Von einer breiteren Öffentlichkeit kaum beachtet, nahm sich das Bläserquintett der Berliner Philharmoniker sage und schreibe zwölf Jahre Zeit (genauer: von Januar 1991 bis Oktober 2002), um in aller Gemütsruhe vier nach den Jahreszeiten sortierte Einzel-CDs einzuspielen, die nun endlich in einer handlichen, hübsch gestalteten Sammelbox zum Sonderpreis vorliegen, glücklicherweise mitsamt den originalen dreisprachigen Einführungstexten.
Was enthalten die Scheiben also? Um zwei Dinge gleich vorwegzunehmen: So viele saisonspezifische Werke für Querflöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott gibt es selbstverständlich nicht, dass man mit ihnen ein viereinhalbstündiges Programm bestreiten könnte. Und: Es fehlt einiges, was ich erwartet hätte (Ligeti etwa oder Schönberg, dessen op. 26 selten zu hören ist), irgendeine Vollständigkeit haben die fünf Meisterbläser also nicht angestrebt – Abwechslung und Vielfalt dafür umso mehr. Es empfiehlt sich also schon angesichts der im vorigen Jahrhundert geradezu babylonisch anmutenden Verwirrung der musikalischen Sprachen eher, die CDs jede für sich wirken zu lassen.
Denn spannende Entdeckungen lassen sich allenthalben machen: Auf der ersten CD „Printemps“, benannt nach dem 1963 komponierten Sextett (mit zusätzlichem Saxofon) von Henri Tomasi, geben sich noch fünf weitere französische Tonsetzer ein Stelldichein. Deren weitgehend im Verborgenen blühende Werke aus den Jahren 1930 bis 1948 wehen wie eine leichte Frühlingsbrise am Hörer vorüber und unterhalten ihn angenehm und trotzdem niveauvoll. Etwas mehr fordert da schon die „Summer Music“ (nach Barbers Einsätzer), insbesondere bei Elliott Carter. Aber schon befinden wir uns inmitten einer jazzigen Suite von Gunther Schuller, gefolgt von einem epigrammatischen Medley von Volksliedern, bevor wir Nordamerika Richtung Süden verlassen. Etwas Villa-Lobos muss natürlich auch sein, aber die Entdeckung dieser Platte sind sicherlich die beiden auf folkloristischen Formen basierenden Suiten von Júlio Medaglia (geb. 1938), die aus persönlichen Begegnungen der Interpreten mit dem Brasilianer erwuchsen.
Damit sich auf der dritten CD zum Thema Herbst nicht allzu viel teutonische Schwere breit macht, teilt sie sich in je zwei Werke von Paul Hindemith (eine „Kleine Kammermusik“ von 1922 sowie das etwas dröge Septett von 1948) und Hans Werner Henze. Dessen zwölftönigem Quintett (1952) folgt stante pede das titelgebende „L'autunno“ aus seiner italienischen Zeit, mit 25 Minuten Spieldauer übrigens eines der drei ausladenderen Werke dieser Anthologie.
Gleich zwei solche pièces de résistance bilden eine Klammer um die Beiträge zur ungemütlichsten Jahreszeit auf der CD mit Musik von Nord- und Ostseeanrainern: Die erst im Jahr 2000 abgeschlossenen „Winter Songs“ von Brett Dean nach e.e. cummings, die einen Tenor hinzuziehen, wirken leider lange nicht so zwingend wie das Meisterwerk Carl Nielsens aus dem Jahre 1922, das nicht nur die Box beschließt, sondern auch einen musikalischen Gipfelpunkt der Gattung markiert, der seither wohl nicht mehr übertroffen wurde.
Trotzdem (oder gerade deshalb) wirkt es umso überraschender, dass die viel knapperen Stücke von Erkki-Sven Tüür, Peteris Vasks und Arvo Pärt (vom letzteren das „Quintettino“, ein noch untypisches Frühwerk von 1964) dagegen qualitativ kaum abfallen.
Beim Rezensionsexemplar waren die CDs 2 und 3 leider vertauscht; sonst gab es an Fertigung und Klangbild (trotz fünf unterschiedlicher Aufnahmeorte) nichts auszusetzen.