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„Im Kampf mit dem Berge“ – Arnold Fancks und Paul Hindemiths Alpensinfonie neu rekonstruiert auf DVD

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Vieles im Leben wie in der Kunst entspringt einem glücklichen Zufall. So auch 1921, als sich Arnold Fanck und Paul Hindemith in Meran unerwartet kennen lernten. Der eine, Pionier des Bergfilms, schnitt gerade seinen letzten Alpen-Dreh – der andere, kurz vor seinem kompositorischen Durchbruch stehend, begeisterte sich an den bewegten Bildern und schrieb in nur zwei Wochen die wohl erste originäre Film-Musik. Nach viel Stückwerk ist nun „Im Kampf mit dem Berge“ neu rekonstruiert auf DVD erschienen.

Es überrascht immer wieder, mit welcher Experimentierfreude Paul Hindemith in den 20er und 30er Jahren technische Neuerungen musikalisch reflektierte. Dies betrifft nicht nur das Trautonium oder die von ihm so genannten „Grammophonplatteneigenen Stücke“ (1930), sondern auch die Musik zum Film. Verschollen sind leider die beiden in Berlin entstandenen Kompositionen zu abstrakten Fischinger-Filmen (1931/32); zu Hollywood, insbesondere den Vorstellungen Walt Disneys (in Zusammenhang mit „Fantasia“, 1940) ging er jedoch auf Distanz. Dass die Liebe zu den laufenden Bildern schon viel früher einsetzte, zeigt Hindemiths im doppelten Sinne gewichtige Partitur zu „Im Kampf mit dem Berge“ – noch dazu vermutlich die erste eigenständige Komposition zu einem Zelluloid-Streifen überhaupt. Ob und wie häufig sie dann zu Beginn der 1920er Jahre aufgeführt wurde, ist heute nicht mehr zu ermitteln; wohl aber hat sich die unter dem Pseudonym Paul Merano abgefasste Musik mit allen Zwischentiteln im Autograph erhalten. Das Manuskript diente als maßgebliche Quelle bei der neuerlichen Rekonstruktion des lediglich in anderen Fassungen und Umschnitten erhaltenen Films, der nun auf DVD wieder zugänglich ist – nicht nur als bedeutendes Dokument, sondern auch als ein Film (Spieldauer: 71 Minuten), der aus künstlerischer Perspektive überzeugt.

Von Fanck als eine „Alpensinfonie in Bildern“ bezeichnet, handelt es sich um die dramatisch in sechs Akte gefasste Besteigung des Lyskamms in den Walliser Alpen, samt Abstieg. Nicht nur aus sportlicher Perspektive verschlägt es einem dabei den Atem, sondern auch mit Blick auf die Landschaft und die Ausrüstung: Da gilt es tobende Wolkenmeere und riesige Gletscher zu bestaunen, aber auch die Einfachheit der Hilfsmittel wie Seil, Spitzhacke oder das angeschnallte Steigeisen. Ohne High-Tech zählten Erfahrung und Muskelkraft doppelt. Der visuelle Eindruck der Einstellungen wird zudem durch unterschiedliche, die Tageszeiten markierende Viragen verdeutlicht. Wie emanzipiert manche Frau der damaligen Zeit schon war, zeigt Ilse Rohde, die an der Seite von Hannes Schneider den gefahrvollen Weg bewältigte.

Hindemith seinerseits entwarf ein geradezu sinfonisches Gemälde, das nur selten einmal die Bilder konkret illustriert, sondern eher ganze Sequenzen charakteristisch unterfängt. Der Rahmen wird durch ein markantes Thema gesetzt, das gelegentlich im Sinne eines Leitmotivs wiederkehrt; ihm stehen lyrische, burleske oder auch dramatische Passagen zur Seite, vielfach kontrapunktisch oder von barocken Formen (Passacaglia) durchsetzt. Harmonisch und melodisch bleibt die Musik im Rahmen einer von chromatischen Linien durchzogen Tonalität und bestätigt damit einen Stand der stilistischen Entwicklung, wie er sich auch in Hindemiths Einakter-Triptychon findet.

Auch wenn die Partitur (wie bei solchen Begleitmusiken üblich) nicht von opulenten Streichergruppen ausgeht, sondern vielfach mit Klavier und Harmonium den Klang verdichtet, so ist doch alles in einem sehr persönlichen Tonfall gehalten, der selbst eine imposante Gratwanderung zwischen alternder Spätromantik und aufblühender neuer Sachlichkeit darstellt – gleichsam als expressive glühende Kälte. Im Gegensatz zu anderen, gelegentlich allzu breitbandigen Einspielungen der Partitur haben hier Frank Strobel und das ausgedünnte hr-Sinfonieorchester den rechten Ton für das Epos getroffen. Ein Kino-Hör-Vergnügen.

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