit entkleidet, ist die Figur der Angela eine Opernheroine von verdischem Ausmaß. Wie Abigaile kommt sie nicht aus den politischen Königsgeschlechtern, sondern von irgendwoher. Vom Talent zum Herrschen und der Entschlossenheit zur Macht hat sie trotzdem mehr als die anderen. Und ebenso wie im archaischen Babylon des 19. Jahrhunderts wird diese Frauengestalt vom tradierten männerdominierten politischen Gespinst eingehüllt und neutralisiert. Edmund Stoiber, Stephan Korves in einer Sprechrolle (!), labert sie, im Finale unkaputtbar, einfach zu. Es bleibt der Weg zum Backblech. Pflaumenkuchen gelingt Angela immer gut. In diesem Punkt sieht man sich mit der Unentschiedenheit des Stücks konfrontiert und bedauert die Grenzen der Komposition Frank Schwemmers und des Unternehmens Neuköllner Oper.