Nun haben die Festspiele auch die „Tristan und Isolde“-Produktion wieder im Programm, die Thorleifur Örn Arnarsson im vorigen Jahr erarbeitet hat und bei der auch schon wie jetzt Semyon Bychkov im Graben stand.

Tristan und Isolde. II. Aufzug. Andreas Schager (Tristan), Camilla Nylund (Isolde).
Wer sucht, der findet – Auch Tristan und Isolde sind jetzt bei der Festspielen wieder an Bord
Dessen Tempi sind Geschmacksache, wirken nicht immer bequem für die Sänger. Selbst für solche mit dem großen Atem und Volumen wie Andreas Schager. Dass er ein wirklich imponierender Tristan ist, beweist er im dritten Aufzug. Da wird es für das Durchhaltevermögen von Heldentenören ja gewöhnlich ernst. Bei Schager wirkt sein Auftrumpfen wie ein befreites „endlich-darf-ich“. Kondition oder Durchschlags- und Strahlkraft sind ja nicht sein Problem. Da stellt er alles in den Schatten. Wo andere um Höhen ringen müssen, ist es bei ihm mehr der Kampf um die noch gesungenen, leisen, gefühlvollen Töne. Dass er den Kampf darum immer mal wieder aufnimmt, spricht für ihn. Dass er nicht immer gewinnt, nicht gegen ihn. Liegt ein bisschen auch an Wagner. Diesmal könnte man sagen: auch an Bychkov.
Auch der wohl sichersten Festspielhausdirigent, Christian Thielemann, ist kein Freund allzu flotter Tempi. Allerdings liefert der mit bereiteren Tempi und beim Nachschmecken immer eine bannende Spannung mit. Bei Bychkov wirkte besonders der zweite Aufzug manchmal wie Begleitmusik. Schager achtete da vor allem auf das Feuerwerk seiner Spitzentöne. Was durchaus imponierend ist. Aber eben nicht alles. Es war vor allem das fließende Leuchten und wohldosierte Aufblühen, mit dem Camilla Nylund durchweg ihre Isolde ausstattete, die sich von keinem Bremsversuch irritieren ließ. Eine durchweg grandiose Leistung! Das Ganze hätte mit einigem Recht auch „Isolde und Tristan“ heißen können.
Im dritten Aufzug gibt’s dann nicht nur den Super-Tristan, den Schager auch nach den zwei vorausgehenden Akten noch drauf hat; auch Jordan Shanahan war hier in Kurwenal-Hochform.
Und weil Wagner in raffinierter Weise einen Hit wie Isoldes sogenannten „Liebestod“ ans Ende gesetzt hat, hat auch Nylund die Chance, ihre Glanzleistung noch mal mit einem funkelnden vokalen Kunststück zu krönen, sodass der dritte Aufzug zum überzeugendsten gerät, als Eindruck im Gedächtnis bleibt und auf die ersten beiden ein freundlich korrigierendes Licht wirft.
Ekaterina Gubanova als neue Brangäne hat nichts Gouvernantenhaftes, ist schlank und eloquent. Der Kuss mit oder von Kurwenal hat freilich keine erkennbaren szenischen Folgen. Auch Günther Groissböck ist als Marke in guter Form, Alexander Grassauer ein wuchtiger und doch gefühlvoller neuer Melot. Matthew Newlin als junger Seemann, Daniel Jenz als Hirt und Lawson Anderson als Steuermann sind wieder mit von der Partie und ein Grund zur Freude. So, wie der von Thomas Eitler-de Lint einstudierte, unsichtbar bleibende Chor.
Eine Gefährdung der geistigen Gesundheit, mit der Wagner im Falle von vollkommenen Tristan-Aufführungen kokettierte, bestand – trotz der einhellig bejubelten Premiere – gleichwohl nicht.
Die Magie der Tristan-Musik hätte freilich schon deshalb eine große Chance und auch Aufgabe, weil die Szene nach wie vor keine wirkliche Suggestivkraft entfaltet. Ein paar Taue, die das Schiff von Isoldes Überfahrt andeuten und ein überdimensionales, mit nur zufällig mal lesbaren Stichworten übersätes (Braut-?)Kleid bleiben haften. Aus der Ferne des Saales betrachtet wirkt das eher wie eine ausgekippte Kleidersammlung. Auch haben alle, inklusive Isolde, ein Gewaltproblem. Einmal scheuert sie Tristan sogar eine und zieht Kurwenal am Kinnbart durch die Gegend. Das zündet genauso wenig wie Tristans allzu übertriebene Reaktionen auf die Ankündigung Kurwenals, dass der König in Sicht ist.

Tristan und Isolde. II. Aufzug. Jordan Shanahan (Kurwenal), Günther Groissböck (Marke), Andreas Schager (Tristan), Camilla Nylund (Isolde), Alexander Grassauer (Melot), Ekaterina Gubanova (Brangäne). © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Obwohl Bühnenbildner Vytautas Narbutas in seinem Schiffsrumpf, den er nicht für den ersten, sondern zweiten Aufzug wie ein Bares-für-Rares-Lager vollgerümpelt hat, ein klein wenig aufgeräumt und dann wieder die Lust daran verloren zu haben scheint, bleibt es ein szenisches Manko, dass die Liebenden bei ihrem großen Duett an ein einspieltes Ehepaar bei Streifzug durch einen Trödelmarkt erinnern. Jedenfalls nicht an ein Liebespaar, das von magischen Kräften angezogen wird. Eine Rumpelkammer der Erinnerungen ist eben keine Insel, die sich von der Welt löst. Sondern eher ein Parcours, bei dem man aufpassen muss, um nicht zu stolpern. Ob und wie man diverse Drogen aus Isoldes Medizinköfferchen einnimmt oder auch nicht, verblassen da. Genauso wie die Frage nach den blutigen Händen Tristans.
Trotz kleiner Einschränkungen bleibt es natürlich bei einem musikalischen Ereignis, bei dem man sich halt das eine oder andere dazu- oder wegdenken sollte.
Ab jetzt ist Festspiel-Alltag. Regenschirme für den Fall aller Fälle gibt’s übrigens genauso reichlich wie die hilfreichen Sitzkissen im Haus oder die Möglichkeiten der Gepäckabgabe im Park.
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