Als Kinderspiel oder als Titel für diverse Texte oder Filme hat die Frage „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ längst ihre Unschuld verloren. David Pountney lässt sich in seiner Warschauer Inszenierung von Krzysztof Pendereckis Einakter „Die schwarze Maske“ freilich nicht von einer hierzulande um sich greifenden Selbstzensur (oder mindestens Selbstdisziplinierung) beeindrucken und lässt genau diesen schwarzen, respektive dunkelhäutigen Mann (Pier Ewudu) überlebensgroß, splitternackt und finster dräuend als bewegliche Projektion aufscheinen.
Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? – In Warschau inszeniert David Pountney Krzysztof Pendereckis „Die schwarze Maske“
Was hier allerdings durch das Libretto, das der Komponist gemeinsam mit Harry Kupfer verfasst hat, legitimiert ist. Dieser Johnson ist im Stück, wie es im Programmheft heißt, der Commendatore und Don Giovanni in einem und erlangt – so der britische Regisseur – als Schicksalsfigur eine Art epischen, fast mythischen Status. Er wird von einem realen Menschen zu einer Art finsterem Deux ex machina und so zur rächenden Bedrohung.
Der seinerzeitige DDR-Regiestar Kupfer hatte 1986 nicht nur die Uraufführung bei den Salzburger Festspielen inszeniert, sondern gemeinsam mit dem Komponisten auch aus einer Vorlage von Gerhart Hauptmann aus dem Jahre 1928 ein Libretto destilliert. Ähnlich wie in Bunuels Klassiker „Würgeengel“ ist auch hier eine bunt gemischte, ziemlich dekadente Gesellschaft versammelt und an einen Ort gebannt. Draußen wütet die Pest und drinnen brechen die Konflikte der Vergangenheit auf. Gastgeber der illustren Gesellschaft ist mit Schuller der Bürgermeister eines niederschlesischen Provinznestes. Nach und nach wird klar, dass seine Frau Benigna, genauer ihre bewegte Vergangenheit und deren Nachwirkungen, im Zentrum des Geschehens stehen. Alles rollt auf eine große, exemplarische Katastrophe zu. Sie hatte als ganz junge Frau in Amsterdam eine ambivalente Liebesbeziehung mit dem entlaufenen Sklaven Johnson, ihre gemeinsame Tochter Arabella ist jetzt Dienstmädchen im Hause Schuller. Johnson, von dem sie immer noch sexuell besessen ist, zwang sie, den reichen Sklavenhändler van Geldern zu heiraten. Er erpresste sie weiter, bis van Geldern unter mysteriösen Umständen umkam. Jetzt ist sie die schillernde Gattin des gutmütig naiven Bürgermeisters und eine Salonbetreiberin mit einer Vergangenheit, die sich gewaschen hat.
Der 100-minütige Einakter, den Penderecki (1933 bis 2020) aus dieser Geschichte gemacht hat, kennzeichnet ein expressives Dauerparlando mit ekstatischen Ausbrüchen – besonders, wenn Benigna von ihrem Schicksal erzählt. Faszinierend sind die Klänge für die unsichtbar durch den Raum streifende Gefahr des späten Rächers. Hier sind gleich acht geheimnisvoll maskierte, wie die personifizierte Dekadenz halbnackt und lasziv durch den Raum schwebende Gestalten gegenwärtig. Für uns jedenfalls sind sie sichtbar. Die Gesellschaft, deren Habitus ist weniger von dem in der Vorlage noch nicht weit zurückliegenden Dreißigjährigen Krieg als vom Jahrhundert der Entstehung geprägt. Alle sind zunächst mit sich selbst beschäftigt, werden aber immer mehr in das Verhängnis hineingezogen, das in der Vergangenheit liegt, jetzt draußen (eigentlich) als Pest wütet und hier als die große personifizierte Rache(projektion) droht.
Raimund Bauer hat die gesamte Bühne mit einem opulenten mehrstöckigen Raum ausgefüllt. Er vermittelt Weite und klaustrophobische Enge zugleich. Es ist ein großbürgerlicher Salon mit riesiger Tafel für eine illustre Gesellschaft. Eine wandgroße Fensterfront lässt nur mattes Licht oder einen geheimnisvollen Leuchtstreifen durchschimmern. Ein üppiges Treppenhaus führt nach oben. Nach draußen führt eine überdimensionale Stahltür, wie man sie eher im Inneren großer Bankhäuser vermuten würde. Auch alle anderen Türen haben diese Tresoranmutung. Die Kostüme von Marie-Jeanne Lecca für die Gesellschaft und die Dienerschaft changieren zwischen historisierender Pracht (vom Brokat für die kirchlichen Würdenträger bis zu den mittelalterlich gekleideten Bühnenmusikern) über zeitlose Gegenwart für die Diener bis zum lasziven Look der maskierten Truppe.
Die Optik der Bühne ist suggestiv geheimnisvoll. Das lässt nichts zu wünschen übrig. Sie wird zusätzlich durch die gekonnte Choreografie aufgewertet, mit der Dennis Sayers seine vier Tänzerpaare durch den Raum und über Tisch und Stühle fliegen lässt. Zum Finale verschwindet die große Fensterwand, von der jener jetzt übermächtige einstige Sklave immer wieder mal gedroht hatte, und ein Chor von Toten für das finale Dies irae wird sichtbar. Schließlich stürmt dann mit ziemlichen (im Wortsinne) Knalleffekten eine Truppe von schwarz Uniformierten mit Affenmasken den Salon. Eine Mischung aus GSG9 und Terroristen.
Musikalisch spielen der libanesisch-polnische Dirigent Bassem Akiki und sein sinnlich präzise auftrumpfendes, gleichwohl die Sänger nicht verdeckendes Orchester eine Hauptrolle. Sie ziehen die Zuschauer mit Pendereckis ausgesprochen theaterwirksamer Musik in den Bann. Dabei scheinen immer wieder Zitate von protestantischen Chorälen bis zu frühen Tanzweisen auf, Stimmungen wechseln zwischen Wimmern, Jaulen oder Irrlichtern und selbst die Außenwelt dringt nach innen durch.
Dass man dabei den deutschen (in Warschau polnisch und englisch übertitelten) Text nur gelegentlich wirklich versteht, und beim Durcheinanderreden der Akteure streckenweise auch gar nicht verstehen soll, schränkt die Wucht, mit der dieser Totentanz beim Zuhörer ankommt, kaum ein. Aus dem überzeugenden, durchweg exzellenten heimischen Ensemble ragt vor allem Natalia Rubiś mit ihrer expressiven Konditionsstärke und intensiven Gestaltung als Benigna heraus. Das gilt auch für die Mezzosopranistin Elżbieta Wróblewska in der Rolle der Dienerin Rosa. Wojciech Parchem ist ein überzeugend nachsichtiger Schuller, Der auch darstellerisch geforderte, intensiv gestaltende Szymon Rona ist als Diener Jedidja der erste, der tot unterm Tisch auf der Strecke bleibt.
Penderecki hielt die „Schwarze Maske“ selbst für seine bedeutendste Oper. Die Warschauer Neuproduktion stellt sie durchaus selbstbewusst an die Seite der beiden Frauen-Einakter von Richard Strauss „Salome“ und „Elektra“ oder von Otmar Schoecks „Penthesilea“. Der Beifall war einhellig.
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