Hauptbild
Martinu Rysanov CD Cover
Martinu Rysanov CD Cover
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die Freude am Spiel – zwei CDs zum 125. Geburtstag von Bohuslav Martinů

Publikationsdatum
Body

Es ist schwer, sich über das weit verzweigte Œuvre des am 8. Dezember 1890 geborenen Komponisten Bohuslav Martinů einen Überblick zu verschaffen – und das nicht bloß, weil er keine Opuszahlen verwendete. Seine alle Genres großzügig bedienenden Kompositionen sind stilistisch und qualitativ so unterschiedlich, dass man sich bei einem falschen Einstieg womöglich nicht weiter mit ihm beschäftigt.

Dabei liegen die Trouvaillen oft an unvermuteten Stellen; das umfangreiche, fast ausschließlich aus Miniaturen und Tänzen bestehende Klavierwerk etwa erweist sich als ausgesprochen kurzweilig. Aber natürlich hat Martinů als ausgebildeter Geiger die Streicher mit besonders dankbaren Aufgaben bedacht. Die drei Cellosonaten werden schließlich nicht nur, weil sie gut auf eine Platte passen, so gerne aufgenommen.

Doch auf keiner Einspielung stürzt sich der Cellist so kopfüber in diese hochdramatische Musik wie der Heißsporn Steven Isserlis. Hier ist Tonschönheit wirklich Nebensache, Ausdruck dafür alles. Zudem wird sich Martinů in der 1. Sonate von 1939 seine Wut sowohl über den Einmarsch der Nazis in die Tschechoslowakei als auch über den Verlust seiner ehemaligen Schülerin und Geliebten, die ein Jahr später im jugendlichen Alter von 25 Jahren starb, von der Seele geschrieben haben.

Eine Verschnaufpause bietet der weit ausgreifende, traurige Gesang des Largo der 2. Sonate von 1941, die zu Beginn der zwar ungeliebten, aber ebenso fruchtbaren wie erfolgreichen amerikanischen Exiljahre entstand. Einen vergleichsweise unbeschwerten Tonfall trifft bloß die dritte Sonate von 1952. Hätte man nicht die Sonatenfolge durch kleinere Cello-Klavier-Stückchen auflockern können? Isserlis und Olli Mustonen haben sich allerdings entschieden, zwei weitere Schwergewichte dazwischen zu schalten, nämlich Mustonens eigene Sonate sowie ein selten gehörtes Stück desjenigen Komponisten, der am gleichen Tag wie Martinů geboren worde, nur 25 Jahre früher: „Malinconia“ von Jean Sibelius. Alles fulminant musiziert, gewiss. Trotzdem fühlte sich der Rezensent vom tiefen Ernst des Programms und dem emotionalen Überdruck der Interpreten gleichermaßen erschlagen.

Im selben Jahr wie die letzte Cellosonate schuf Martinů sein nicht allzu schweres, neoklassisch angehauchtes „Rhapsody-Concerto“ für Bratsche und Orchester – so genannt, weil es mit seiner zweisätzigen Anlage und knappen Dauer zwischen Concertino und ausgewachsenem Konzert steht, auf dieser Wegstrecke jedoch mehrere Stimmungsumschwünge hinter sich bringt. Auf CD wird es meistens mit den Violinkonzerten kombiniert, wobei der Geiger zur Bratsche greift.

Hier gönnt uns der hauptberufliche Bratscher Maxim Rysanov eine Luxusinterpretation und zudem einige viel zu selten erklingende, kammermusikalische Preziosen als Draufgabe. Die erfordern dann auch einen Grad der Virtuosität, die ihre Vernachlässigung im Konzertleben begreiflich machen: Es handelt sich um die beiden viertelstündigen Duos für Violine und Viola (von 1947 bzw. 1950), die von Mozarts Werken für die gleiche Besetzung angeregt wurden. Sie gerieten derart substanziell und zugleich attraktiv (v. a. das auch als „Drei Madrigale“ bekannte Duo Nr. 1), dass weitere Instrumente, welche die Duos zum Trio oder Quartett ergänzt hätten, nirgends vermisst werden, schon gar nicht, wenn Rysanov sie mit einem Könner wie Alexander Sitkovetsky und der nötigen musikantischen Beherztheit aufführt.

Das kurzweilige Programm endet mit der einzigen, wie das Rhapsodie-Konzert zweisätzigen Sonate Martinůs für Viola und Klavier, komponiert 1955 in den USA, als er eigentlich schon wieder in Europa lebte, ohne allerdings in die tschechische Heimat zurückkehren zu können: diesmal wegen des kommunistischen Regimes, das ihn und welches er boykottierte. Mit der Bratschensonate kehrt Martinů zum Tonfall der ersten beiden Cellosonaten zurück, und an Rysanovs Gestaltung seines Parts können wir gut studieren, wie gut eine schlichtere (dabei keineswegs temperamentlose!) Herangehensweise auch den Cellowerken angestanden wäre.

Martinůs keinen eindeutigen Stil ausprägende, das Private tunlichst ausklammernde Musik wirkt zumindest hier über weite Strecken eher handwerklich gut gemacht denn wirklich inspiriert. Ihre unbekümmert eklektische Haltung erinnert an Martinůs Generationsgenossen Hindemith und Villa-Lobos: Allen dreien war kontinuierliches Komponieren ein Grundbedürfnis; sie schrieben für den Moment und schielten nicht ständig auf eine Nachwelt, der man bloß handverlesene, ewig gültige Meisterwerke hinterlassen darf. Bei ihnen finden wir dafür Zeit ihres Lebens eine fast schon kindliche Freude am Spiel mit der immer neuen Kombination von Tönen und Klängen.

Bohuslav Martinů: Sonaten für Violoncello und Klavier Nr. 1-3 (+ Olli Mustonen: Cellosonate & Jean Sibelius: Malinconia op. 20). Steven Isserlis, Violoncello; Olli Mustonen, Klavier. BIS-2042 SACD
Bewertung: * * * *

Bohuslav Martinů: Rhapsody-Concerto, Drei Madrigale, Duo No. 2, Violasonate. Maxim Rysanov, Viola; Alexander Sitkovetsky, Violine; Katya Apeshikeva, Klavier; BBC Symphony Orchestra, Jiří Bělohlavék. BIS-2030 SACD (Vertrieb: Klassik Center Kassel)
Bewertung: * * * * *

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!