Polaschegg, Nina: Populäre Klassik – Klassik populär. Hörerstrukturen und Verbreitungsmedien im Wandel. Böhlau, Köln 2005, 272 S., 34,90 €,
ISBN 3-412-26005-3
Was haben der Walzergeiger André Rieu, der „Schmuse-Tenor“ Helmut Lotti und der britische Punkgeiger Nigel Kennedy gemeinsam? Sie sind Vertreter der populären Klassik, also jener Musik, die Werke des klassischen Repertoires als Grundlage für populäre Interpretationen und Bearbeitungen verwendet. Kennzeichen sind eine einfache Dur-Moll-Harmonik, sangbare Melodien, einfache Rhythmen und oftmals eine harmonische, melodische und klangfarbliche Glättung der Ausgangsmusik.
Der anhaltende Boom der populären Klassik in den Massenmedien und der Tonträgerbranche seit den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts ist für Nina Polaschegg Anlass zu dieser Publikation. Die populäre Klassik interessiert sie unter zwei Gesichtspunkten. Im ersten Teil untersucht sie aus musiksoziologischer Sicht, welche Personen populäre Klassik hören, welche Musikpräferenzen sie darüber hinaus haben und ob es Grenzverwischungen zwischen Hoch- und Popularkultur gibt. Die theoretische Grundlage dafür liefert die von Gerhard Schulze in der „Erlebnisgesellschaft“ (1997) aufgestellte Typologie von fünf Milieus in Deutschland, die nach Alter, Bildung und Lebensstil unterschieden werden können. Die Autorin nimmt an, dass vor allem die Milieus mit mittlerer (und niedrigerer) Bildung bei diesen Konzerten zu finden sein müssten, da diese laut Schulze Elemente des Hochkultur- und des Trivialschemas verbinden (Streben nach Harmonie, Gemütlichkeit, Wiederholung, Sicherheit).
Als Untersuchungsmethode wählte Polaschegg leitfadenorientierte Interviews und befragte insgesamt 16 Besucher der Konzerte von André Rieu, Helmut Lotti und Nigel Kennedy jeweils nach dem Konzert in ihrer häuslichen Umgebung. Auch wenn mit dieser qualitativen Untersuchungsmethode keine repräsentativen Ergebnisse möglich sind, beschreibt Polaschegg Tendenzen und Idealtypen der Rezep-tion populärer Klassik. Entsprechend ihrer Annahme zeigt sich, dass mit Ausnahme des Niveaumilieus (ältere Personen mit hoher Bildung und Affinität zur Hochkultur) alle anderen Milieus unter den Besuchern der Konzerte populärer Klassik zu finden sind. Weitere Erkenntnisse liefert die Typologie kaum. Insgesamt benennt sie drei wenig trennscharfe Hörertypen, die sich durch ihr Verhältnis zur klassischen Musik und durch ihre Zuordnung der populären Klassik zur U- oder E-Musik unterscheiden.
Im zweiten Teil der Arbeit beschreibt Polaschegg die Popularisierungsversuche von Klassik durch Klassik Radio und CD-Serien wie „(Harald Schmidt) trifft (Bach)“, „Yellow Lounge“ oder „Klassik für schöne Stunden“, die klassische Musik durch die Auswahl bekannter Werke von Barock bis Romantik und eine populäre Vermarktung massentauglich machen.
Die wichtigste Aussage dieser Arbeit, die leider in ihren Implikationen nicht weiter vertieft wird, ist die Erkenntnis, dass über eine Adaption von Klassik in populäre Musik kein tieferes Interesse für klassische Musik geweckt wird. Der Zugang zu klassischer Musik erfolgt vielmehr meist in der Kindheit über aktives Musizieren im Elternhaus oder über eine Bezugsperson.
Die Hörer der populären Klassik haben sogar das Gefühl, etwas Besseres zu sein, indem sie sich durch das Hören von vermeintlicher „Klassik“ von anderen abgrenzen können. Und damit hätte klassische Musik als Distinktionsmerkmal doch weiterhin eine Bedeutung.