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Die Bonner Politikwelt feierte am 1.Juli 1999 das große Abschiedsfest von der Rheinstadt und zugleich vom alten Bundespräsidenten. Für solche Anlässe erinnert sich der Homo politicus gern der Musik. Die holde Erscheinung von Frau Musica ziert jede Feier, vor allem die gehobene. Weil man aber auch nicht als nur gestrig erscheinen möchte, vielmehr als Freund von Gegenwart und Zukunft, erteilt man gern Aufträge an lebende Künstler, mit einem Beitrag das festliche Ereignis zu schmücken. So kam der in Köln lebende Komponist York Höller zu Ehren und einem Auftragswerk für großes Orchester, dem er den beziehungsvollen Titel „Aufbruch“ gab. Am 1.Juli war die Uraufführung auf dem Bonner Marktplatz, auch der Normalbürger sollte am Gehobenen partizipieren.
Da zwischen dem Redaktionsschluß dieser nmz-Ausgabe und deren Erscheinen genau das oben genannte Datum lag, können wir über Höllers Werk und seine Aufführung noch nichts berichten. Aber es kommt in diesem Fall auch mehr auf das „Vorspiel“ an. Als der für die Uraufführung eingeladene Dirigent Hans Zender vor Probenbeginn nach dem Orchester fragte, gab es sehr lange Gesichter. Wie die Schildbürger in ihrem neuen Rathaus glatt die Fenster vergessen hatten, so hatten die Bonner Administratoren ebenso glatt vergessen, das für die Aufführung eines sinfonischen Werkes ohne Zweifel notwendige große Orchester zu engagieren. Guter Rat war teuer: das eigentlich in Frage kommende Bonner Opern- und Sinfonieorchester befand sich schon in den nordrhein-westfälischen Schulferien. Wegen dieser Ferien war auch im benachbarten Köln nichts zu holen. Der Notanker „Junge Deutsche Philharmonie“ griff ebenfalls nicht – die jungen Musiker weilten schon im Urlaub. Rettung nahte schließlich aus – Bamberg: Die Bamberger Symphoniker erklärten sich bereit, die Aufführung zu retten, was sich für die von der Sorge befreiten Bundespolitiker als äußerst peinlich dargestellt haben dürfte: haben die Bonner Sparkommissare doch gerade wieder beschlossen, den Bamberger Symphonikern den Bundeszuschuß zu kürzen – siehe dazu nebenstehendes Editorial.
„Zu einer Stadt gehört auch eine Stadtmusik“ – so hieß die Überschrift an gleicher Stelle in der vorigen Ausgabe der nmz zum Thema Orchesterauflösung in Potsdam. Für die geschilderten Vorgänge in Bonn brauchten wir den Titel nur leicht zu variieren. Doch für Pointen, Kopfschütteln, Schadenfreude und brüllende Gelächter ist die Bonner Groteske zu ernst, weil sie nämlich einen Zustand beschreibt, der sich wie Pest und Flächenbrand ausbreitet, der nicht allein die ostdeutschen Länder bedroht: Die Ignoranz, die Gleichgültigkeit, das Unwissen, die Unbildung, die Überheblichkeit einer politischen Kaste, die glaubt, sie könne den Anspruch von Kunst und Kultur mit schnöseligen Bemerkungen abqualifizieren als Minderheitenbedürfnis. So klein ist die Minderheit, die Theater, Konzerte, Opern, Ballettaufführungen oder Museen besucht, überhaupt nicht, und selbst wenn sie es wäre: Die Qualität einer Demokratie mißt sich an der Behandlung ihrer Minderheiten. Von hier aus betrachtet, muß man sich um den Zustand der deutschen Demokratie schon einige Sorgen machen. Man lese doch einmal nach, welchen Prozentanteil die Kultur am Gesamthaushalt der Bundesrepublik hat, und was Theater, Musik, Oper beanspruchen. Es ist lächerlich wenig. Es ist doch nur noch grotesk, wenn eines der wirtschaftlich potentesten Länder der Welt behaupten will, man müsse zwecks Sanierung des Haushalts ein paar tausend Mark bei einem gerade für die Repräsentation Deutschlands wichtigen Orchester wie den Bambergern einsparen. Und das Feuilleton einer renommierten deutschen Zeitung, wie es die Süddeutsche Zeitung ist, schämt sich nicht, infantile Kommentierungen, in denen das Sparkorsett für die Kultur bejubelt wird, abzudrucken. Der Staat stellt schon genug Unsinn an, dann muß die Kritik ihm nicht noch wohlfeile und sachlich falsche, verzerrte Argumente als Beihilfe geben.
Die ständigen Attacken gegen die Kulturpolitiker in unserem Land könnten selbst dem aggressivsten Kritiker allmählich auf die Nerven fallen. Aber diese Politiker und ihr Verständnis von Kunst und Kultur provozieren geradezu unentwegt harsche Kritik. Über die Probleme und Fragen der Kultur muß mit Sachverstand und Wissen gesprochen werden. So wie vor kurzem bei einem Seminar über „Orchestermanagement“ in München, das vom „Institut für internationales Kulturmanagement“ veranstaltet wurde. Auf dieser Tagung referierten auch die Intendanten der Berliner und Münchner Philharmoniker, Elmar Weingarten und Bernd Gellermann. Die allgemeine Hochstimmung über die neuen Chefdirigenten der beiden Orchester, Simon Rattle und James Levine, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß auf die großen sinfonischen Orchester einige Probleme zukommen, die in der zunehmenden Überalterung des Stammpublikums, aber auch in der Trägheit der Programmgestaltung ihre Gründe haben, wobei sich häufig die Gründe gegenseitig bedingen. Gellermann und Weingarten demonstrierten ihre Strategien einer Veränderung des Status quo, vor allem für die Gewinnung eines jüngeren Publikums. Der Erfolg stellt sich langsam aber stetig ein. Die Konzertmanager müssen heute nachholen, was in den Schulen dank unserer hochqualifizierten Schulpolitik, vor allem was den Musikunterricht angeht, unterlassen wurde und wird. Womit man den nächsten Angriff auf Kultur- und Bildungspolitiker eröffnen könnte. Es ist wirklich ein Mehrfrontenkrieg. Und die Errichtung von Potemkinschen Dörfern hat absoluten Vorrang. Wen kümmert da eine kleine Geige?