Die Deutsche Oper am Rhein überlässt die Bühne in Duisburg ihren zwei Spielleitern, Haitham Assem Tantawy und Julia Langeder, und kombiniert zwei Opern aus dem englischen Sprachraum, die denkbar weit voneinander entfernt sind: Peter Maxwell Davies‘ „The Lighthouse“ und Henry Purcells „Dido and Aeneas“. Auch wenn beide Werke nicht zusammenwachsen – der dreistündige Doppelabend erfreut mit der Lebendigkeit junger Sichtweisen.

Der Leuchtturm in Duisburg. Foto: Anne Orthen
Von Monstern und Avataren – Duisburg kombiniert Peter Maxwell Davies mit „Dido and Aeneas“
In „Der Leuchtturm“ erzählt Peter Maxwell Davies, der hierzulande etwas ungeliebte britische Komponist, vom Verschwinden dreier Leuchtturmwärter auf der Insel Eilean Mòr, der größten der schottischen Flannan-Inseln. Noch immer rätseln Hobbydetektive und Mystiker dem Fall vom Dezember 1900 hinterher, da der Verbleib der drei niemals aufgeklärt werden konnte. Das großartige Libretto aus Komponistenhand teilt das 75 Minuten dauernde Werk in zwei Abschnitte. Zunächst schildern drei Marineoffiziere vor einem Untersuchungsausschuss, wie sie Insel und Leuchtturm verlassen fanden und vergeblich nach den drei Wärtern suchten. Danach erleben wir die letzten Stunden der drei grundverschiedenen Männer, die, nach monatelangem Zusammenleben im engen Leuchtturm, kurz davor sind, sich an die Gurgel zu gehen. Die gegenseitigen Verletzungen wecken die Gespenster der Vergangenheit und beschwören den „Schrei des Biestes“ herauf, dem die drei ins schwarze Nichts des Ozeans folgen.
Regisseur Haitham Assem Tantawy betont den esoterischen Charakter des Geschehens mithilfe von Tarot-Karten, die den Komponisten auch in der Struktur seines Werkes leiteten. Aber eigentlich bieten Männer, die im Leuchtturm durchdrehen, eine veritable Horrorstory an (zum Beispiel jene von Robert Eggers, dem Regisseur des neuen „Nosferatu“), und auch dieser Facette des Geschehens verschließt sich Tantawy nicht. Im Mittelpunkt stehen drei Selbstporträts der Wärter in Form von Liedern: ein burschikoses Seemannslied mit Banjo und Waschbrett, eine Parodie auf sentimentale Lieder der Music Halls sowie eine Kirchenhymne in gleißendem Blechbläserklang. Der Regisseur zeigt all das im opulenten Bühnenbild von Matthias Kronfuß, das zusehends surrealistisch aus den Fugen gerät, und erfindet drei Tänzer hinzu, die die Atmosphäre im Leuchtturm stilecht verdüstern, die aber im ersten Teil der Oper nur verdoppeln, was die drei Offiziere berichten, und so von der Musik ablenken.

Der Leuchtturm in Duisburg. Foto: Anne Orthen
Peter Maxwell Davies beschränkt sich auf ein zwölfköpfiges Kammerensemble, ohne ein Orchester zu imitieren. Sämtliche Klänge erscheinen voneinander isoliert, wie Stimmengewirr. Einzelne Instrumente stechen stärker heraus als andere: Marimbaphon, Gitarre, verstimmtes Klavier. Auch die Gesangslinien betten sich nicht ein. Man hört eine Art Belcanto, sozusagen schwimmend auf offenem Meer. Kein Ufer, nirgends.
Die drei Sänger tragen den Abend mit äußerster Präsenz: Sami Luttinen mit starkem Bass und alttestamentarisch brutaler, fanatischer Religiosität; Roman Hoza, der wilde Blazes mit Gewalterfahrung in der Kindheit, dessen Bariton immer wieder und mit Leichtigkeit in den Falsett umschlägt, eine Entdeckung; Adrian Dwyer, dessen schöner Tenor auch die größten Liebhaber der Operngeschichte verkörpern könnte, bei Davies aber vor Sehnsucht nach dem Verliebtsein das Leben verpasst.
Am Ende rettet sich Davies‘ Musik mit herannahenden Paukenschlägen in die Kolportage, und auch das Regieteam fällt der größten Schwäche des Horrorgenres anheim, dass nämlich irgendwann das Monster auch einmal gezeigt werden will, eine in der Regel unfreiwillig komische Szene. So auch hier, wenn drei überdimensionierte Goldvögel mit Stierschädeln (gewissermaßen die missratenen Kinder des Goldenen Kalbs, das der religiöse Alte zuvor beschworen hatte) auf die Bühne staksen.

Henry Purcells „Dido und Aeneas“ in Duisburg. Foto: Anne Orthen
Von Frustrierten und Frisierten
Anders als ihr Kollege wählt Regisseurin Julia Langeder einen maximal gegenwartsbezogenen Ansatz. Wohin, so fragt sie, mit all unserem Liebeskummer und Weltschmerz, wenn wir uns nur noch virtuell begegnen und gar nicht wissen, ob jener Avatar dort wirklich mein Traummann ist? Ihre Dido ist eine Influencerin, Aeneas ein durchschnittlicher Gamer, beide nicht vereinsamt, sondern im fröhlichen Freundeskreis aufgehoben. Aber beide versenken ihre Träume und Sehnsüchte in ein Computerspiel namens „Karthago“ (ein Hoch auf die Ausstatterin Natalie Krautkrämer, die auch für die witzige Videographik verantwortlich zeichnet). So switcht die Inszenierung zwischen den tristen Gamer-Behausungen und der Fantasiewelt des Spieles hin und her, was der Kostümbildnerin Lena Scheerer erlaubt, zumindest im Fantasy-Teil aus dem Vollen zu schöpfen. Die Idee der Inszenierung besteht nicht nur in der legitimen Übertragung des an sich handlungsarmen Opernstoffes in die Gegenwart, sondern denkt auch den Librettisten Nahum Tate weiter, der Aeneas‘ Weggehen als Hexenwerk mystifiziert, anstatt es als politisch notwendig zu erklären. Dass Langeders Inszenierung nicht in allen Details überzeugt – geschenkt. (Der herzzerreißende Schlusschor wird vor dem Fall des Vorhangs noch rasch veralbert.)

Henry Purcells „Dido und Aeneas“ in Duisburg. Foto: Anne Orthen
Der junge irische Dirigent Killian Farrell, Generalmusikdirektor am Staatstheater Meiningen, belässt beiden Werken ihre je eigene Klangsprache und versucht nicht, Brücken zu schlagen. Hier ein sehr beweglicher, mit starken Extremen arbeitender Davies, dort ein kristalliner Purcell mit barockem Continuo und modernen Streichern. Leider perlt der fragile Purcell-Sound am Gesang ab. Ein bisschen Puccini schadet nie, mag sich manche und mancher gedacht haben, was mit der Inszenierung gut zusammengeht. Dennoch gelingt der Mezzosopranistin Anna Harvey, Ensemblemitglied an der Deutschen Oper am Rhein, ein berührendes Lamento, ganz schlank, ganz einsam. Einen Extraapplaus verdient der von Gerhard Michalski geleitete Opernchor, den die Regisseurin aus den Reality-Teilen weginszeniert, so dass er aus der Seitengasse der Bühne mit Geschlossenheit und Gesangskultur punkten kann.
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