„Die Welt ist Klang“, so bezeichnete Joachim-Ernst Berendt in den 1980er Jahren sein großes Südwestfunk-Plädoyer für das Hören der Welt. Seine Überschrift passt gut zum Titel des 2019 erschienenen Buches aus dem Moritz Verlag. Die Welt in ihrem Klang zu entdecken, zu entschlüsseln, sie anhand von musikalischen (Kunst)Werken, aber auch von unterschiedlichen, hörbaren Phänomenen zu verstehen, ja, dabei das Verständnis von Welt und Menschen sogar weiterzuentwickeln, darum geht es – in eigener Art des Zugriffs – auch hier.
„Wie das klingt“ ist – ob als Feststellung oder auch als Frage verstanden – in der Vergangenheit wohl kaum wichtiger gewesen als heute. Hören, Zuhören, Verständigen, Verstehen – mit echter Neugierde und der Fähigkeit zur eigenen Urteilsbildung –, das sind Ansprüche, die man nicht nur jungen Menschen ans Herz legen, Lehrkräften in den Bildungsplan schreiben, sondern auch der Gesellschaft gerade in Boomzeiten von Fake News und angesichts der Corona-Pandemie auf die Tagesordnung notieren möchte. Natürlich ist auch der häufig enggeführte Musikgeschmack – nicht nur der der jungen Generation – ein Grund, das intensivierte, tiefergehende Zuhören stärker zu akzentuieren oder neu zu entdecken.
„Ab 9 Jahren“, ist zur Zielgruppe notiert, und das ist keineswegs einschränkend auf junge Menschen gemeint. Erwachsene jeden Alters werden das Buch genießen, müssen sich dabei vielleicht mit einem Ruck auf die zahlreichen, kraftvollen, comichaften Farbzeichnungen einlassen.
Geordnet nach Fragen wie „Was ist ein Geräusch?“, „Wo ist Musik?“, „Wer ist ein Musiker?“ und „Was ist Musik?“ findet man Musik im Schwerpunkt aus dem 20. Jahrhundert – mal mehr, mal weniger bekannte Klangideen von sehr unterschiedlichen Menschen, man taucht ein in ihre Experimente, bewundert ihre Musikmaschinen und ihre Musik. Dabei geht es um Natur, Technik, Musik, bis hin zu ihren philosophischen Aspekten. Das Buch quillt förmlich über von faszinierenden Beispielen. Und weil Interessantes ja nicht auf ein bestimmtes, musikalisches Genre begrenzt sein kann, gibt es Musik aus den unterschiedlichsten Bereichen: etwa von Glenn Gould über die Beach Boys bis hin zu John Cage. So fokussieren die Autoren beispielsweise auf seine Konstruktion eines Raumes absoluter Stille oder stellen sein aus Stille bestehendes kurioses Konzertstück „4 Minuten 33 Sekunden“ vor.
Welche Art von Buch wir vor uns haben? Ein Wissensbuch, durchaus; ein Lesebuch, natürlich (einfach Schmökern und Staunen), ein Geschichtsbuch – zumindest für das klingende 20. Jahrhundert, ein Bilderbuch, klar (mit sprechenden Zeichnungen), ein Hörbuch, sehr wohl (via Internet sind wir durch Links mit verschiedenen Hörbeispielen verknüpft).
In eine Schublade will das Buch nicht recht passen. Es wäre auch zu schade, es darin abzulegen und am Ende bald zu vergessen. Denn vor allem ist es ein anregendes Buch, das durch interessante Entdeckungen und vielfache Querbezüge zum Weiterdenken inspiriert. In dieser Weise kann das Buch vielfältig wirken, etwa als Fundgrube für den schulischen Musikunterricht sein oder Impulsgeber für Konzertprogramme respektive „hörorientierte Events“. Das breit gefächerte, an vielfältigen Facetten der Welt orientierte Hören zu bewirken, das ist übergeordnetes Ziel und der Reiz des Buches. Und um dieses Zieles willen motiviert es, Augen und besonders Ohren zu weiten.
- Michal Libera / Michal Mendyk: Wie das klingt! Neue Töne aus aller Welt
Moritz Verlag, Frankfurt a.M. 2019, 224 S., Abb., € 25,00, ISBN 978-3-89565-384-1