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Neue Töne in Musikschulen

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Multidimensionale Wege im Instrumentalunterricht
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Gerhard Wolters: Wege aus der Eintönigkeit. Multidimensionaler Instrumentalunterricht. Oder: Die Wiederentdeckung und Weiterentwicklung (fast) vergessener Unterrichtsformen. Musikverlag Zimmermann. Frankfurt am Main 1999. 2. Auflage 2001, 328 Seiten

noitakinummoK tsi kisuM – Musikunterricht unter einem neuen Blickwinkel mag zunächst fremd erscheinen. Lässt man sich jedoch näher auf ungewöhnliche Perspektiven ein, lösen sich so manche Probleme traditioneller Unterrichtsformen fast von alleine und die Musik rückt wieder in den Mittelpunkt.

Musik ist Kommunikation. Alleine zu musizieren gleicht demzufolge einem Selbstgespräch. Wer gemeinsam musiziert, kommuniziert gleich auf mehreren Ebenen, und hier setzt Gerhard Wolters‘ Konzept ein: der multidimensionale Instrumentalunterricht, der Aspekte umfasst, die nicht unbedingt Alltag in Musikschulen sind. Unterricht mit mehreren Schülern, auch verschiedenen Alters (teilweise sogar mit Eltern) und unterschiedlichen Niveaus, Erlernen verschiedener Instrumente, mehrere Lehrkräfte für eine Gruppe, flexible Handhabung von Zeit und Raum – diese Dimensionen greift Wolters in seinem Buch auf und erläutert seine „Wiederentdeckung und Weiterentwicklung“ des Musikunterrichts, der mehrgleisig in verschiedene Richtungen geht. „Wiederentdeckung“ nimmt hierbei Bezug auf umherreisende Musikanten, Gaukler und Spielleute, die im Mittelalter von Stadt zu Stadt tingelten und wie selbstverständlich mehrere unterschiedliche Instrumente gekonnt beherrschten.

Die Idee ist eine neue Form des Unterrichts, weg von 30-minütigem Einheitsbrei im Einzelunterricht mit gelangweiltem Schüler, gefrustetem Lehrer und musikalisch fragwürdigen Erfolgen. Gerhard Wolters, seit 1993 Leiter der Musikschule Borken, machte aus der Not eine Tugend, als er die nötigen Einsparmaßnahmen an seiner Musikschule kreativ und konstruktiv anging. Unterricht mit zwei Schülern oder in kleinen Gruppen bringt neben Kostenersparnis auch mehr Motivation. Von der herkömmlichen „Massenabfertigung“ im Gruppenunterricht unterscheidet sich Wolters Konzept darin, dass auch unterschiedlich weit fortgeschrittene Schüler zusammen musizieren, so kann der Anfänger Tipps vom „alten Hasen“ bekommen, während der Lehrer wiederum mit einem anderen Schüler arbeitet; wenn dann noch verschiedene Instrumente im Spiel sind, wird der Unterricht doppelt lebendig, Instrumente können ausprobiert werden, Transponieren wird zur Selbstverständlichkeit. Unkonventionelles Umgehen mit Unterrichtszeit und Übungsräumen eröffnet neue Möglichkeiten.

Konkrete Beispiele: Das Einspielen oder Wiederholen der Hausaufgabe kann im getrennten Raum ohne Lehrer dem eigentlichen Unterricht vorangehen; im Anschluss an den Unterricht kann Erlerntes im Nebenraum alleine nochmals gespielt und gefestigt werden; ebenso kann ein Klavierschüler nach dem eigenen Unterricht oder zu einem anderen Zeitpunkt in der Woche eine weitere Unterrichtsstunde lang beispielsweise eine Geigenschülerin oder eine Blockflötengruppe begleiten – und erhält somit zusätzlichen kostenfreien Unterricht, der zudem großer Ansporn zu üben ist, denn wer Melodieinstrumente begleitet, will natürlich auch zeigen, was er kann. Den Kombinationsmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Unterrichten zwei Lehrer eine Gruppe mit gemischten Instrumenten, profitieren auch die Lehrer gegenseitig vom Konzept und den Ideen des anderen – eine einzige kontinuierliche Weiterbildung.

Klingt vielleicht utopisch. Unmöglich, weil Lehrerkollegen nicht mitmachen? Was tun, wenn in der Musikschule zu wenig Räume sind? Kann man Eltern das zumuten? – Skeptikern und potenziellen Kritikern wird von vornherein der Wind aus den Segeln genommen. Mit überzeugend-rhetorischer Eloquenz werden die einzelnen Kapitel dargestellt, Beispiele aus Praxis und Alltag einer Musikschule untermauern Wolters’ Konzept (auch die finanziellen Fragen werden immer wieder angesprochen) und stellen in lebensnaher Form Zusammenhänge her zwischen Absicht, Realität und Effekt. Tabellen, Querverweise aus Pädagogik und Lernpsychologie sowie zahlreiche Zitate liefern darüber hinaus ein wissenschaftliches Fundament. Der klare Aufbau des Buches und vor allem das flexible Grundgerüst der Idee ermöglichen, nach Vorlieben zunächst vielleicht auch nur einen der Ansätze herauszugreifen, auszuprobieren und Schritt für Schritt neue Dimensionen zu gewinnen.

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