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Cover: "Schönberg Handbuch" Das Cover zeigt Arnold Schönberg in Schwarzweiß, den Hintergrund in kräftigem Lila
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Auf der richtigen Seite

Untertitel
Ein neues Handbuch macht Lust auf Arnold Schönberg
Vorspann / Teaser

Andreas Meyer/Ullrich Scheideler/Therese Muxeneder (hrsg.): Schönberg-Handbuch. Metzler/Bärenreiter, Berlin/Kassel 2023, 516 S., 99,99 €, ISBN 978-3-7618-2093-3

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Wer steht nicht gerne auf der richtigen Seite? Auf der Seite des Fortschritts oder der Reaktion? Auf der Seite der Zwölftonmethode oder des Neoklassizismus? Auf der Seite von Arnold Schönberg, dem Komponisten, der ein Leben lang für seinen eigenen Weg kämpfte, indem er komponierte, unterrichtete, theoretisierte, polemisierte, der mächtige Gegner aufbrachte und wortgewaltige Verbündete hinter sich sammelte, der die Musik des 20. Jahrhunderts so beeinflusste wie Beethoven die des Neunzehnten? Nun aber, anlässlich seines 150. Geburtstages, schreibt man uns, die wir uns auf der richtigen Seite wähnen, ins Stammbuch: „Sich mit Schönberg zu befassen, stand vielfach für eine bestimmte Haltung, wenn nicht für die Vorstellung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen – Gewissheiten, die in den letzten Jahrzehnten zumindest verblasst sind.“

Mit sanftem Spott eröffnen die Herausgeber das pünktlich zum Jubiläum erschienene „Schönberg Handbuch“. Das 516 Seiten starke Werk verdankt sich der Kooperation zwischen den Verlagen Bärenreiter und Metzler sowie dem verdienstvollen Arnold Schönberg Center in Wien, das seit seiner Eröffnung 1998 mehr und mehr Exponate des riesigen Nachlasses online zugänglich macht, Symposien veranstaltet und Schönbergs Musik aufführt. 

Therese Muxeneder, die Sammlungsleiterin in Wien, legt mit Andreas Meyer (Professur in Stutt­gart) und Ullrich Scheideler (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gesamtausgabe) einen Band vor, der den aktuellen Stand der Schönberg-Forschung repräsentiert und jenen gut informierten, nur in Ausnahmefällen technologischen Ton anschlägt, der auch Liebhaber anspricht. Bekanntlich muss man weder Zwölftonfolgen abzählen, noch pitch class sets auseinanderhalten können, um Schönbergs Musik zu mögen. Es genügt ein „offenes Herz“, um ein Wort Weberns aufzugreifen: „In Schönbergs Werken ist nur Musik, Musik wie bei Beethoven und Mahler.“ 

Mit gutem Grund ignoriert das Handbuch den zweiten Vorschlag des Schönberg-Schülers („Man lasse Theorie und Philosophie beiseite“). Es bereichert das Hören von Schönbergs Musik um so viel, wenn man sich über all das informiert, das seinen Weg säumte: den Streit zwischen Brahminen und Wagnerianern, den Antisemitismus in Wien, im Salzburger Land, in Berlin, in Deutschland, Österreich und in Europa, die Dichter Richard Dehmel, Stefan George und Honoré de Balzac, Alexander Zemlinsky, Wassily Kandinsky und Karl Kraus, die Bibel und das Judentum, die Atonalität und die Zwölftonmethode, Albertine Zehme und Marie Pappenheim. Ganz zu schweigen von den Hundertschaften musikalischer Wegbereiter*innen und -begleiter*innen. Noch einmal die Herausgeber: „Entgegen der aus dem Schülerkreis und weitgehend noch von ihm selbst propagierten Vorstellung war Schönberg kein heroischer Außenseiter, der unbeirrt seinen dornigen Weg gegangen ist. Vielmehr hat er zeitlebens sehr eng und genau auf zeit- und kulturgeschichtliche, politische und publizistische Kontexte reagiert“.
Umfassend beschreiben die Autoren die Kompositionen, mit oder ohne Opuszahlen, Fragmente, Versuche und Irrtümer, Bearbeitungen, selbst manchen Geburtstagskanon. Schönbergs Lebensspanne zwischen 1874 und 1951 unterteilt das Handbuch in acht Kapitel über „Lebenswelten und Werke“ in chronologischer Reihenfolge. Der eine Autor schreibt technokratischer, der andere essayistischer, immer aber verlässlich, korrekt zitierend, ohne Fußnoten, mit wenigen Notenbeispielen, aber präzisen Taktangaben. Kurz gesagt, das Buch lädt ein zur Lektüre, auch wegen des zweispaltigen Layouts. Allein Schönbergs Unterricht hätte angesichts eines halben Jahrhunderts Lehrtätigkeit ein helleres Scheinwerferlicht verdient.

Im Zentrum steht Ullrich Scheidelers 45 Seiten starkes Kapitel, das Schönbergs Poetik fokussiert: die Einfallsästhetik, den musikalischen Gedanken (ein Begriff, den Schönberg 1922 ins Visier nahm und nicht mehr losließ), die Funktion der Tonalität und natürlich die Zwölftonmethode. Dogmatismus war Schönberg nicht fremd, aber er rang mit sich, um „den Gedanken fasslich darstellen zu können“, nicht mit den Zuhörern. Die amerikanischen Zwölftonkompositionen erlauben auch Klänge, die im guten alten Dur-Moll-Schema erklärbar wären.

Das Handbuch enthält einen Essay über Schönbergs Anforderungen an seine Interpreten, fasst seine wichtigsten Schriften zusammen und skizziert sein bildnerisches Schaffen, stellt Wegbegleiter*innen auch abseits der Musik vor. 
Neben einer ausführlichen Zeittafel und sämtlichen notwendigen Verzeichnissen und Registern bietet der Band auch einen Überblick über die Rezeption, die längst eine eigene spannende Erzählung geworden ist und zu der auch die Gesamtausgabe und die Ordnung des Nachlasses gehören. Womit sich der Kreis zu den Herausgebern schließt. 

„Zum Geburtstag viel Streit“, heißt ein Kapitel, in dem viel über Ideologiekritik zu lesen ist. Auch Schönbergforscher*innen möchten auf der richtigen Seite stehen. Umso erfreulicher, dass das Handbuch sich nicht an Adorno abarbeitet, sondern vor allem Lust macht, Schönbergs Musik zu hören und wieder und wieder zu hören. Und unsere Herzen für sie zu öffnen. 

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